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"Sicherheitspolitisch nicht mehr zu begründen"

Material aus Bundeswehrkreisen deutet auf einen radikalen Umbau der Bundeswehr und damit einem Kurswechsel in der Organisation der Verteidigungspolitik in Deutschland hin. Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, meint, dass die Bundeswehr zum Spielball der Fiskalpolitik wird.

Rainer Arnold im Gespräch mit Silvia Engels | 13.08.2010
    Silvia Engels: Am Telefon ist Rainer Arnold. Er ist der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Tag, Herr Arnold.

    Rainer Arnold: Schönen guten Tag, Frau Engels.

    Engels: Haben diese Zahlen Sie überrascht?

    Arnold: Nein, die Zahlen haben mich nicht überrascht, weil Ausgangspunkt ist ja dieses sogenannte Spardiktat, das übrigens Herr zu Guttenberg selbst beschlossen hat, obwohl er es nachher so nennt. Und wer diese 8,3 Milliarden einsparen will, der kommt nicht darum herum, 40.000 Zeit- und Berufssoldaten weniger zur Bundeswehr zu holen. Es ist aber ein Kahlschlag und macht die Bundeswehr wirklich zum Spielball der Fiskalpolitik und ist nicht mehr sicherheitspolitisch zu begründen.

    Engels: Dann schauen wir erst mal auf das, was angeblich geplant ist. Das wäre also auf der einen Seite der Abbau der Zeit- und Berufssoldaten. Die Wehrpflicht allerdings nur noch für die, die sich freiwillig melden. Was ist denn von dieser Idee der freiwilligen Wehrpflicht zu halten?

    Arnold: Diesen Begriff "freiwillige Wehrpflicht" kann es natürlich nicht geben, aber einen freiwilligen Grundwehrdienst kann es sehr wohl geben, und das ist ein Trippelschritt in die richtige Richtung. Sozialdemokraten haben ja bereits seit drei Jahren gemerkt, dass man die Wehrpflicht mit "Augen zu" und "weiter so" nicht auf Dauer sichern kann. Deshalb ist dieser Grundgedanke, der von uns kommt, zu sagen, wir wollen nur noch diejenigen einziehen, die sich zuvor freiwillig erklärt haben, ihren Grundwehrdienst zu leisten, richtig. Aber wir wollen dies auf der ganzen Breite, in allen gesellschaftlichen Bereichen. Wir wollen das attraktiv machen, ideell und materiell. Und ich habe den Eindruck, zu Guttenberg plant jetzt so ein kleines Segment nur für die Bundeswehr. Das zeigt auch, dass die 7500 ja in keiner Weise ausreichend sind. Dafür lohnt der ganze Aufwand nicht. 7500 sind auch keine wirkliche Basis zur Nachwuchswerbung bei Zeit- und Berufssoldaten. Ich habe eher die Sorge, dass es ein Placebo ist mit dem Ziel, die Unions-Politiker, die für die Wehrpflicht sind, ein Stück weit ruhig zu stellen, aber nicht wirklich ernst gemeint, sich der Idee, Stärkung der freiwilligen Dienste, zuzuwenden.

    Engels: Sie haben es angesprochen: 7500 Männer und Frauen würden demnächst, wenn es nach den Plänen geht, freiwillig die Wehrpflicht ableisten, sie sollten ein Jahr bleiben. Aber würden es denn überhaupt so viele werden?

    Arnold: Da wäre ich sehr gelassen. Wenn das materiell vernünftig ist, also sage ich mal die jungen Menschen so viel bekommen wie ein Auszubildender im Betrieb, wenn es ideell zur gesellschaftlichen Anerkennung führt, wenn andere Faktoren wie Berücksichtigung bei Studienplatzvergaben, ganz zu Ende gedacht auch ein Personalchef fragt, weil er weiß, junge Menschen, die ein freiwilliges Jahr und freiwilligen Dienst für unsere Gesellschaft geleistet haben, haben einen erweiterten Horizont, das bringt ihnen ja selbst was, sie bringen bessere soziale Kompetenzen mit in den Betrieb rein, wenn all diese Rahmenbedingungen mit einer großen intelligenten Anstrengung untermauert werden, dann finden wir ganz locker auch 25.000 Freiwillige für die Bundeswehr, und das wäre eine Größenordnung, wie wir sie für sachgerecht hielten.

    Engels: Aber ist das Ganze nicht ein großer Etikettenschwindel? De facto gäbe es doch keine ernst zu nehmende Wehrpflicht mehr. Müsste man sich nicht einfach dazu bekennen?

    Arnold: Es gibt de facto keinen Zwang, jemand einzuziehen. Nach unserem Modell besteht aber die Möglichkeit. Und Sicherheitspolitik ist eine Frage von langfristiger Vorsorge. Niemand weiß, wie die Welt in 20, 30 Jahren aussieht. Niemand weiß, wie sich die Demografie auch auf die Streitkräfte auswirkt. Wenn es immer weniger junge Menschen gibt, bleiben wir dann überhaupt noch in der Lage, Sicherheit zu gewährleisten? Viele offene Fragen und deshalb ist es richtig, nur diejenigen einzuziehen, die man tatsächlich braucht. Das sind eben nicht mehr 60.000 wie im Augenblick, sondern, wie wir meinen, 25.000. Aber die Grundidee der Wehrpflicht, es gibt eine gemeinsame Verantwortung zur Sicherheit in unserem Land, die bleibt als Signal bestehen.
    Und ich halte einen weiteren Aspekt für wichtig. Wenn wir uns in dieser Art und Weise von Verantwortung abmelden als größtes Land in Europa, wie es zu Guttenberg vorhat, dann schwindet auch die Idee einer europäischen gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die baut nämlich darauf, dass Deutschland, Frankreich und Großbritannien auf Augenhöhe Motor sind und auch bestimmte Fähigkeiten zur Bündnisverteidigung zur Verfügung stellen. Ich bin überhaupt nicht der Auffassung von der Kollegin Hoff, die gerade eben gesagt hat, wir brauchen nur noch eine Interventionsarmee. Nein, wir brauchen die Möglichkeit der Krisenbewältigung ebenso wie glaubhafte Beiträge zur Bündnisverteidigung, und deshalb glaubhaft, weil je glaubhafter wir sind, umso zuverlässiger können wir sein, dass wir sie nie brauchen werden. Dieses Prinzip muss auch in Zukunft gelten.

    Engels: Nun haben wir ja laut diesen Plänen, die ja bislang noch nicht bestätigt sind, eine Größenordnung von 165.000 bis 170.000 Männern und Frauen bei der Bundeswehr zu erwarten. Wäre das denn für die beiden von Ihnen skizzierten Aufgaben überhaupt noch eine handelbare Größe?

    Arnold: Nein. Die Größe entspricht weder dem Gewicht und den Interessen Deutschlands, noch entspricht sie den Aufgaben bei den Streitkräften. Natürlich kann man durch Straffung der Führungsorganisation, an manchen Stellen durch Effizienzsteigerung durchaus noch was erreichen, aber ein Kahlschlag mit 40.000 Zeit- und Berufssoldaten weniger würde am Ende bedeuten, dass die Bundeswehr entweder ihre Zusagen gegenüber den Bündnissen nicht mehr einlösen kann, oder - und was ich befürchte -, dass falls diese Zusagen gefordert werden, die Soldaten in einer Art und Weise gefragt sind, dass unsere Idee von Staatsbürger in Uniform, also vier Monate im Einsatz, dann aber auch wieder eine Sicherheit, zwei Jahre zu Hause, im sozialen Umfeld zu sein, nicht eingelöst werden kann. Da lohnt es sich, mal nach Großbritannien zu schauen; die haben eine kleinere Armee mit vielen Aufgaben. Die Belastung der Soldaten ist enorm. Dies tut unserer Gesellschaft, den Soldaten und deren Familien nun wirklich nicht gut.

    Engels: Herr Arnold, Sie haben es schon angedeutet: Es geht ja mit diesen Plänen, was die Zahlen angeht, damit auch einher, dass die Bundeswehrstrukturen gestrafft werden sollen. Laut dieser Pläne ist jetzt auch überlegt, die Rolle des Generalinspekteurs und die des Planungsstabs zu stärken. Wäre das eine gute Richtung?

    Arnold: Ich glaube, die Richtung kann man gehen. Wir haben im Augenblick eine sehr aufgeteilte Verantwortung. Dies führt manchmal zu langsamen Prozessen, auch zum Weiterschieben von Verantwortlichkeiten. Deshalb glaube ich schon, dass es richtig ist, dass im dienstrechtlichen Sinn der Generalinspekteur auch Vorgesetzter der Soldaten in den Teilstreitkräften wird und dass die Inspekteure der Teilstreitkräfte dann unter ihm arbeiten. Allerdings muss eines klar sein. Wenn er jetzt auf diesem Organisationsdiagramm auf der Höhe der Staatssekretäre eingezeichnet wird – wir sind nicht der Auffassung, dass der Generalinspekteur, also der oberste Soldat, Vertreter der Politik sein kann. Also er darf nicht wie ein beamteter Staatssekretär oder wie ein parlamentarischer den Minister nach innen und außen vertreten. Das ist aber ein Detailproblem, von dem ich glaube, das es lösbar ist.

    Engels: Sie haben eben noch einmal den Bürger in Uniform hervorgehoben, der ja durch die Wehrpflicht immer gegeben war. Droht denn durch diesen Umbau die Verselbstständigung der Bundeswehr, möglicherweise auch in eine Richtung, die man nicht haben möchte?

    Arnold: Ich habe keine Sorge. Dieses alte Argument, wir brauchen die Wehrpflicht auch, damit die gesellschaftliche Kontrolle bei den Streitkräften gewahrt bleibt, das kommt aus einer Zeit, in der noch viel altes Denken, sage ich mal, dieses alte Kommissdenken auch bei den Streitkräften in den 60er-Jahren, vorhanden war. Heute haben wir Soldaten, die Zeit- und Berufssoldaten sind, die gefestigte Demokraten sind. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Die Wehrpflichtigen haben aber eine andere Bedeutung. Sie bringen die gesamte soziale Breite in unsere Gesellschaft herein und nicht bei den Mannschaftsdienstgraden so wie in Großbritannien dann eben diejenigen, die auf dem Arbeitsmarkt und in den schulischen Leistungen sehr schlecht sind. Die wollen wir bei der Bundeswehr nicht haben. Dies würde das Gefüge der Streitkräfte mit den Prinzipien der inneren Führung massiv infrage stellen. Diese Prinzipien, auch die Frage von Auftragstaktik, verlangt auch bei den Mannschaftsdienstgraden Soldaten, die klug sind, und die erreichen wir über die Wehrpflicht, zumal die Wehrpflichtigen ja auch die Chance haben, den Betrieb Bundeswehr kennen zu lernen und sich dann zu entscheiden, möglicherweise Zeit- oder Berufssoldat zu werden. Soldat zu werden ist kein Job wie jeder andere, wo man einfach einen Vertrag unterschreiben sollte. Deshalb wäre es gut, wenn möglichst viele junge Menschen rein kommen in die Bundeswehr, die Truppe kennen lernen und sich in dieser Zeit überlegen, ob dies vielleicht eine berufliche dauerhafte Perspektive für sie ist.

    Engels: Die neuen Pläne zum möglichen Umbau der Bundeswehr besprachen wir mit Rainer Arnold. Er ist der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Vielen Dank für das Gespräch.

    Weitere Informationen zum Thema:
    Bisher geheime Pläne für Bundeswehr der Zukunft
    (DLF, Interview 13.8.2010)

    Aktuell: Der geordnete Teil-Rückzug aus der Wehrpflicht