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Sicherheitspolitik
Wie sicher ist Europa im Trump-Zeitalter?

Nach den Gipfelpleiten mit US-Präsident Donald Trump hat Bundeskanzlerin Angela Merkel betont, dass sich Europa auf sich selbst besinnen müsse. Doch welche Art von Eigenständigkeit meint sie eigentlich? Eine ernst gemeinte militärische Unabhängigkeit von der Großmacht USA - die dürfte jedenfalls teuer werden.

Von Kai Küstner | 30.05.2017
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (l.) und US-Präsident Donald Trump beim G7-Gipfel in der italienischen Stadt Taormina
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (l.) und US-Präsident Donald Trump beim G7-Gipfel in der italienischen Stadt Taormina (imago / Gutschalk)
    Es fällt, zugegeben, nicht ganz leicht, sich US-Präsident Donald Trump in einem Kreißsaal vorzustellen. Dennoch wurde Trump schon vor seiner ersten Europa-Reise als eine Art "Geburtshelfer" einer eigenständigen Europäischen Verteidigungspolitik gehandelt.
    Doch die zu verwirklichen, warnt der Sicherheitsexperte Jan Techau im Interview mit dem ARD-Europastudio Brüssel, wird erstens nicht einfach und zweitens teuer. Müsste doch die EU den Beweis erbringen, dass sie in ihrer Nachbarschaft sowohl militärisch als auch mit Entwicklungshilfe und Diplomatie für Sicherheit sorgen kann: "Wir sind bislang nicht bereit für diese Ausgaben, finden es ganz bequem, dass jemand anders die Hauptlast trägt – diese Mentalität müssen wir loswerden. Ansonsten wird das nichts mit einer stärkeren Unabhängigkeit."
    Ohne US-Schutzschirm nackt
    Donald Trump hatte im Wahlkampf durchblicken lassen, dass er die Europäer nur zu schützen bereit ist, wenn sie genug in die NATO-Kasse einzahlen. Techau zufolge müssten die Europäer aber auch für ihre Eigenständigkeit tiefer in die Tasche greifen: Mehr Geld auszugeben, scheint also unausweichlich.
    Wobei der Direktor des Holbrooke-Forums an der American Academy, Jan Techau, unterstreicht, dass Europa ohne den US-Schutzmantel nach wie vor sehr nackt dastünde: "Der sorgt letztlich ja dafür, dass nicht Russland die dominierende geopolitische Macht in Europa ist, was es aufgrund der geographischen Lage eigentlich sein müsste. Das ist aber durch die amerikanische Präsenz und den Nuklearschirm aufgehoben. Die Europäer könnten von alleine die Kraft nicht aufbringen, sich aus dieser geographischen Realität zu befreien."
    Stoltenberg: Kernbotschaft unverändert
    Nun wird diesseits des Atlantiks derzeit – trotz des Merkel-Satzes, die Europäer müssten ihr Schicksal in ihre eigenen Hände nehmen – kaum ein Staat wirklich auf den US-Schutzschirm verzichten wollen. Doch die Angst davor, die USA könnten diesen zuklappen, gibt es durchaus.
    Nachdem Trump beim NATO-Gipfel eben auf den entscheidenden, beruhigenden Satz – den Treueschwur – verzichtet hatte. Wobei Generalsekretär Jens Stoltenberg bei jeder Gelegenheit zu beruhigen versucht. Und auch im Interview mit dem ARD-Europastudio Brüssel nach dem Gipfel lediglich zugeben mochte, dass Trump zu einer ungewohnt unverblümten Wortwahl neige: "Aber obwohl die Worte, der Stil und die Sprache neu sind, ist die Kernbotschaft genau die, die wir auch von vorherigen US-Regierungen gehört haben: Dass wir eine faire Lastenteilung in der NATO-Allianz brauchen."
    "Sind wir noch sicher?"
    Während man sich bei der NATO also gelassen gibt und darauf verweist, dass die gesamte US-Administration sich ja längst zu ihr bekannt habe, scheint die europäische Nervosität ansonsten eher gewachsen, nachdem auch beim EU- und G7-Treffen die transatlantischen Bruchstellen offen zutage traten: "Immer dann, wenn Amerika – von dem man so abhängig ist – nicht steht und Europa gar nicht richtig wahrnimmt, dann ist hier höchste Alarmstufe angesagt. Das macht den Europäern Angst: Sind wir noch sicher? Und die ist umso stärker ausgeprägt, je weiter man nach Osten kommt."
    Schon im November hatten Experten direkt nach der Trump-Wahl von einer großen Gefahr, aber auch von einer großen Chance für Europa gesprochen. Das scheint noch immer zu gelten. Doch sollten die USA wirklich auf die Idee kommen, ihre schützende Hand mehr und mehr zurückziehen, träfe das die Europäer gegenwärtig völlig unvorbereitet.