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Sicherheitskonferenz
Gauck-Rede "kein Freibrief für militärische Aktionen"

Es solle ein Schritt gewagt werden von einer Außenpolitik der Zurückhaltung hin zu einer Außenpolitik der Verantwortung, sagte der Politikwissenschaftler Christian Hacke im Deutschlandfunk. Das bedeute aber nicht, dass Deutschland nun überall militärisch dabei sein müsse.

Christian Hacke im Gespräch mit Dirk Müller | 01.02.2014
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    Neue Aufgaben für die deutsche Außenpolitik? (dpa/picture-alliance/Wolfgang Kumm)
    Dirk Müller: Unser Thema jetzt mit dem Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Professor Christian Hacke, ebenfalls Gast, Stammgast in München. Guten Tag!
    Christian Hacke: Seien Sie gegrüßt, Herr Müller!
    Müller: Herr Hacke, sollen wir mehr Krieg machen?
    Hacke: Nein, natürlich nicht. Das war eine ganz ausgezeichnete Rede vom Bundespräsidenten, die hier auch groß angekommen ist, und ich denke, man wird sie in späteren Wochen und Monaten einmal vergleichen vielleicht mit der Ruck-Rede vom früheren Bundespräsident Roman Herzog. Ich glaube, das ist eine Parallele, die man ziehen kann. Nein, er hat natürlich plädiert, dass von der, sagen wir mal, Außenpolitik der Zurückhaltung nun ein Schritt gewagt werden sollte zur Außenpolitik der Verantwortung. Das heißt aber nicht, dass überall nun die deutschen Soldaten sein sollen, denn zur Verantwortung gehört auch Zurückhaltung. Und das hat auch der Bundespräsident deutlich gemacht. Auch dazu gehört Klugheit. Nur hat er gesagt, dass eben das militärische Mittel als letzte Notwendigkeit einfach eine stärkere Bedeutung haben muss und realistisch gesehen werden muss in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik und nicht, wie in den letzten vergangenen Jahren, dass wir uns dann, wenn Solidarität gefordert wurde, zum Beispiel in der NATO, mit Libyen und anderswo, dass wir dann dabei sind.
    Müller: Sie sagen ja, dass – Sie bringen das Stichwort, Christian Hacke. Das heißt, wenn jetzt morgen Libyen wäre, dann würden wir dieses Mal übermorgen mitmachen?
    Hacke: Nein, ich glaube – also, das zu sehen, die Rede vom Bundespräsidenten, als Freibrief für militärische Aktionen, wäre völlig falsch. Lassen Sie es mich so sagen: Wir sind die letzten 15, 20 Jahre in militärischen Dingen immer unfreiwillig, immer zu spät, immer halbherzig, fast manchmal fünftes Rad am Wagen, bei Somalia. Also, das war nicht – wir haben uns nicht mit Ruhm bekleckert. Aber nur, wenn man wirklich einmal vollgültig auch die Führungsrolle ausfüllt, wie meinetwegen, wenn es gewesen wäre in Afghanistan, dann kann man auch Nein sagen. Ich glaube, das ist die Philosophie. Es ist nicht ein Freibrief, dass wir jetzt überall dabei sein sollen. Und außerdem haben verschiedene andere, ich glaube, auch der Außenminister, deutlich gemacht, dass gerade Afrika ein sehr schwieriges Terrain ist und wir traditionell auch dort weniger Interessen haben meinetwegen als die Franzosen. Wenn ich noch einen Satz dazu sagen darf: Früher hat der französische Ministerpräsident oder Premierminister Sarkozy einmal eine Arbeitsteilung nach geostrategischen Gesichtspunkten für die EU vorgeschlagen. Die Anrainerstaaten vom Mittelmeer sollen sich eben um die Mittelmeerregion, um Nordafrika kümmern, während Länder wie Deutschland stärker in Mitteleuropa, sprich Osteuropa Verantwortung übernehmen. Das ist abgelehnt worden. Ich fand das falsch. So wäre eine Arbeitsteilung nach geostrategischen Gesichtspunkten möglich, dass nicht jeder überall irgendwo mitmischen will und letztlich keiner die Verantwortung übernimmt.
    Müller: Die meisten gehen ja jetzt davon aus, nach den Worten des Bundespräsidenten, Ursula von der Leyen hat sich auch ganz klar in diese Richtung positioniert, wir haben es eben von Klaus Remme gehört, auch der deutsche Außenminister, Frank-Walter Steinmeier ziehen da offenbar alle zumindest im Moment noch rhetorisch, politisch an einem Strang. Gilt der Satz: Ohne Militär, in der letzten Konsequenz, ist alles nichts?
    Hacke: Das ist richtig. Und das ist sicherlich auch richtig, dass es so deutlich formuliert wird. Nur, auch bei allen dreien hab ich unterschiedliche Akzente gesehen. Außenminister Steinmeier hat ganz klar sich bekannt nach wie vor zu einer außenpolitischen Verantwortung, zu einer außenpolitischen Kultur oder einer Außenpolitik der Zurückhaltung. Womit er aber sagt, man soll nicht länger abseits stehen. Das mag semantisch vielleicht ein bisschen spitzfindig sein. Ich will auch nicht jetzt ...
    Müller: Also keine große Änderung?
    Hacke: ... keine Haarspalterei betreiben. Es sind gewisse Veränderungen, aber der Außenminister ist sehr vorsichtig nach wie vor, gerade mit Blick auf Mali. Wir könnten sagen, dass er hier noch im Abstimmungsprozess ist auch mit der Verteidigungsministerin, die übrigens hier einen fabelhaften Eindruck gemacht hat auch mit ihrer Rede. Also, das ist, glaube ich, die entscheidende Botschaft. Die deutsche Außenpolitik ist durch diesen Anstoß des Bundespräsidenten jetzt wieder mutiger, couragierter geworden. Und ob wir auf Augenhöhe sind – ich sehe noch nicht das Licht am Ende des Tunnels. Aber es ist Hoffnung. Und dem schließen sich in einem gewissen Umfang die Verteidigungsministerin, aber auch der Verteidigungsminister an. Und das ist eine gute Nachricht nach den vergangenen Ministern, die wir hatten, sowohl im Außenbereich als auch in der Verteidigung, die also weitaus weniger in diesen Schritten gewagt haben. Und das sagen wir ganz konkret, das erste, was Steinmeier und Frau von der Leyen jetzt gemeinsam gemacht haben, die deutsche Verantwortung natürlich und das Mittun bei der Vernichtung der C-Waffen in Syrien, was lange von Außenminister Westerwelle völlig blockiert wurde aus unergründlichen Gründen.
    Müller: Wir haben ja immer ein bisschen Schwierigkeiten, Tacheles zu reden, Klartext zu reden, vielleicht auch Klartext zu handeln, wie Sie es gerade kritisiert haben, gerade mit Blick auf die vergangenen 20 Jahre, die zurückliegenden 20 Jahre. Aber wir haben auch Schwierigkeiten beispielsweise gehabt, zu sagen, in Afghanistan ist Krieg. Da musste auch erst ein deutscher junger Verteidigungsminister kommen, der dann nicht lange Verteidigungsminister war. Wird jetzt jemand den Mut haben, ganz klar zu sagen, wenn wir das alles machen wollen, politisch einerseits, humanitär andererseits, aber eben auch, wenn es darauf ankommt, militärisch, dass es dann in Zukunft alles teurer wird und wir mehr tote deutsche Soldaten haben werden?
    Hacke: Das kann man nicht ausschließen. Selbst bei mehr Klugheit heißt das nicht weniger Tote. Es kommt auf das Engagement drauf an. Und wie ich gesagt habe, wir sollten unsere Schwerpunkte, wo wir uns engagieren, klug und bewusst, aussuchen, und uns nicht überall verzetteln. Deshalb bin ich auch mit dem Blick nach Afrika relativ zurückhaltend. Und das wird ja in der deutschen Bevölkerung geteilt. Und hier vor allem die deutsche Linke, der Bundestagsabgeordnete Liebig, wenn ich mich richtig erinnere, hat auch darauf verwiesen, dass hier auch französische Wirtschaftsinteressen ganz anders ins Gewicht fallen. Und wenn Sie heute den französischen Außenminister Fabius gehört haben, der hat dann immer gesprochen – indirekt wurde klar, Frankreich geht vor und nun soll die EU folgen, natürlich auch zur Deckung französischer Interessen. Das ist vielleicht manchmal ein bisschen überspitzt, aber da ist was dran. Und man sollte auch darauf hören, und wir sollten sehr genau darauf achten, was auch unsere nationalen Interessen sind. Es gibt ein Gemeinschaftsinteresse, aber, und das ist der entscheidende Punkt: Wir brauchen auch bei dem, was der Bundespräsident gesagt hat, eine neue Balance zwischen nationalen und übernationalen Interessen. Wir haben in der Vergangenheit eine Dämonisierung des nationalen Interesses Deutschlands gehabt, querdurch, auch auf offizieller Ebene. Und eine blinde Idealisierung des Gemeinschaftsinteresses. Wir brauchen heute mehr Nüchternheit ...
    Müller: Horst Köhler hat das ja schon mal versucht.
    Hacke: ... und eine neue Balance zwischen diesen beiden, Gemeinschafts- und dem nationalen Interesse.
    Müller: Entschuldigung, Herr Hacke, ich habe noch so viele Fragen. Ich wollte kurz dazwischen gehen noch mal. Also, Hörst Köhler hat das ja schon mal versucht, ganz klar zu sagen, es geht auch bei internationalen Konflikten, bei Beteiligung deutscher Soldaten an internationalen Konflikten auch um die Sicherung wirtschaftlicher Interessen.
    Christian Hacke
    Geboren 1943 in Clausenhof, heutiges Polen. Christian Hacke studierte Politikwissenschaften, Soziologie und Rechtswissenschaften in Berlin und Freiburg. 1980 habilitierte er. Er lehrte an verschiedenen Universitäten, zuletzt am Institut für Politische Wissenschaften und Soziologie an der Universität Bonn. Seine Forschungsschwerpunkte sind die jüngere deutsche Geschichte, deutsche und Innen- und Außenpolitik, amerikanische Geschichte und Außenpolitik sowie die transatlantischen Beziehungen.
    Hacke: Ja, genau. Und jetzt überlegen wir mal. Der damalige Bundespräsident Köhler, aus Wut darüber, und das verstehe ich auch, dass die deutsche Bevölkerung, die deutschen Politiker ihn nicht gedeckt haben, als er im Zusammenhang mit Afghanistan gesagt hat, es geht auch, wenn wir uns hier engagieren, um geostrategische Interessen, um die Sicherung der Seewege und um andere Wege, um unsere ökonomischen Interessen zu sichern. Das war für ihn wahrscheinlich untragbar, nicht nur weil es Opposition gab bei den anderen Parteien, sondern weil die eigene Partei, die CDU/CSU ihn nicht gedeckt hat. Das war eigentlich, finde ich, der Skandal. Also ich kann ihn gut verstehen, und so gesehen, ist natürlich von den Äußerungen und von den Umständen, die dazu führten, dass damals Bundespräsident Köhler zurücktrat und heute Bundespräsident Gauck das eben offensiv vertritt, das ist ein massiver Schritt nach vorne, der begrüßt werden muss. Und vor allem ist es wichtig, weil diejenigen, ich unmaßgeblich auch, aber andere, wichtigere Personen, die seit Jahren versuchen, in der deutschen Außenpolitik in der Diskussion mehr Realismus reinzubringen, dafür zu plädieren, dass die jetzt Rückenwind bekommen. Und das muss auch an den Universitäten passieren. Und der Bundespräsident hat auch zu Recht darauf verwiesen, dass heute an den Universitäten über Außen- und Sicherheitspolitik nicht vorurteilsfrei gelehrt werden darf. Nehmen Sie den Fall an der Universität Bonn, wo ich bin. Da gibt es jetzt einen Skandal, dass die geplante Henry-Kissinger-Professur von irgendwelchen Asta-Leuten oder ähnlichen linken Gruppierungen blockiert werden soll. Was für ein Irrwitz, nicht? Aber so weit sind wir schon. Und deshalb ist es wichtig, dass der Bundespräsident dafür plädiert, eine neue, aufgeschlossene außenpolitische Kultur im Land, und das gilt fürs Bildungssystem, dafür plädiert.
    Müller: Herr Hacke, ich bekomme schon Zeichen der Regie, dass wir am Ende unserer eingeplanten Zeit sind, ich muss ein wenig darauf achten. Aber Sie reden ja Tacheles und Klartext ja auch, wenn Sie sagen, Sie sind nicht ganz so wichtig wie Frank-Walter Steinmeier. Ich muss eine Frage noch mal stellen aus dem Kontext heraus, was Sie gesagt haben. Also Sie würden jetzt unterschreiben, wir sollten den Franzosen in Afrika nicht in die Falle gehen?
    Hacke: Ich bin vorsichtig. Dazu muss das Ganze abgedeckt werden. Ich sage nur, dass solche Dinge mit dabei sind und wir traditionell dort keine Interessen haben. Wir haben – es müsste mehr Arbeitsteilung geben nach dem, wie ich es vorhin gesagt habe. Deshalb bin ich vorsichtig. Es kann sein, wenn die sich so abstimmen – es gibt ja auch die anderen Bemühungen, dass man die deutsch-französische Achse wieder in die Spur bringen will, dass hier sie mehr übernehmen soll, damit es zu einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik kommt. Das ist wieder ein Argument, dass man vielleicht bei Mali dabei sein sollte. Also, Sie sehen, diese Entscheidung für Mali oder Zentralafrika, dass wir dort mehr tun sollten – ich sehe eher die Qual der Wahl. Ich sehe keine Option zwischen richtig oder falsch, sondern eher als Belastung, wie immer wir entscheiden werden, hab ich ein bisschen Bauchschmerzen.
    Müller: Bei uns heute Mittag, live im Deutschlandfunk, der Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Christian Hacke. Danke für das Gespräch! Ihnen noch interessante Stunden in München!
    Hacke: Danke Ihnen, Herr Müller. Wiederschauen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.