Donnerstag, 25. April 2024

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Sie schufen Amerika. Die Gründergeneration von John Adams bis George Washington

'Against all odds', 'gegen alle Wahrscheinlichkeit'. Man mag es als Laune der Geschichte betrachten, dass die einzig heute verbliebene Weltmacht, die Vereinigten Staaten von Amerika, sich auf einen Befreiungsschlag gründen, der, aus heutiger Perspektive, auf sicheren Erfolg kaum hoffen durfte. Schon im Jahr ihrer Geburt war die Nation tödlich bedroht, und die Gründe kann man sich vorstellen: Da kämpft eine junge, vergleichsweise schlecht ausgestattete Kolonie gegen die damals bestgerüstete Armee der Welt, die des englischen Mutterlands, fühlt sich selbst noch nicht als nationale Einheit - und hat dann noch sämtliche geschichtlichen Evidenzen gegen sich: Nie zuvor hatte es bis dahin eine republikanisches Regierungssystem gegeben, dem eine längerer Dauer beschieden gewesen wäre. Das große Freiheitsexperiment hätte darum nur allzu leicht misslingen können. Ein nur leicht erhöhter Druck der englischen Armee, so der in Massachusetts lehrende Historiker Joseph J. Ellis in seinem Buch über die politischen Väter des modernen Amerika, und der Unabhängigkeitswillen der jungen Nation wäre vom Mutterland gründlich gebrochen worden. Fazit:

Kersten Knipp | 17.04.2003
    Was im Rückblick so aussieht, als sei es die vorbestimmte Entfaltung des göttlichen Willens, war in Wirklichkeit eine Sache der Improvisation, in der reiner Zufall, pures Glück und ebensolches Pech sowie konkrete Entscheidungen, die in der Hitze bestimmter militärischer und politischer Krisen getroffen wurden, über das Ergebnis entschieden.

    Dennoch sprachen die Revolutionäre von ihrer Sache als einer 'manifest destiny', einer offen daliegenden politischen Bestimmung, die gar nicht anders konnte, als mit Macht nach vorne zu drängen. Trotz des ungewissen Ausgangs ihrer Hoffnungen, so der Autor, fühlten sich die entsprechenden Protagonisten, als würden sie ihr Revolutionsdrama auf der Bühne der Geschichte geben, wo sie nicht nur den gegenwärtigen, sondern auch den späteren, den historischen, Sieg zu erringen hatten. Wohl auch wegen dieser weltgeschichtlichen Dimension sprachen sich die Akteure auch selbst neuen Mut zu. Es gibt, zitiert Ellis etwa den Revolutionär und zweiten Präsidenten der USA, John Adams, ...

    ... in meiner Erinnerung nichts, das weiter zurück reicht als die Beobachtung, dass Künste, Wissenschaften und Reiche immer in westliche Richtung gewandert sind. Und im Gespräch fügte man seit meiner Kindheit immer hinzu, ihr nächster Sprung werde sie über den Atlantik nach Amerika führen.

    Doch an der Himmelsrichtung allein dürfte der Aufstieg Amerikas kaum gelegen haben. Was zählte, so Ellis, war die nicht zu widerlegenden Attraktivität der neu eingerichteten Institutionen: nämlich eine repräsentative Staatsverfassung, die auf dem Prinzip der Volkssouveränität beruht und eine Form der Marktwirtschaft, die ganz auf die Energien der Einzelnen vertraut.

    Diese Sicherheit ergibt sich freilich erst aus der Retrospektive, und so widmet sich Ellis in seinem Buch nicht nur der politischen Geschichte der revolutionären Jahre nach 1776, sondern auch und vor allem der Psychologie der politischen Akteure. Ob George Washington oder John Adams, Thoma Jefferson, James Madison oder Benjamin Franklin: Allesamt zweifelten sie kaum an ihren politischen Überzeugungen, wohl aber bisweilen an deren praktischer Verwirklichung. Denn nicht nur im Kampf gegen die Engländer, auch in der Auseinandersetzung untereinander fochten sie um Durchsetzung ihrer jeweiligen Überzeugungen.

    Deren wichtigste war die Frage der staatspolitischen Verfassung. Denn wenn die Herrschaft des fernen England der jungen Nation unerträglich war, wie sollte man es dann mit der Organisation der Macht im eigenen Land halten? Eine einzige Machtzentrale in diesem kaum überschaubaren Land schien vielen kaum etwas anderes als die gerade abgeschüttelte Bevormundung durch das Mutterland. Die nationale Regierung, fasst Ellis den zentralen Konflikt der kommenden Jahre zusammen, ...

    ... verkörperte genau die Hauptüberzeugung des Republikanismus der Revolutionsära: dass nämlich keine Zentralgewalt mit der Vollmacht, die Bürgerschaft zu zwingen oder zu disziplinieren, zulässig sei, da sie nur die monarchischen und aristokratischen Prinzipien wieder einführte, zu deren Abschüttelung die amerikanische Revolution geführt worden war.

    In sechs kunstvoll miteinander verwobenen historischen Miniaturen setzt Ellis die Geschichten jener bewegten Jahre in Szene. In ihnen nimmt er unterschiedliche Perspektiven zum Geschehen ein, zieht hier ein distanzierendes Resümee, nähert sich dort den Ereignissen so sehr, dass beim Leser ein Gefühl für Elllis´ These entsteht, dass ...

    ... der Akt der Verwandlung der Amerikanischen Revolution in Geschichte die Auswahl von Ereignissen und Helden prämierte, die bruchlos in eine dramatische Formel passten und dadurch die chaotischere und inkohärentere Erfahrung verzerrte, welche die Beteiligten, die tatsächlich die Geschichte machten, zur damaligen Zeit empfanden.

    Revolutionen glätten sich eben immer erst im Nachhinein. Ellis trägt Licht in das politisches Dunkel jener Jahre ebenso wie in die Herzen der wesentlichen Akteure. Herausgekommen ist darüber ein anspruchsvoller, gut lesbarer Text - der beim deutschen Leser allerdings einige Vorkenntnisse voraussetzt. Schön wäre es darum gewesen, der Verlag hätte dem Text eine Zeittafel jener politisch so entscheidenden Jahre beigefügt. Wer die Daten nicht im Kopf hat, setzt sie sich darum selbst zusammen, mühselig wie damals in der Schule. Die Geschichte holt einen also immer wieder ein.