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"Sie waren auf dem rechten Auge blind"

Das Versagen der Sicherheitsbehörden beim NSU-Terror ist vor allem der Struktur der Institutionen geschuldet, sagt Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckart. Viele Behörden ließen jedoch bis heute Selbstkritik vermissen. Den CDU-Politikern Wolfgang Bosbach und Hans-Peter Friedrich wirft sie die Beförderung ausländerfeindlicher Stimmung vor.

Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 23.08.2013
    Tobias Armbrüster: Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags hat gestern seinen Abschlussbericht vorgelegt und den deutschen Sicherheitsbehörden darin massives Versagen an entscheidenden Stellen vorgeworfen. Tatsächlich könnte es jetzt sein, dass sich nach diesem Ausschuss und nach diesem Bericht einiges bei Polizei und Verfassungsschutz ändert. Der Druck zumindest ist groß. Wir sprechen darüber gleich mit der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt. Vorher fasst meine Kollegin Die Ergebnisse des NSU-Untersuchungsausschusses (MP3-Audio) Katharina Hamberger die Ergebnisse dieses Untersuchungsausschusses zusammen.

    Katharina Hamberger berichtete aus Berlin, und am Telefon ist jetzt Katrin Göring-Eckardt, die Spitzenkandidatin der Grünen bei der Bundestagswahl und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags. Schönen guten Morgen, Frau Göring-Eckardt!

    Katrin Göring-Eckardt: Herr Armbrüster, schönen guten Morgen!

    Armbrüster: Frau Göring-Eckardt, machen es sich die Mitglieder des Ausschusses da nicht ein bisschen einfach, den Sicherheitsbehörden und der Polizei einfach den kompletten schwarzen Peter zuzuschieben?

    Göring-Eckardt: Na, zunächst mal war das ja die Aufgabe, herauszufinden, wie es passieren konnte, dass die Sicherheitsbehörden, dass die Innenminister, dass die Justizminister nicht in der Lage gewesen sind, in die richtige Richtung zu ermitteln und die NSU-Morde zehn Jahre lang als solche faktisch unentdeckt geblieben sind. Manchmal war es so, das reichte, dass die Täter in einem anderen Bundesland wohnten, es wurde nur im unmittelbaren Umfeld der Tat ermittelt et cetera. Und das war die Aufgabe des Ausschusses. Aber natürlich muss man sich auch fragen, ob es eine Stimmung gegeben hat, nicht nur bei den Sicherheitsbehörden, sondern in unserem Land, die einerseits angeheizt worden ist, die Asyl-Debatte Anfang der 90er-Jahre hat dazu beigetragen, dass es eine Stimmung gegeben hatte nach dem Motto, was nicht sein kann, das nicht sein darf, und was Ermittlungen auch in eine falsche Richtung gelenkt hat, zum Beispiel so nach dem Motto, das werden wohl Mafia-Morde sein, der Döner-Mord-Bezeichnung und andere.

    Armbrüster: Wie haben wir es dann bei Polizei und Verfassungsschutz mit institutionellem Rassismus zu tun?

    Göring-Eckardt: Wir haben es auf jeden Fall offensichtlich mit Organisationen zu tun, von denen man sagen muss: Sie waren auf dem rechten Auge blind. Und das ist etwas, was wir, wenn wir die Opfer anschauen, wenn wir mit den Opfern reden, etwas ist, was in einer demokratischen Bundesrepublik mit einer Vergangenheit, die mit dem Nationalsozialismus eines der fürchterlichsten Verbrechen der Menschheit zu verantworten hat, natürlich bis heute eine Nachwirkung, die wir so nicht stehen lassen können, und deswegen ist es richtig, dass wir bei diesen Institutionen jetzt sagen: Der Verfassungsschutz kann so nicht bleiben, das Bundesamt taugt nichts mit seiner Struktur als Analyseinstrument oder zur brauchbaren Informationsbeschaffung. Wir müssen schauen: Warum hat das BKA auf diese Weise versagt? Warum gab es nicht Auswertung von bestimmten Grundlagen? Das heißt, die Leitung der Behörde hat bis heute jede Selbstkritik vermissen lassen, und auch da muss es Konsequenzen geben.

    Armbrüster: Aber wäre es nicht an dieser Stelle auch angezeigt gewesen gestern auch vonseiten der Politiker, ein bisschen Selbstkritik zu üben? Denn immerhin waren Sie ja oder sind die Politiker ja, ist ja auch der Bundestag mit dafür verantwortlich, dass die Behörden so aufgestellt sind und auch so strukturiert sind, wie sie es heute sind.

    Göring-Eckardt: Also ich würde jetzt erst mal nicht sagen pauschal, die Politiker, weil es hat ja immer Kritik gegeben am Verfassungsschutz, es hat immer Kritik gegeben am Einsatz der V-Leute, auch von meiner Fraktion, es hat auch immer Kritik gegeben daran, dass wir eine Stimmung befördern, die rechtsextremes Gedankengut dann auch immer wieder in eine extreme Richtung gelenkt hat. Deswegen allgemeines Versagen oder, nein, andersherum, deswegen ein allgemeines Eingeständnis: Da haben wir in die Stimmung nicht genug hineingeguckt, aber trotzdem auch - und das gilt auch für alle, das ist ja auch immer wieder gesagt worden, auch in der Debatte bei der Einsetzung des Untersuchungsausschusses -, dass niemand den Zusammenhang herstellen konnte und das hat auch die Politik nicht getan, wobei sie natürlich auch nicht die ermittelnde Behörde gewesen ist.

    Armbrüster: Es wurde ja in diesem Ausschuss, auch in den Befragungen immer wieder deutlich, wie sehr die zuständigen Behörden die Kritik dabei zurückgewiesen haben. Was ist denn Ihr Eindruck jetzt? Hat der Sicherheitsberater, haben Verfassungsschutz und Polizei etwas aus diesem Desaster gelernt?

    Göring-Eckardt: Na ja, man kann sich ja angucken, wie das bei der Leitung des BKA gelaufen ist. Da muss man sagen, dass bis heute es da keine Selbstkritik gibt, sondern dass da immer weiter drum herum geredet wird und dass man nicht sagen kann, da ist jetzt auch intern ein großes Bewusstsein dafür da, dass man die Strukturen verändern muss, sondern eigentlich tut man so, als ob man in einem einzelnen Fall ein Versagen hat, aber nichts ändern muss. Und das finde ich hochproblematisch. Da hat der Ausschuss ja auch sehr klar gesagt, zum Beispiel, was die Zusammenarbeit angeht - ich meine, das Ergebnis des Föderalismus ist, dass die Verfassungsschutzämter der Länder, dass die Behörden der Länder nicht zusammenarbeiten mit den Bundesbehörden und auf diese Weise sich eine solche terroristische Struktur nicht nur herausbilden, sondern über zehn Jahre halten kann, dann hat das eine Absurdität, die ihresgleichen sucht. Und insofern völlig klar: Hier braucht es eine Neuaufstellung, und die kommt offensichtlich nicht von innen, also muss sie von außen kommen.

    Armbrüster: Frau Göring-Eckardt, wir hören jetzt in den vergangenen Tagen von den Protesten vor einer Asylbewerberunterkunft in Berlin. Sind solche Gelegenheiten, sind das die Gelegenheiten, bei denen die rechtsradikale Szene Leute wie Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe für sich gewinnen kann?

    Göring-Eckardt: Das ist genau so: Es sind solche Gelegenheiten. Und es ist auch eine Stimmung, die geschürt wird. Und wenn ich mir anschaue, wie Innenminister Friedrich, wie übrigens auch Herr Bosbach über die etwas gestiegene Zahl von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern redet, dass da sofort die Rede ist von Überforderung, von Krise, von Ähnlichem, dann ist das auch die Grundlage für eine Stimmung, die dem Mob dann gute Gelegenheit gibt, daran anzuknüpfen. Und ich bin der festen Überzeugung: Es geht nicht darum, dass die Asylbewerber irgendjemanden bedrohen, sondern andersherum - diese Menschen kommen aus Kriegsgebieten, die haben fürchterliche Erlebnisse, fürchterliche Krisen erlebt, und wir sind ein Land, was einen gesicherten Aufenthalt geben kann und geben sollte, und da kann nicht ein Innenminister das noch schüren und dann davon reden, dass solche Handlungen, dass die Neonazis das Bild des Vaterlandes beschädigen. Was das Bild des Vaterlandes beschädigt, ist, wenn wir Asylbewerber hier nicht schützen können, wenn wir sie auch vor dem Mob nicht schützen können.

    Armbrüster: Frau Göring-Eckardt, Sie sagen, die Politiker Friedrich und Bosbach schüren den Rechtsextremismus in Deutschland?

    Göring-Eckardt: Mit solchen Bemerkungen befördern sie das, ja, na klar. Daran kann man gut anknüpfen, und wenn von Krise, wenn von Überforderung die Rede ist, wenn Herrn Friedrich bei den Sinti und Roma einfällt, dass es Ströme sind, die nach Deutschland kommen, dann können diejenigen, die dann extrem agieren und die dann als Mob auf der Straße stehen, an so was anknüpfen, an so eine Stimmung anknüpfen. Und deswegen sage ich ganz klar: Da gibt es einen Zusammenhang. Und gerade an dem Tag, wo der Untersuchungsausschuss des NSU auf dem Tisch liegt, würde ich mir sehr wünschen, dass wir mit Flüchtlingen anders umgehen, dass wir sie nicht mehr in Abschiebehaft tun, dass wir sie eben nicht lange in Gemeinschaftsunterkünften haben, sondern dass wir sie integrieren, dass wir das Arbeitsverbot aufheben, dafür sorgen, dass die Kinder hier gut leben können et cetera.

    Armbrüster: Katrin Göring-Eckardt war das, die Spitzenkandidatin der Grünen bei der Bundestagswahl, und außerdem ist sie Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags. Vielen Dank, Frau Göring-Eckardt, für Ihre Zeit heute Morgen!

    Göring-Eckardt: Ich bedanke mich auch. Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.