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"Sie glauben, dass die leiseste Kritik sie jederzeit vom Stuhl fegen könnte"

Vor vier Monaten wurde der Südsudan gegründet. Die Regierung in Juba weiß um die Not im Land, aber sprechen darf man nicht darüber. Obwohl die Pressefreiheit in der neuen Verfassung eigentlich garantiert ist.

Von Pierre-Christian Fink und Benno Müchler | 19.11.2011
    Der Schreibtisch sieht noch genauso aus, wie Ngor Garang ihn verlassen hat. In der Mitte liegt ein blauer Kugelschreiber. An der Ecke ein Stapel Notizblöcke, daneben eine Wasserflasche, zu zwei Dritteln leer getrunken. Zum letzten Mal saß Ngor Garang hier am 1. November. Da war er noch Chefredakteur der Tageszeitung The Destiny in Südsudans Hauptstadt Juba. Dann bekam er eine Vorladung zum Gespräch mit Beamten des Geheimdienstes NSS. Begleitet hat ihn damals sein Verleger Dhieu Mathok:

    "Wir waren zu einer Diskussion eingeladen. Wir erwarteten ein konstruktives Gespräch. Wir dachten, dass wir uns zusammensetzen können und klären, ob unsere Zeitung einen Fehler gemacht hat und wenn ja, wie wir das wieder aus der Welt schaffen können. Aber nach zwei Stunden Gespräch wurde uns ein Brief überreicht, der die Einstellung der Zeitung verfügte, und dann wurde der Chefredakteur festgenommen."

    Es ist der größte Medienskandal in der Geschichte des jungen Landes Südsudan. Auslöser war die Hochzeit der Präsidententochter: Statt wie üblich einen Mann aus ihrem Stamm, den Dinka, zu wählen, heiratete sie vor einem Monat einen ausländischen Geschäftsmann. Ein Affront gegenüber den Stammesgenossen, fand der Kommentator der Destiny, Dengdit Ayok. Er glaubte zu schreiben, was viele Südsudanesen empfanden. Doch der Geheimdienst NSS sah in dem Kommentar einen Angriff auf den Präsidenten.

    Mittlerweile ist auch er verhaftet worden, wie sein Chefredakteur – ohne Rechtsanwalt, ohne Anklage, ohne einen Richter zu sehen. Die beiden sitzen in der Zentrale des Geheimdienstes NSS, am Stadtrand von Juba. Ein fensterloser Bau, vier Stockwerke hoch, verkleidet mit grau-blauen Kunststoffplatten und umgeben von einem drei Meter hohen Zaun. Die Bewohner von Juba haben Angst vor dem Gebäude. Der Taxifahrer will hier gar nicht erst anhalten. Ein Foto machen? Viel zu gefährlich, sagt er. Verleger Dhieu Mathok hat es trotzdem gewagt, dort mit seinen beiden Redakteuren zu sprechen:

    "Sie haben viele Beschwerden: Sie werden gefoltert. Sie bekommen zu wenig zu essen und zu wenig zu trinken. Aber vor allem die Folter: In manchen Nächten kamen Geheimdienstler und haben sie aus ihren Zellen geholt, dann wurden sie geschlagen und schließlich in die Zellen zurückgebracht."

    Etliche Nichtregierungsorganisationen – internationale wie Reporter ohne Grenzen, nationale wie die Association for Media Development in South Sudan – fordern mittlerweile ihre Freilassung. Doch der Mann, der das Schicksal der beiden Journalisten in der Hand hat, denkt gar nicht daran. Erst vor wenigen Tagen hat Präsident Salva Kiir in einer Rede noch einmal bekräftigt, die Journalisten säßen zu Recht in Haft. Mit markigen Sprüchen versuchte er, über einen klaren Rechtsbruch hinwegzutäuschen. Denn Artikel 19 der südsudanesischen Verfassung schreibt vor, dass kein Verdächtiger länger als 24 Stunden inhaftiert werden darf, ohne dass ein Richter entscheidet. Und für die Aufsicht über die Presse ist eigentlich nicht der Geheimdienst zuständig, sondern das Informationsministerium. Dessen Vizechef, Atem Yaak Atem, streitet jede Verantwortung für die Festnahmen ab:

    "Ich kann mich nicht dazu äußern, ob das Vorgehen gegen die beiden Journalisten gerechtfertigt war. Vielleicht haben das Leute entschieden, ohne die Familie des Präsidenten überhaupt zu fragen. Ich habe keine Ahnung. Im Kabinett ist dieser Fall niemals diskutiert worden."

    Als das Aufnahmegerät ausgeschaltet ist, wird Yaak Atem deutlicher. Er habe den Eindruck, dass der Präsident und der Geheimdienstchef glaubten, sie stünden über dem Gesetz. Ein Alleingang also, vorbei nicht nur an Gerichten und Parlament, sondern auch an weiten Teilen der Regierung? Durchaus möglich im jungen Land Südsudan, in dem die demokratischen Institutionen noch schwach sind.

    "Es ist zu früh, von uns eine Demokratie zu erwarten, wie es sie in Deutschland oder in Amerika gibt. Wenn Sicherheitskräfte Journalisten festnehmen für Dinge, für die sie in Europa nicht festgenommen werden würden, muss man das im Kontext unserer sich entwickelnden Institutionen sehen. Sie sind noch zu schwach, aber wir lernen dazu."

    Das klingt, als würden sich die Dinge im Südsudan zum Guten entwickeln. Tom Rhodes vom Committee to Protect Journalists sieht das anders. Gerade erst ist er für einen Report über die Lage der Pressefreiheit durch das Land gereist, hat mit Dutzenden Journalisten gesprochen. Sein Fazit:

    "Es gab etliche Fälle, in denen Journalisten kurzfristig in Haft genommen wurden. Die Festnahmen waren jedes Mal willkürlich, ohne Bezug auf Gesetze, ohne dass eine Anklage erhoben wurde. Das ist ein Trend, der enden muss, bevor ein solcher Umgang mit der Presse im Südsudan noch zur Regel wird."

    Rhodes hofft auf ein Pressegesetz, eines, das die Rechte der Journalisten unmissverständlich festschreibt. So etwas gibt es bisher noch nicht im Südsudan. Dabei hat die Arbeit an einem Pressegesetz schon kurz nach dem Friedensabkommen 2005 begonnen. Der erste Entwurf räumte den Journalisten viele Freiheiten ein. Dann wurde der Gesetzestext immer enger gefasst. Und schließlich zog der zuständige Minister das Gesetz ganz zurück. Die Regierung habe kein Interesse an einer freien Presse, meint Nhial Bol, der Chefredakteur der unabhängigen Tageszeitung The Citizen:

    "Die Korruption ist sehr hoch und die Regierung will sich schützen. Das ist der erste Grund. Der zweite ist: Die Regierenden sind unsicher, sie haben kein Vertrauen in sich, dass sie regieren können. Sie glauben, dass die leiseste Kritik sie jederzeit vom Stuhl fegen könnte."

    Chefredakteur Bol wurde für seine Berichterstattung über korrupte Regierungsmitglieder schon dreimal verhaftet. Er glaubt nicht daran, dass in naher Zukunft ein Pressegesetz verabschiedet wird. Im Moment liegt noch nicht einmal ein Entwurf im Kabinett vor. Traurig für ein Land, das sich seine Freiheit in 22 Jahren Bürgerkrieg erkämpfen musste, sagt Dhieu Mathok, der Verleger der verbotenen Zeitung The Destiny:

    "Niemand will, dass Südsudanesen misshandelt werden, niemand will Menschenrechtsverletzungen in diesem jungen Land. Der Südsudan wurde geboren aus dem Kampf gegen solche Unmenschlichkeit. So etwas wollen wir in unserem neuen Staat nicht mehr sehen."