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"Sie wird eine DDR-Autorin sein"

Jörg Magenau schrieb im Jahr 2002 eine Biografie über Christa Wolf und behandelte sie auch als politische Figur. Er bezeichnet sie als "als loyale Dissidentin".

Jörg Magenau im Gespräch Karin Fischer | 01.12.2011
    Karin Fischer: Hören Sie zunächst Christa Wolf selbst, ein kleiner Ausschnitt aus ihrer Rede auf der historischen Kundgebung auf dem Alexanderplatz am 4. November 1989.

    O-Ton Christa Wolf: "Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, jede revolutionäre Bewegung befreit auch die Sprache. Was bisher so schwer auszusprechen war, geht uns auf einmal frei von den Lippen. Wir staunen, was wir offenbar schon lange gedacht haben und was wir uns jetzt laut zurufen: Demokratie jetzt oder nie. Und wir meinen Volksherrschaft.
    Ja, die Sprache springt aus dem Ämter- und Zeitungsdeutsch heraus, in das sie eingewickelt war, und erinnert sich ihrer Gefühlswörter. Eines davon ist "Traum". Also träumen wir mit hellwacher Vernunft. Stell dir vor, es ist Sozialismus und keiner geht weg."

    Fischer: Im Jahr 2002 hat Jörg Magenau eine Biografie Christa Wolfs vorgelegt, die auch die Erregungen, ja Stürme, im deutsch-deutschen Literaturstreit der Nachwendezeit aufgreift und die Demontage und zum Teil bewusste Diffamierung der Schriftstellerin der frühen 90er-Jahre, als ihre frühe Stasi-Mitarbeit als IM Margarete bekannt wurde. Herr Magenau, mit einem Abstand von jetzt 22 Jahren, wie spricht man am besten über die politische Figur Christa Wolf?

    Jörg Magenau: Ich habe sie in meiner Biografie als loyale Dissidentin bezeichnet. Und ich finde, dass der Begriff eigentlich ganz gut trifft für ihr Wirken bis 1989. Dass sie in der DDR blieb, dass sie loyal war, der Gesellschaft eher gegenüber als dem Staat – und deshalb war es auch falsch, sie als Staatsdichterin begreifen zu wollen -, aber dass sie doch immer dissidentisch auch war, dass sie sich vor allem als Person, als Subjekt ausgesetzt hat der Gesellschaft und ihr Leiden auch gezeigt hat in ihren Büchern, das hat sie ja zu so einer Figur gemacht im Osten, die für viele zu einer Projektionsfläche werden konnte der eigenen Nöte, Schwierigkeiten, sich einzufügen in den Alltag und irgendwie damit zurechtzukommen.

    Fischer: Ist diese Entwicklung denn biografisch oder sozusagen durch die Systemkonstellationen auch mit zu fassen?

    Magenau: Ich würde schon sagen, Christa Wolf ist ohne die DDR natürlich ganz und gar nicht zu begreifen. Sie war 20 Jahre jung, als die DDR 1949 gegründet wurde, und gehörte zu ...

    Fischer: Und auch nicht ohne den Faschismus natürlich.

    Magenau: Und auch natürlich nicht ohne diese vorhergehende Erfahrung des Faschismus, mit dem sie dann gar nichts mehr zu tun haben wollte und umso entschiedener sich für diesen neuen jungen Staat eingesetzt hat, wie viele ihrer Generation. Und in Zusammenarbeit mit den alten Herren, die aus dem Exil zurückkamen. Diese Großvater-Enkel-Konstellation der 50er-Jahre hat sie sehr stark geprägt. Und von vornherein war die DDR ihr Staat und ist es eigentlich bis zu ihrem Tod geblieben. Alles, was sie seit 1990 auch noch an Büchern publiziert hat, sind ja späte Auseinandersetzungen mit der eigenen Verstricktheit in die Geschichte, mit dem Sozialismus, ob es hätte anders laufen können, bis hin in körperliche Symptome in dem Buch "Leibhaftig". Sie hat sich wirklich mit Haut und Haar in die Geschichte hineinbegeben und sich darin verstrickt und ausgesetzt und versucht, was Positiveres daraus zu machen.

    Fischer: Das Ringen um Wahrheit und Erinnerung, der Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft durchzieht ihr Werk von Anfang an, von "Der geteilte Himmel" über "Kindheitsmuster" und "Nachdenken über Christa T." bis hin zu "Kassandra". Dort hat sie, wie auch in "Kein Ort nirgends", über Heinrich von Kleist und Karoline zu Günderode Antike oder Romantik als Folie für dieses Ringen ihrer Figuren genommen. Was für eine Funktion hatte das? War das ein Rückgriff auf die Geschichte zur, ich sage mal, historisch legitimierten Verpackung von Dissidenz. Und was für eine Wirkung hatte das auch auf die Leserinnen und Leser in der DDR?

    Magenau: Das hatte natürlich so einen Verfremdungsinfekt, dass man über das eigene in entfernter Gestalt sprechen kann. 1978, als "Kein Ort nirgends" herauskam, war das aber auch die Phase nach der Biermann-Ausbürgerung, als sich sehr viele DDR-Intellektuelle frustriert zurückgezogen haben und gemerkt haben, es geht eigentlich nichts mehr, auch Christa Wolf damals aufs Land ging. Später kam ja dann das Buch "Sommerstück", das diese Abkehr auch behandelt. Insofern war die Identifikation mit einer Figur wie Kleist, einem Romantiker, einem Außenseiter seiner Zeit und seiner Gesellschaft, gar nicht so fern, wie es uns von heute aus vielleicht erscheint.
    Bei "Kassandra" war es ein bisschen anders, denn die Aktualisierung von Mythenstoffen hat ja immer etwas damit zu tun, dass man in der aktuellen Geschichte ewige Muster sucht, die sich wiederholen. Und darin auch einen gewissen Trost findet, dass also das, was man selber individuell in seiner zufälligen Geworfenheit in die Zeitgeschichte erleben muss, etwas ist, was auch anderen Menschen zu anderen Zeiten widerfährt. Der Mythos ist sozusagen die Großmelodie des kleinen Motivs, das man selber in der Geschichte erlebt.

    Fischer: Da hat sie sich nun eingeschrieben, wie ja viele andere große Schriftsteller vor ihr, wie Thomas Mann auch. Viele ihrer Bücher werden natürlich bleiben. Sie hat vom Heinrich-Mann-Preis über den Georg-Büchner-Preis und den Thomas-Mann-Preis alle Ehrungen erhalten. Wird sie denn als ostdeutsche, oder als deutsch-deutsche Symbolfigur kanonisiert sein und bleiben?

    Magenau: Sie wird eine DDR-Autorin sein. Sie wird das sein, was von der DDR-Literatur bleibt. Ich glaube, dass diese Bücher wie "Der geteilte Himmel", auch mit ihrer ja durchaus noch sozialistisch-realistischen Grundierung dafür sehr typisch sind und später eben auch in der Distanz zur DDR, in dem, was sie die subjektive Authentizität nannte – angefangen mit "Nachdenken über Christa T." in den 60er-Jahren -, dass eben da plötzlich ein Subjekt sprach und nicht mehr ein aufs Kollektiv bezogener sozialistischer Autor, der in der Partei oder in sonstigen gesellschaftlichen Phänomenen Trost sucht. Sondern sie selbst als Ich und als erkennbare Figur Christa Wolf war in ihren Texten. Das ist die große Leistung, glaube ich, und das Revolutionäre auch ihrer Bücher, die sie damals in der DDR tatsächlich zu einer Außenseiterin gemacht hat und die vierjährige Phase, wo sie Kandidatin des ZK der SED war, beendete, und dann konnte ja "Nachdenken über Christa T." lange Jahre auch nicht erscheinen. Also die loyale Dissidentin, die sie war, lässt sich da sehr gut greifen in dieser Phase, wo sie sowohl auf der Seite des Machtapparats noch stand, aber auch schon zu den Dissidenten, zu den Oppositionellen gehörte.

    Fischer: Der Biograf Jörg Magenau zum Tod von Christa Wolf. Herzlichen Dank.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.