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"Sie können nie hundertprozentige Sicherheit herstellen"

Die seit der Terrorwarnung geänderte Sicherheitslage bringt eine neue Aktualität in Streitthemen wie die Vorratsdatenspeicherung, sagt der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Hans-Peter Friedrich. Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus fordert er verstärkte Zusammenarbeit mit anderen Ländern.

Hans-Peter Friedrich im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 18.11.2010
    Dirk-Oliver Heckmann: Guten Morgen, Hans-Peter Friedrich.

    Hans-Peter Friedrich: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Friedrich, die Innenminister der Union legen heute ihre Forderungen zur Verschärfung der Terrorbekämpfung vor. Unter anderem soll es gehen um die Vorratsdatenspeicherung, gerade eben schon gehört. Es geht auch um den Einsatz der Bundeswehr im Innern. Nimmt die Union also die jüngsten Terrorwarnungen zum Vorwand, um Terrain zu gewinnen?

    Friedrich: Erstens muss man diese Terrorwarnungen ernst nehmen, denn wer Innenminister de Maizière kennt und weiß, wie zurückhaltend er ansonsten ist, der weiß auch, wie ernst es zu nehmen ist, wenn er diese klaren Warnungen jetzt ausspricht, wobei ich sage, ich kenne keine Einzelheiten, sondern ich nehme das, was der Innenminister an Erkenntnissen hat und die Sicherheitsdienste an Erkenntnissen haben, sehr ernst.

    Heckmann: Gehen Sie dennoch davon aus, dass bei diesen Themen Bundeswehr im Innern und bei der Vorratsdatenspeicherung die FDP da ihre Meinung im Ernst revidiert?

    Friedrich: Das Thema, Verbindungsdaten zu speichern und für die Polizei nachvollziehbar zu machen, ist ein Thema, das ganz unabhängig von den Terrorwarnungen der aktuellen Art in der Diskussion ist. Wir erleben, dass die organisierte Kriminalität in Deutschland, in Europa aufrüstet, dass sie technologisch hochgerüstet ist, und wir müssen unsere Sicherheitskräfte, unsere Polizei, unsere Sicherheitsdienste in die Lage versetzen, juristisch und technologisch gegenzuhalten, und deswegen ist dieses Thema Nachvollziehbarkeit, wer hat mit wem telefoniert, auch nach Wochen, wenn man neue Erkenntnisse hat, wichtig. Dabei geht es ja nicht darum, dass Inhalte von Gesprächen gespeichert werden, sondern nur, wer von wo mit wem, und ich denke, das ist ganz unabhängig von der Terrorwarnung wichtig, aber bringt natürlich jetzt in der aktuellen Diskussion eine neue Aktualität, keine Frage.

    Heckmann: Aber wie kann die Vorratsdatenspeicherung nutzen, wenn gar nicht bekannt ist, um wen es sich bei den potenziellen Tätern handelt?

    Friedrich: Nein, es geht darum, dass man zum Beispiel bei ganz üblichen Verbrechen in der Lage ist, Mord, Totschlag, Raub, nachzuvollziehen, ob ein Verdächtiger aus einer bestimmten Funkzelle heraus telefoniert hat mit einem anderen. Solche Dinge nachzuvollziehen, das ist sehr wichtig für die Polizei und hat in vielen Fällen, die die Polizei ja auch dokumentiert, auch veröffentlicht hat in den letzten Wochen, Probleme gemacht. Viele Morde und andere Dinge sind nicht aufgeklärt worden, weil wir die Daten momentan nicht speichern, nicht verfügbar haben können, was im Ausland übrigens gang und gäbe ist. Insofern müssen wir an dieser Situation etwas ändern.

    Heckmann: Das heißt, damit bestätigen Sie ja, dass Sie jetzt die veränderte Terrorlage eben für ein anderes Thema im Prinzip nutzen?

    Friedrich: Nein. Ich sage, ganz unabhängig von dieser Lage ist das ein wichtiger Diskussionspunkt. Das Verfassungsgericht hat uns einige Nachbesserungen auferlegt, ich denke, das muss man machen. Aber in der Terrorwarnungsdiskussion jetzt kommt das natürlich in ein neues Licht, keine Frage, aber es ist ganz unabhängig davon ein wichtiges Thema für die ganz normale Bekämpfung der organisierten Kriminalität in Deutschland.

    Heckmann: In Deutschland bewegen sich angeblich rund 130 islamistische Gefährder, so werden sie genannt, Personen, Terrorverdächtige, die sich in Terrorlagern haben ausbilden lassen. Gehen die Sicherheitsbehörden hier zu lasch mit dieser Gefahr um?

    Friedrich: Nein, ganz bestimmt nicht. Die Sicherheitsbehörden tun alles, was in ihrer Macht und in ihren Möglichkeiten steht, um auch diese Szene zu beobachten. Aber auch da ist wichtig, dass wir die Zusammenarbeit mit unseren Behörden und unseren ausländischen Partnern ermöglichen. Das ist ja immer wichtig. Wir dürfen nicht zulassen, dass Deutschland eine Art Ruhebank für den internationalen Terrorismus wird, sondern wir müssen im Verein mit den anderen Ländern und den anderen Sicherheitskräften dafür sorgen, dass Europa und die freie westliche Welt sicher ist.

    Heckmann: Aber es wird nur ein kleiner Teil dieser Gefährder rund um die Uhr beobachtet?

    Friedrich: Keine Frage. Sie können nie hundertprozentige Sicherheit herstellen. Aber unsere Sicherheitskräfte tun das Beste, und wenn wir irgendwelche Lücken und neue Bedürfnisse aufdecken, dann versuchen wir auch als Politiker da, wo es notwendig ist, ohne Aktionismus, aber mit dem wirklich Notwendigen nachzusteuern.

    Heckmann: Wir sprechen mit dem Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Bundestag, mit Hans-Peter Friedrich. – Herr Friedrich, kommen wir mal zu den beiden Themen, die heute im Koalitionsausschuss eine Rolle spielen werden. Zunächst mal zum Thema Steuern. Die FDP, die will noch in dieser Woche konkrete Schritte hin zur Steuervereinfachung sehen. Wird die Union ihr diesen Gefallen tun?

    Friedrich: Wir haben ja bereits im Koalitionsvertrag vor einem Jahr konkrete Steuervereinfachungsvorschläge vereinbart. Das ist natürlich nach wie vor auf der Tagesordnung und jetzt eigentlich nur eine Frage des Zeitpunktes, wann man das umsetzt und umsetzen kann, denn es geht bei fast allen Vorschlägen auch darum, dass sie Geld kosten für den Finanzminister, für den Haushalt, und da ist zunächst mal die allererste Frage, die gestellt wird: Beteiligen sich die Länder, die ja die Hälfte des Steuereinkommens bekommen, an den Kosten. Da gibt es klare Signale, dass die Länder sagen, nein, wir sind nicht in der Lage, uns an solchen Kosten zu beteiligen. Das schränkt natürlich unsere Spielräume auf Bundesebene bei der Steuervereinfachung ein. Aber wir werden alles tun, um die Spielräume, die sich ergeben, zu nutzen.

    Heckmann: Sehen Sie die Chance, dass sich die Länder da noch mal bewegen, das heißt also, dass der Bereich, der Umfang von 500 Millionen bei der Steuervereinfachung, überschritten werden kann?

    Friedrich: Na ja, das bleibt immer zu hoffen, denn die Länder haben ja an uns auch als Bund die eine oder andere Forderung und Vorschläge, wie sie auch ihre Steuerverwaltung entlasten können mit bestimmten Vereinfachungsschritten. Insofern gibt es durchaus auch ein gemeinsames Interesse von Bund und Ländern an Vereinfachungen. Wenn allerdings die Länder sagen, wir sehen uns dazu nicht in der Lage, dann werden wir uns auf das beschränken müssen, was der Bund finanzieren kann, und das wird sich natürlich im Rahmen dessen halten, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, also das Thema Vereinfachung bei der Entfernungspauschale, oder bei den Ausbildungskosten, Freibeträge bei Ausbildungskosten von Kindern. Das sind Themen, über die wir sprechen müssen.

    Heckmann: Die FDP hält die Vorschläge Schäubles, des Finanzministers, für mut- und ideenlos.

    Friedrich: Da sind eine Reihe von Vorschlägen dabei, die aus der Sicht der Steuerverwaltung gesehen werden und dort Vereinfachungen bringen sollen, und wir wollen natürlich auch den Steuerbürger, also den Steuerzahler entlasten. Insofern wird sich da eine Mischung von Vorschlägen, die der Finanzminister bereits auf dem Tisch hat, und das, was wir als Koalition und von unseren Steuerfachleuten noch vorgeschlagen vorbringen werden, sicher ein vernünftiges Paket ergeben.

    Heckmann: Das heißt klar ausgesprochen, bis zum jetzigen Tag, bis zum jetzigen Zeitpunkt sind die Vorschläge Schäubles auch aus Ihrer Sicht mut- und ideenlos?

    Friedrich: Das ist nicht so. Herr Schäuble hat natürlich sich im Rahmen seiner Möglichkeiten und auch der Vorgespräche mit den Ländern zunächst bewegt. Aber das Parlament hat ein wichtiges Wort mitzusprechen. Das Parlament hat auch einige Vorschläge auf den Tisch gelegt und das alles zusammen wird heute Grundlage für die Beratungen im Koalitionsausschuss sein.

    Heckmann: Das Zweite große Thema ist der Fachkräftemangel, der drohende. Immer mehr Staaten werben um ausländische Fachkräfte. Die Wirtschaft und viele Wissenschaftler warnen vor einem Mangel an Fachkräften. Dennoch sagt CSU-Chef, der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, die bisherigen Regeln der Zuwanderung, die reichen aus. Verschlafen wir da eine Entwicklung?

    Friedrich: Es hat international ein Kampf um die besten Köpfe begonnen, keine Frage, und das schon seit einiger Zeit. Was ich immer wieder feststelle ist, dass auch viele Personalchefs und Unternehmer gar nicht wissen, welche Möglichkeiten es heute schon gibt, ausländische Fachkräfte, die man braucht, für sein Unternehmen anzuwerben, nach Deutschland zu holen. Ich glaube, da ist eine große Aufklärungskampagne notwendig. Wenn heute gesagt wird, es darf jemand nur kommen, der mindestens 66.000 Euro verdient, dann muss man einfach sagen "falsch, das stimmt nicht so". Ab 66.000 Euro Einkommen kann jeder unbegrenzt lang und mit Kind und Kegel hier herkommen, ohne weitere Voraussetzungen, aber selbstverständlich auch jeder, der weniger verdient, aber gebraucht wird in Deutschland, kann kommen. Es ist dann eine Prüfung durch die Arbeitsbehörden notwendig. Und um das sehr einfach und vereinfacht zu gestalten, darüber muss man reden. Natürlich: Wir brauchen ausländische Fachkräfte auch bei uns, aber wir brauchen keine Zuwanderung in die Sozialsysteme. Beides auseinanderzuhalten, ist unsere Aufgabe.

    Heckmann: Jeder, der weniger als 66.000 Euro verdient, kann kommen, aber eben nicht auf Dauer, und ist das nicht das Problem, dass die Leute, die kommen wollen, nämlich gute Voraussetzungen haben wollen? Ist das nicht der Grund dafür, dass wir netto eine Abwanderung haben von Fachkräften ins Ausland?

    Friedrich: Die Abwanderung von deutschen Fachkräften ins Ausland ist natürlich ein Problem, keine Frage, aber die kann man nicht vonseiten der Politik mit Gesetzen stoppen, sondern da muss auch die Wirtschaft dafür sorgen, dass die Bedingungen für die Arbeitskräfte in Deutschland so attraktiv sind, dass sie im Lande bleiben. Also da haben, glaube ich, alle eine gemeinsame Verantwortung. Das werden sie nie aufhalten können, dass auch junge Leute natürlich ihre Chancen im Ausland suchen. Das ist auch in Ordnung, keine Frage. Aber ansonsten gibt es viele, viele Möglichkeiten, Fachkräfte, ausländische Fachkräfte nach Deutschland zu holen, bereits heute, und wir sind der Meinung, dass diese Möglichkeiten von den gesetzlichen Grundlagen her ausreichend sind. Was den Vollzug angeht, also das tägliche Umgehen mit diesen Zuwanderungstatbeständen, da kann man sicher das eine oder andere noch gängiger machen und vereinfachen.

    Heckmann: Heißt ganz konkret: Teile der Koalition fordern ja eine Absenkung der Einkommensgrenzen von 66.000 auf 40.000 Euro für Einwanderungswillige. Da macht die CSU nicht mit?

    Friedrich: Nein!

    Heckmann: Eine klare und deutliche Antwort. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch. Wir haben gesprochen mit Hans-Peter Friedrich, dem Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag.