Montag, 18. März 2024

Archiv

Sicherheitsgesetze im EU-Parlament
Mit Netzsperren gegen Websites von Terroristen

Die Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung, über die heute im EU-Parlament abgestimmt wird, sieht vor, dass Mitgliedsstaaten Internetseiten löschen oder sperren können, auf denen zu Terroranschlägen aufgerufen wird. Noch 2008 war die Kommission zu dem Schluss gekommen, Netzsperren würden die Rechtsstaatlichkeit umgehen. Eine solche Folgenabschätzung blieb dieses Mal aus.

Von Thomas Otto | 27.06.2016
    Auf einem Laptopbildschirm sieht man im Hintergrund einen komplett schwarz verhüllten Mann, der eine Waffe umgehängt hat. Er hält einen Mann in orangener Gefangenenkleidung fest, der vor ihm kniet. Im Vordergrund öffnet sich eine Seite der französischen Regierung, auf der eine rote Hand eine Sperre signalisiert.
    Frankreich sperrt bereits seit dem Frühjahr 2015 Internetseiten von Islamisten. (picture alliance / dpa / Jean-François Frey)
    Es ging ganz schnell nach den Anschlägen von Paris: Nach nicht einmal drei Wochen legte die EU-Kommission eine Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung vor. Anwerben von potenziellen Terroristen, eine entsprechende Ausbildung, Reisen für terroristische Zwecke, jegliche Art der Vorbereitung einer terroristischen Straftat: Das und noch mehr soll unter Strafe gestellt werden.
    Und das EU-Parlament geht noch einen Schritt weiter: Monika Hohlmeier von der CSU, die zuständige Berichterstatterin im Innenausschuss, hat auch das Internet in den Entwurf aufgenommen. Die Mitgliedsstaaten sollen Webseiten löschen oder sperren können, auf denen zu Terroranschlägen aufgerufen wird. Joe McNamee von der Bürgerrechtsorganisation EDRI ist das zu schwammig:
    "Wie viele Seiten? Wie viele Arten von Kommunikation? Was für ein Einfluss? Wo kann man am besten agieren, um den meisten Effekt zu haben? Stattdessen haben wir Vorschläge zum Thema Sperren und Löschen, ohne überhaupt zu wissen, was, wo und wann und wieso und wie lange gelöscht und gesperrt werden sollte."
    Arbeitskreis Zensur kritisiert geplante Netzsperren
    Hohlmeiers Vorschlag sieht vor, dass das Löschen oder Sperren von Inhalten transparent gemacht werden und verhältnismäßig sein muss. Das Löschen habe dabei Priorität, so Hohlmeier:
    "Wir haben in unseren Kompromissen enthalten – genau wie in den anderen Gesetzgebungen –, dass Seiten gelöscht werden sollen oder, dass, wenn das überhaupt nicht geht und es erforderlich ist, zumindest sie zu blockieren, dass sie dann blockiert werden können. Wann dies geschieht und ob aus ermittlungstechnischen Gründen unter Umständen Webseiten für eine gewisse Zeit aufrecht erhalten werden, das obliegt dem Ermittlungsspielraum innerhalb der Mitgliedsstaaten. Dazu ist hier nichts vorgesehen. Aber Löschen wird eindeutig präferiert. Nur dann, wenn technisch eine totale Unmöglichkeit besteht, den Löschungsvorgang zu vollziehen, ist überhaupt ein Blockieren erlaubt."
    Der Arbeitskreis Zensur, ein Interessenverband, dem unter anderem die NGO Digitalcourage und das Portal netzpolitik.org angehören, kritisiert das Sperren von Webseiten grundlegend: Netzsperren verhinderten das Löschen und bauten eine Zensur-Infrastruktur auf, die eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates unwürdig sei, heißt es in einer Stellungnahme.
    Eine Folgenabschätzung, wie sie die Kommission üblicherweise bei jedem neuen Gesetzesvorhaben durchführt, ist bei der Anti-Terror-Richtlinie ausgeblieben, um den eh schon lange dauernden Gesetzgebungsprozess nicht noch weiter zu verzögern. Noch 2008 war die Kommission in einer anderen Folgenabschätzung zu dem Schluss gekommen: Netzsperren seien wenig effizient, würden die Rechtsstaatlichkeit umgehen und die Ermittlungsarbeit behindern.
    Keine klare Definition von "Terrorismus" oder "Radikalisierung"
    Das eigentliche Problem an der Anti-Terror-Richtlinie sie aber viel grundsätzlicher, findet Cornelia Ernst, Abgeordnete der Linken im Innenausschuss. Begriffe wie "Terrorismus" oder "Radikalisierung" seien nicht klar definiert:
    "Ich meine, wir haben natürlich auch immer Sorge: Was fällt in diesen Terrorismusbereich rein? Sind das auch Leute, die kritisch sind gegenüber der Gesellschaft, in der wir leben? Sind das dann auch schon Terroristen? Wir sehen ja, was bei Erdogan los ist."
    Ernst spielt damit auf die umstrittene Anti-Terror-Gesetzgebung in der Türkei an, die dazu genutzt wird, unter anderem regierungskritische Journalisten mundtot zu machen. Die Gefahr sieht CDU-Mann Axel Voss nicht. Jeder Mitgliedsstaat unterliege dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit:
    "Von daher muss man sich jetzt auch nicht über Gebühr und theoretisierend darüber hinaus anstellen und sagen: Oh, alles ganz gefährlich. Nein, die Mitgliedsstaaten sind sehr verantwortlich im Umgang mit all diesen ganzen Dingen. Und bei Übertreibungen kann man dann immer noch reagieren. Aber die grundsätzlich vorauszusetzen halte ich für verfehlt angesichts dieser Lage, in der wir uns befinden."
    Nach der heutigen Abstimmung im Innenausschuss müssen sich Parlament und Rat über eine gemeinsame Richtlinie einigen. Über diesen Kompromiss stimmt dann das Plenum des Europaparlaments ab. Bis dahin kann es noch viele Änderungen am Papier geben.