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SightCity 2018
Neue Hilfsmittel für blinde und sehbehinderte Menschen

Auf der SightCity in Frankfurt zeigen Hersteller und Forscher neu entwickelte Hilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte. Dabei kommen Technologien zum Einsatz, die für Smartphones oder das autonome Fahren entwickelt wurden. Für viele Betroffene ermöglicht das völlig neue Perspektiven der Mobilität.

Von Piotr Heller | 27.04.2018
    Eine Frau hält ein Smartphone mit der eingeschalteten GPS Funktion in der Hand. Sie befindet sich in Rom
    Sehbehinderte Menschen nutzen zunehmend auch GPS-gestützte Systeme, um sich zu orientieren (imago stock&people)
    "Ich lege Ihnen jetzt unseren feelSpace-Orientierungsgürtel um. Was Sie jetzt spüren ist, dass es irgendwo um Ihren Bauch ringsum vibriert und das ist die Stelle, wo Norden ist."
    Tatsächlich spüre ich sofort eine leichte Vibration auf meiner rechten Seite, als Susan Wache von der Firma feelSpace mir den Gürtel umlegt. Ich drehe mich und die Vibration wandert um meinen Bauch, zeigt immer nach Norden. Der Gürtel ist für Blinde gedacht:
    "Wenn Schwierigkeiten da sind, Drehbewegungen wahrzunehmen: gerade über eine Kreuzung zu laufen, gerade über einen Platz zu kommen. Auch, wenn man ein Hindernis umrundet, sich danach wieder auszurichten."
    Per GPS ans Ziel
    Man kann den Gürtel auch mit einem Handy verbinden und sich denn per GPS über die Vibration zu einem Ziel navigieren lassen. Das Gerät ist neu auf dem Markt, derzeit gibt es etwa 30 Nutzer.
    "Unsere allererste vollblinde Kundin ist eine, die selbstständig alleine ausreitet. Aber sie meinte, es wird auch immer wieder passieren, dass sie sich verirrt und mit dem Gürtel findet sie schneller zurück, weil sie jede Kurve immer spürt."
    Altbekanntes weiterentwickelt
    Neben Susan Wache präsentierten von Mittwoch bis heute über 130 weitere Aussteller Hilfsmittel für Sehbehinderte auf der SightCity in Frankfurt. Der Gürtel ist natürlich ein spektakuläres Beispiel. Aber es gibt auch Altbekanntes, das dank neuester Technik weiterentwickelt wird. Zum Beispiel Bildschirmlesegeräte für Menschen, die nur noch sehr schlecht sehen.
    "Das Standard-Bildschirmlesegerät funktioniert so, dass ich unten was hinlege, eine Kamera nimmt das auf und gibt das dann mit Vergrößerung auf dem Bildschirm wider."
    Das Gerät Veovox am Stand von Reinecker Vision kann aber mehr. Thomas Wahr legt eine Broschüre unter die Kamera. Der Text erscheint auf dem Bildschirm, dann drückt Thomas Wahr auf eine Taste.
    Das Gerät kann Texte automatisch vorlesen. Das kann auch die Kamera des israelischen Herstellers OrCam.
    "Wenn Sie einmal diese reguläre Brille aufsetzen, hier ist eine kleine Halterung am Bügel angebracht mit Magneten dran, der hält dann dementsprechend die Kamera. Wenn Sie einen Text nehmen und dann einfach mit dem Finger aufzeigen."
    Jens Bernhard hängt mir die Kamera an die Brille. Sie erfasst jetzt mein Sichtfeld. Ich zeige mit dem Finger auf eine Stelle auf einem Blatt Papier.
    "Es ist nicht einfach, sich auf eine Sehbehinderung einzustellen."
    Und die Kamera beginnt zu lesen. Sie kann auch Farben, manche Objekte und zuvor eingespeicherte Gesichter erkennen. Das Besondere: Alle Berechnungen finden auf der daumengroßen Kamera statt, eine Internetverbindung ist nicht nötig. Die Gründer der Firma OrCam sind auch Mitbegründer eines Unternehmens, das Fahrassistenzsysteme entwickelt, die etwa Verkehrsschilder erkennen. So fließt Wissen aus der Autoindustrie heute in Assistenzsysteme für Blinde und Sehbehinderte.
    Einflüsse anderer Industrien
    Bei vielen Produkten der SightCity werden die Einflüsse anderer Industrien deutlich. Die Vorlesealgorithmen sind dank der künstlichen Intelligenz virtueller Assistenten wie Siri, Cortana und Co so gut. Die Sensoren und Akkus des Navigationsgürtels stammen aus der Smartphone-Industrie. Das gilt auch für die Technik eines Schuhs der Firma Tec-Innovation aus Österreich:
    "Der Schuh ist mit einem Ultraschall Sensor ausgestattet, der Hindernisse bis zu vier Meter erkennt. Er scannt die Umgebung und bis zu vier Meter informiert er den Benutzer: Dort befindet sich ein Hindernis", erklärt Matthias Moser.
    Der Schuh informiert über Vibration oder spezielle Kopfhörer, die Geräusche über den Kieferknochen ins Ohr leiten. Das klingt dann ein wenig wie das Einparken im Auto und soll für mehr Orientierung sorgen. Auch hier könnte die künstliche Intelligenz bald für weiteren Fortschritt sorgen. Die nächste Generation soll nicht nur den Abstand zu Hindernissen messen, sondern auch erkennen, um was es sich bei dem Hindernis handelt.