Samstag, 30. März 2024

Archiv

Siemens Healthineers
Medizintochter mit Ambitionen

Healthineers wagt den Sprung an die Börse. Die Medizintochter von Siemens erzielt mit 47.000 Mitarbeitern in 75 Ländern weltweit einen Umsatz von 14 Milliarden Euro. Doch was genau produziert Healthineers eigentlich - und wie sieht der Markt aus, auf dem sich die Siemens-Tochter behaupten muss?

Von Burkhard Schäfers | 15.03.2018
    Der Magnetresonanztomograph (MRT) Magnetom Verio von Siemens, aufgenommen am 29.11.2015 im Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden (Sachsen
    Platzhirsch auf dem Markt für Medizintechnik: Siemens ist nach eigenen Angaben weltweit führend bei bildgebender Diagnostik, in der Labordiagnostik die Nummer zwei (picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert)
    In der Klinik liegt ein elfjähriger Junge. Er hat chronische Schmerzen in der Hand - schuld sind gutartige Tumore, eine seltene Gefäßkrankheit. Die Ärzte könnten nun die Hand des Jungen aufschneiden und die Tumore herausoperieren - mit dem Risiko, Sehnen und Nerven zu verletzen. Professor Jens Ricke, Direktor der Klinik für Radiologie in München-Großhadern, entscheidet sich indes für einen anderen Weg. Er zeigt auf einen der vielen Monitore im Behandlungsraum:
    "Was man jetzt hier sieht ist eine MRT-Darstellung, also eine Untersuchung auf Magnet-Basis, die uns sehr gut unterscheiden lässt - wie man das hier sieht - zwischen muskulären Strukturen, Sehnen, Knochen, Gefäße, Nervenstrukturen. Und dieser Tumor, der sich an der Handinnenfläche als helle Struktur darstellt."
    Minimalinvasive Eingriffe
    Magnetresonanz-Tomografie, kurz MRT, Computer-Tomografie, kurz CT, Röntgen, Ultraschall: Das sind sogenannte bildgebende Geräte von Medizintechnik-Herstellern wie Siemens Healthineers. Damit kann der Radiologe seinen elfjährigen Patienten mittels einer kleinen Nadel behandeln. Über die injiziert er einen speziellen Schaum und versucht so, den Tumor abzutöten. Am Bildschirm sieht er genau, was in der Hand des Jungen passiert. Äußerlich bleibt nur ein Nadelstich zurück, erklärt Professor Ricke.
    "Ich finde es absolut faszinierend, was möglich ist: Visualisierung des Körperinneren - ohne anzufassen, ohne Schmerzen, ohne Aufschneiden. Und die letzte Generation beispielsweise von MR-Technologie, das sind Bewegungen im Nanomillimeterbereich, die wir mit einer MRT nachweisen können. Spektakulär! also ich liebe meinen Beruf."
    Diese minimalinvasiven Eingriffe - ohne große Schnitte - gibt es immer häufiger: In der Krebs-Therapie, bei Herz-OPs oder Gefäßerkrankungen.
    Schwer Unfallverletzte können heute mittels bildgebender Technik binnen Sekunden von oben bis unten durchleuchtet und sofort operiert werden. Dank immer besserer Software, Stichwort Big Data, können die Geräte bestimmte Krankheitsmuster auswerten, die Ärzte mit dem bloßen Auge nicht erkennen.
    3D-Kamera - verbunden mit Künstlicher Intelligenz
    Und die Hersteller versprechen weitere Fortschritte. Siemens Healthineers hat vor einigen Monaten für CTs eine 3D-Kamera, verbunden mit Künstlicher Intelligenz, auf den Markt gebracht, sagt Unternehmenssprecher Matthias Kraemer:
    "Diese 3-D-Kamera ist mit einem Algorithmus verbunden und erkennt anhand von mehreren hundert Messpunkten sehr genau, was ist das für ein Patient: Wie groß ist der, wie schwer ist der? Und anhand dieser Daten, die sie vergleicht mit tausenden von Daten, die vorher schon gespeichert wurden, gibt sie eine Empfehlung an das bedienende Personal, diese und diese Röntgen-Dosis so und so zu applizieren.
    Siemens ist nach eigenen Angaben weltweit führend bei bildgebender Diagnostik, in der Labordiagnostik die Nummer zwei. Wichtige Konkurrenten sind Philips, General Electric und Canon-Toshiba. Der Markt für Medizintechnik wächst stetig. Den größten Einzelmarkt bilden die USA. Analysten sagen voraus, dass der weltweite Umsatz in den nächsten fünf Jahren von derzeit 400 auf über 500 Milliarden Dollar steigt. Deutsche Hersteller setzten 2016 knapp 30 Milliarden Euro um, fast zwei Drittel davon im Ausland, erläutert Hans-Peter Bursig vom Fachverband Elektromedizinische Technik.
    "Deutschland ist international der zweitgrößte Exporteur von Medizintechnik. Größer sind nur die USA. Vor allen Dingen, und das zeichnet Medizintechnik wie viele andere Branchen in Deutschland aus, dass sie hochinnovativ ist, und dadurch immer diesen einen Schritt vor den anderen Wettbewerbern voraus ist."
    Wachsende Nachfrage auch in Schwellenländern
    Weltweit wachse die Nachfrage jährlich um fünf bis sechs Prozent, sagt Branchen-Experte Bursig - bedingt durch den demografischen Wandel.
    "Das führt auch dazu, dass die Zahl der Menschen, die mehrere Erkrankungen gleichzeitig haben, zunimmt. Das ist ein Trend nicht nur in den Industrieländern, sondern inzwischen auch in sehr vielen Schwellenländern. Das führt dazu, dass die Nachfrage nach Medizin, die sehr stark dann auch auf Medizintechnik setzt, international zunimmt, auch in Ländern, wo man das im ersten Moment gar nicht so erwarten würde."
    Im Münchner Klinikum Großhadern ist der Radiologe Jens Ricke zwar von der Technik begeistert. Seinen Berufsstand aber will er keinesfalls abschaffen.
    "Die technischen Hilfsmittel werden immer mehr, immer besser, immer faszinierender. Aber ich möchte auch nicht von einem Roboter behandelt werden. Der Arzt, der Mensch, der die Technik übersetzt in das richtige Leben, ist glaube ich entscheidend."