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Siemens und der Irak
Ein Land muss re-elektrifiziert werden

Im kriegszerstörten Irak leben viele Millionen Menschen ohne Strom. Die Re-Elektrifizierung steht neben Minenräumung und Aufbau der grundlegenden Infrastruktur weit oben auf der Prioritätsliste. Im Rennen um den staatlichen Großauftrag ist unter anderem Siemens. Und ein großer Konkurrent aus den USA.

Von Mark Kleber | 13.10.2018
    Einige elektrische Leitungen, die zu einer Wohnsiedlung in der Bagdader Saadoun-Straße führen
    Große Teile des Irak müssen neu verkabelt werden (AFP / Sabah Arar)
    Die Menschen in der irakischen Millionenstadt Basra haben genug:
    "Wir haben ein Recht auf sauberes Wasser! Das Wasser hier hat Pflanzen, Tiere und Menschen getötet!"
    Ungenießbar sei das Trinkwasser, an den maroden Leitungen klebten zum Teil sogar große Salzklumpen. So beschreiben Einwohner die Situation, die im Sommer in Basra zu Ausschreitungen führte. Das ist kein Wunder, denn die Infrastruktur des Landes ist am Boden, nicht erst seit dem Krieg gegen den IS. Der Stillstand geht zurück bis zum Krieg zwischen Irak und Iran in den 80er-Jahren.
    Seit drei Jahrzehnten also gibt es im Irak so gut wie keine Modernisierung der Infrastruktur, entsprechend veraltet und kaputt sind Wasser- und Abwassersysteme ebenso wie Elektrizitätswerke und Stromnetze. Der Krieg gegen den IS hat diese Lage noch verschlimmert. Mit bitteren Folgen für die Menschen. In offiziellen Zahlen der deutschen Bundesregierung ausgedrückt, heißt das:
    "3,3 Millionen Kinder haben keinen Zugang zu Grundbildung, 7,3 Millionen Menschen benötigen Zugang zu medizinischer Versorgung, 5,4 Millionen Menschen [benötigen Zugang] zu Wasser/Sanitär/Hygiene."
    Wiederaufbau und Rückkehr von Vertriebenen
    Auf einer Reise in den Irak in diesem Jahr beschrieb Bundesentwicklungsminister Gerd Müller, welche Ziele die Bundesregierung beim Wiederaufbau des Landes verfolgt:
    "Es geht ganz konkret darum, den Irak zu unterstützen, die große Herausforderung von fünf Millionen Binnenvertriebenen, die jetzt zurückkehren in zerstörte Städte, die wieder aufgebaut werden müssen. Und zum Zweiten, dies zu verbinden auch mit Programmen für Rückkehrer in Deutschland, also Flüchtlinge aus dem Irak, die jetzt in Deutschland sind und zurück in den Irak kommen."
    Mit 350 Millionen Euro unterstützt die Bundesregierung den Wiederaufbau in diesem Jahr, insgesamt sagte eine internationale Geberkonferenz zu Beginn des Jahres 30 Milliarden Dollar zu. Doch aus irakischer Sicht wird das bei weitem nicht reichen, sagt der irakische Planungsminister Salman al-Dschumaili:
    "Wir haben ausgerechnet, dass wir für den Wiederaufbau des Irak etwa 88 Milliarden US-Dollar brauchen. Diesen Betrag können wir nicht auf einmal bereitstellen. Wir setzen deshalb Prioritäten und konzentrieren uns zunächst darauf, dass die Menschen wieder in ihre Heimatorte zurückkehren können. Dazu müssen wir Minen beseitigen, Straßen wieder befahrbar machen und die staatliche Grundversorgung sicherstellen: Strom, medizinische Betreuung und Schulunterricht."
    Zuverlässige Stromversorgung ist eine der Prioritäten
    Strom ist Mangelware. Verlässlich kommt er nur bei denen aus der Steckdose, die sich den Treibstoff für einen Dieselgenerator leisten können. Die Terrormiliz IS zerstörte Elektrizitätsanlagen im Wert von sieben Milliarden Dollar. Im Süden des Landes kommt der Strom für drei Millionen Iraker aus dem Iran. Die Energieversorgung wird zum politischen Spielball und Machtinstrument.
    Gerade eine zuverlässige Stromerzeugung, die den Irak unabhängig macht, bietet da lukrative Aussichten für internationale Konzerne. Beispiel: Siemens. Der Münchner Industriekonzern hofft auf einen Großauftrag. Rund 23 Millionen Iraker will Siemens-Chef Joe Kaeser mit Strom versorgen. Im September flog er zu Verhandlungen nach Bagdad. Im Fernsehsender CNBC zeigte Kaeser sich zuversichtlich, dass das Siemens-Konzept Erfolg habe:
    "We made what we believe a very comprehensive concept. And the powerful point we have is: We've done it before."
    Wir haben es schon einmal geschafft, sagt der Siemens-Chef. Damit meint er einen vergleichbaren Deal in Ägypten. In Rekordzeit baute der deutsche Konzern dort drei große Gaskraftwerke. Etwa acht Milliarden US-Dollar war der Auftrag schwer, im Irak könnte er noch schwerer ausfallen. Die Bundesregierung gibt Siemens Rückendeckung und schickte Wirtschafts-Staatssekretär Thomas Bareiß zusammen mit Kaeser nach Bagdad.
    General Electric ist auch im Rennen
    Aber die Konkurrenz schläft nicht. Der US-Konzern General Electric ist im Irak bereits gut im Geschäft und will ebenfalls am Wiederaufbau des Irak verdienen, macht Topmanager Bill Wakileh deutlich, in einem Interview mit dem britisch-irakischen Wirtschaftsrat sagte er:
    "Wir wollen unser Engagement im Irak noch ausbauen. Unsere Bereitschaft ist da ganz klar, wenn sie unsere Kunden und die Ministerien fragen, dann werden dien Ihnen sagen: Unsere Bereitschaft uns hier zu engagieren, steht außer Frage."
    Grundsätzlich ist der Irak dank seiner Öl-Einnahmen kein armes Land. Doch nicht nur die Infrastruktur ist marode. In einem Bericht der Bundesregierung vom September heißt es:
    "Korruption, ineffiziente Verwaltungsabläufe und ein aufgeblähter Staatssektor sind Ursachen für eine anhaltende tiefe Wirtschafts- und Finanzkrise."
    Gerade die Korruption im Irak macht den Wiederaufbau schwer. Transparency International stuft den Irak als eines der korruptesten Länder der Welt ein, Platz 169 von 180. Der noch amtierende irakische Ministerpräsident Haider Al-Abadi erklärte bei der internationalen Geberkonferenz im Februar:
    "Wir werden nicht damit aufhören, Korruption zu bekämpfen. Korruption ist eine Seuche, sie ist nicht weniger gefährlich als der Terror, sie ist einer der Gründe dafür, dass Terror entsteht."
    "Eine Bande, die die Sorgen der Iraker ignoriert"
    Doch Experten sehen die irakische Regierung kritisch. So wie der irakische Politikwissenschaftler Ahmed Al Abyad. Über die Proteste in Basra sagte er:
    "Die Demos und die Wut spitzen sich zu, sie zeigen, wie groß die Anspannung in der Bevölkerung ist. Die politische Regierungselite im Irak hat sich im Laufe der letzten 15 Jahre in eine Bande verwandelt, die die Sorgen der Iraker ignoriert. Es geht den Menschen um ganz einfache Grundbedürfnisse. Immer wieder wurde ihnen versprochen, dass der Staat seine Leistungen verbessert, z.B. bei der Stromversorgung. Gerade im heißen Klima von Basra brächte sie Erleichterung."
    Dazu kommen die unterschiedlichen Vorstellungen von Irak und der internationalen Gebergemeinschaft, wer beim Wiederaufbau welche Rolle spielt. Die UN-Mitarbeiterin Yuko Otsuki ist im Nordirak beim Wiederaufbau von Wohnraum aktiv und sagt:
    "So, wie ich es sehe, verlangen die Geberländer, dass der Irak selbst mehr Initiative zeigt und die Führung beim Wiederaufbau übernimmt. Umgekehrt will die irakische Seite, dass die Geber stärker in die Verantwortung gehen. Da ein Gleichgewicht zu finden, ist schwierig."
    Der Irak hängt buchstäblich am Tropf
    In dieser Woche erst hat die Türkei zugesagt, dem Irak gegen die Wasserknappheit zu helfen, seine Lieferungen aufzustocken. Der Irak hängt buchstäblich am Tropf. Die Erwartungen der irakischen Bevölkerung sind groß, dass der Wiederaufbau nun endlich in Gang kommt und sie nicht mehr auf die Straße gehen müssen, um für sauberes Trinkwasser zu protestieren.