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Sicherheitskräfte statt Lehrer

An französischen Schulen häufen sich brutale Gewalttaten. Anfang des Jahres wurde ein 18-jähriger Schüler in seinem Gymnasium in einem Pariser Vorort von einem Mitschüler durch Messerstiche tödlich verletzt. In den vergangenen Jahren gab es zahlreiche Pläne, die Schulen zu schützen. Bislang ohne Erfolg. Nun helfen sich die betroffenen Schulen selbst.

Von Bettina Kaps | 06.04.2010
    Kurz vor acht Uhr morgens in Villeneuve-le-Roi, einer Stadt südlich von Paris. Von allen Seiten strömen Schüler auf das Gymnasium Georges Brassens zu. Am Eingangstor stehen zwei Männer in olivfarbenen Anoraks mit der Aufschrift EMS, das ist die französische Abkürzung für "Mobiles Sicherheitsteam". Tarik Hafidi und Stephane N´Dri beobachten, wer das Schulgelände betritt:

    "Inzwischen kennen wir die meisten Schüler und sie kennen uns. Wer nicht hierher gehört, verhält sich anders, der schaut uns genauer an. So einen fragen wir nach seiner Schülerkarte. Außerdem gibt es eine Kameraüberwachung und die Pförtnerin ruft uns an, wenn sie auf dem Bildschirm ein fremdes Gesicht bemerkt."

    Hafidi arbeitete zuvor als Sicherheitskraft bei der Flugüberwachung, N´Dri war Hilfspolizist. Seit September gehören die Beiden zum ersten Mobilen Sicherheitsteam des Departements Val de Marne und unterstehen der Schulverwaltung. Sie und ihre acht Kollegen sind jetzt für die 80 Oberschulen des Departements zuständig.

    Derartige Einsatzgruppen gibt es inzwischen in ganz Frankreich. Sie sollen die Schulleiter unterstützen: Bei Spannungen oder Gewalttaten können die Direktoren ein Sicherheitsteam anfordern, damit es die Lage entschärft. Wenn alles ruhig ist, wie an diesem Morgen, zeigen Hafidi und N´Dri einfach Präsenz und suchen den Dialog mit den Schülern.

    Ein Junge bleibt stehen, äußert Zweifel. Das Sicherheitsteam sei ja nicht bewaffnet, daher könnten die Männer nicht wirklich eingreifen. Darum geht es nicht, meint Stephane N´Dri.

    "Wir sind keine Polizisten. Wenn es wirklich brenzlig wird, rufen wir die Polizei zur Hilfe. Aber oft ist das gar nicht nötig. Wir sorgen dafür, dass du vor und in der Schule nicht angegriffen wirst, das ist unser Job."

    Während Polizisten im Innern der Schulen nicht gern gesehen sind, können die neuen Sicherheitskräfte auch auf Pausenhöfen und in den Gängen patrouillieren, sofern der Schulleiter das wünscht. Mireille Durafour, die Direktorin des Gymnasiums Georges Brassens, schätzt die Unterstützung des Mobilen Sicherheitsteams.

    "Wir haben hier 1.250 Schüler, und das Gelände ist viereinhalb Hektar groß, also schwer zu überwachen, das macht uns Sorgen. Der Zaun ist niedrig, da kann man leicht drüber klettern. Unsere Schüler stammen aus mehreren Kommunen der Umgebung. Manchmal werden die Rivalitäten einzelner Vorstadtsiedlungen in die Schule hinein getragen. Die mobilen Sicherheitskräfte haben uns sehr geholfen, als das Gymnasium im Februar blockiert wurde."

    Zu Jahresbeginn gab es in Pariser Vorstadtschulen wieder spektakuläre Gewalttaten: Ein 18-jähriger Schüler wurde von einem Mitschüler erstochen. In zwei andere Schulen drangen Jugendbanden ein, sie verprügelten ihre Opfer vor den Augen des jeweiligen Lehrers, es gab Verletzungen durch Cutter und Messer. Die Vorfälle lösten ein Klima der Angst aus. In Villeneuve-le-Roi wollten aufgebrachte Jugendliche daraufhin das Gymnasium blockieren und den Unterricht verhindern. Die Direktorin fürchtete rief das Mobile Sicherheitsteam zur Hilfe:

    "Sie haben das ganze Schulgelände abgesichert, um Eindringlinge abzuhalten und Sachbeschädigungen zu verhindern. Außerdem haben sie uns geholfen, die Mittelschüler in die Schule einzulassen. Wir haben Hand in Hand gearbeitet."

    Es gibt keine Statistik, aus der hervorginge, ob die Gewalt an den französischen Schulen wirklich zunimmt. Fest steht allerdings, dass sie sich vor allem auf rund 100 Schulen konzentriert, die in besonders sozial vernachlässigten Vierteln liegen. Und dass immer häufiger Lehrer und Aufsichtspersonal angegriffen werden. Genau die halten jedoch wenig von den Mobilen Sicherheitsteams. Audrey Provost unterrichtet Geschichte und Geografie:

    "Diese Sicherheitsteams sind ein Gag angesichts der Probleme, die wir hier haben. Sie kommen doch immer zu spät, nach dem Gewaltakt. Wir fordern, dass man aufhört, unsere Mittel zu kürzen. Wir verlangen mehr Lehrer, mehr Aufsichtspersonal in der Schule. Nur so können wir unseren Beruf korrekt ausüben und vorbeugend eingreifen. Wir lehnen es ab, dass man uns jetzt auch noch die Orientierungslehrer und die Psychologen streicht. Diese Teams, das ist die verkehrte Antwort auf die Spannungen, die nur schlimmer werden können."

    Wie alle Beamten in Frankreich sind auch die Lehrer von einem massiven Stellenabbau betroffen. Seit 2008 wurden an den Schulen 24.000 Posten gestrichen, und in diesem Jahr sollen noch einmal 16.000 Lehrerstellen eingespart werden.