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Siegfried und Krimhild

Gäbe es Richard Wagner und seinen "Ring der Nibelungen" nicht, sie wären so gut wie vergessen: Siegfried, Krimhild, Gunter, Brunhilde, Hagen und deren heldisch blutiges Schicksal - so vergessen, wie es der Stoff über Jahrhunderte war, ehe er im 18. wieder entdeckt und im frühen l9. zum Schlüsseltext deutscher Nation avancierte. Die Wiedergeburt der Nibelungensage leitete Friedrich Fouque, Baron de la Motte, mit der Dramen-Trilogie "Der Held des Nordens" ein. Zahlreiche Nachdichtungen folgten. Hegel untersuchte die romantische Zeiterscheinung in seinen Vorlesungen zur "Ästhetik".

Agnes Hüfner | 16.09.2002
    Die Burgunder, Kriemhildens Rache, Siegfrieds Taten, der ganze Lebenszustand, das Schicksal des gesamten untergehenden Geschlechts, das nordische Wesen, König Etzel usf. - das alles hat mit unserem häuslichen, bürgerlichen, rechtlichem Leben, unseren Institutionen und Verfassungen in nichts mehr irgendeinen lebendigen Zusammenhang. ... Desgleichen jetzt noch zu etwas Nationalem und gar zu einem Volksbuche machen zu wollen, ist der trivialste, platteste Einfall gewesen. In Tagen scheinbar neu auflodernder Jugendbegeistemng war es ein Zeichen von dem Greisenalter einer in der Annäherung des Todes wieder kindisch gewordenen Zeit, die sich an Abgestorbenem erlabte und dann ihr Gefühl, ihre Gegenwart zu haben, auch anderen hat zumuten können.

    Nicht nur die Nachdichtungen, auch das Original, ein wie Hegel sagt, "schätzenswertes, echt germanisches, deutsches Werk", hielt seinen Maßstäben nicht stand. Negativ bewertete er vor allem die "abstrakte Schroffheit der Charaktere", rohen Holzbildern sähen sie ähnlich, nicht zu vergleichen mit der - Zitat: "menschlich ausgearbeiteten, geistvollen Individualität der Homerischen Helden und Frauen".

    Von Hegel zu Jürgen Lodemann und dessen Neugestaltung der Nibelungen im Roman "Siegfried und Krimhild" ist der Weg nicht so weit, wie es den Anschein hat. Vielmehr könnte man meinen, Lodemann habe Hegel sein Ohr geliehen, so konkret, so widerspruchsvoll zeichnet er seine Charaktere, Menschen wie du und ich.

    Siegfried hat als Stellvertreter des schwächeren Günther die starke Brünhild in nächtlichem Kampf bezwungen und ihre Niederlage besiegelt, indem er den Gürtel, das Symbol ihrer Stärke, entwendet.

    Im Übermut? Aus Jägerstolz? Weil er Trophäen liebte? Weil er Erfahrungen auf der eisländischen Insel vergelten wollte? Weil in dem Mondsteinleder die Kraft war, die er rauben musste, wenn er Krimhild zuliebe, dem bedrängten Günther noch einmal helfen wollte, und zwar wirksam und dauerhaft? Jetzt, in meiner Klosterfinsternis, will mir oft scheinen, dass dieser wunderbare Mensch aus dem Niederland nicht nur hilfreich war und nicht nur segensreich. Mut, Hornhaut und .unmäßige Kraft' sind nicht nur dienlich. Der Xantener hat zwar versucht, mit seinen Gaben gut umzugehen, aber das gelang nicht immer. Auch dieser Hoffnungsmensch war nur ein Mann. Wenn auch ein besonderer.

    Ich-Erzähler der Geschichte ist Günthers jüngster Bruder Giselher, den der Autor in ein Kloster verbannt und dort heimlich die Chronik der Ereignisse schreiben lässt. Das Manuskript schmuggelt ein Mönch aus dem Kloster und übersetzte es ins irische Keltisch.

    Den Giselher lässt Lodemann sagen:

    Dass wir die lateinische Version so früh verworfen und stattdessen die Sprache der Leute wählten und alsdann, zur Sicherheit, die Übertragung ins Keltische, das ist, ich bin gewiß, das Glück für diese Chronik. Wohlgeborgen wird sie ruhen in der gallischen Wörterkunst, solange, bis in besseren und freieren Zeiten niemand mehr Erinnerung fälschen oder vernichten will.

    Die im Nibelungenepos dargestellten Gegensätze zwischen der spätgermanisch, vorfeudalen Gesellschaft und der neu sich herausbildenden Feudalgesellschaft katholischer Prägung bilden den roten Faden für Lodemanns Fabel von "Siegfried und Krimhild". Wort- und variationsreich stellt er das Keltische gegen das Römische, das Frei-Sein gegen die Imperiumsfalle, Besitzverzicht gegen Besitzgier, die Ganzheitlichkeit gegen das Zertrennen von Kopf und Leib, Frauenfreuden gegen Sündenlehren. Die Sprache verdeutlicht, wie flexibel der Autor den Stoff bewältigt, werkgetreu ebenso wie vergegenwärtigend. Einerseits schildert er veristischer noch als zum Beispiel Dieter Kühn es in seinen historischen Romanen vormachte die Atmosphäre am Hof in lebensechten Details. Von Heermeister Hagen heißt es:

    ... furchterregend, schwärzlich sind seine Zahnreste, nach sauerem Quark riecht er, ja, sein Leib stinkt nach dem Ottemfett, mit dem er sich einschmiert gegen die Kälte und gegen das Scheuem der Rüstung.

    Andererseits wählt der Autor, ähnlich wie Umberto Eco, die Perspektive des Spätgeborenen und erreicht so, die von Hegel im alten Nibelungenlied vermisste "in unserem Zusammenhang lebendige" Darstellung. Eine glückliche Zukunft für sich und die Welt kündigt die weise Ute ihrer Tochter Krimhild durch die Hochzeit mit Siegfried an.

    Schluss mit Menschenfraß, Waldfraß, Weltfraß. - Dies und einiges andere flüsterte und sirmelte sie in Krimhilds Schwarzhaar, vielerlei Leutelaute und zuletzt Lateinisches: Finis operarum Imperii! Schluß mit den Untaten des Imperiums.

    Im Detail passt der Vergleich mit Eco, im Ganzen hinkt er. Während Eco in "Baudolino", seinem jüngsten Roman, die Geschichtsschreibung als interessengeleitetes Lügengeschäfr verspottet, interpretiert Lodemann die "gerettete Chronik" des Giselher als Hoffhungsträger, Buch des Volkes für das Volk, das sozusagen "andere Volksepos".