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"Signal für deutsch-griechische Solidarität"

Ob Griechenland weitere 31 Milliarden Euro an Hilfe bekäme, sei keine Entscheidung der Troika, sondern der Eurozonen-Länder, sagt CDU-Bundestagsabgeordneter Wolfgang Bosbach anlässlich des geplanten Griechenlandbesuchs von Angela Merkel. Die Reise der Kanzlerin beurteilt Bosbach als Signal für deutsch-griechische Solidarität.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Peter Kapern | 06.10.2012
    Peter Kapern: Vor einer Dreiviertelstunde habe ich Wolfgang Bosbach, den CDU-Bundestagsabgeordneten und bekennenden Kritiker der Griechenlandhilfe gefragt, welche Botschaft für ihn vom Besuch der Kanzlerin in Athen ausgeht.

    Wolfgang Bosbach: Ich gehe davon aus, obwohl der Bundestag das letzte Wort hat bei dieser Frage, dass der Besuch auch ein Signal ist für die deutsch-griechische Solidarität. Dass also die Bundeskanzlerin mit diesem Besuch avisiert, dass wohl die nächste Tranche an Griechenland ausgezahlt werden wird.

    Kapern: Wäre es deshalb nach Ihrer Ansicht besser, wenn sie nicht reisen würde?

    Bosbach: Nein. Das ist der Gegenbesuch, der griechische Ministerpräsident hat vor einigen Wochen Deutschland beziehungsweise Berlin besucht, er war bei der Kanzlerin. Und dass die Bundeskanzlerin jetzt den Gegenbesuch abstattet, ist völlig in Ordnung.

    Kapern: Nun hat es ja bislang immer geheißen, Herr Bosbach, erst müsse man den Bericht der Troika abwarten und dann entscheiden, ob Griechenland weiteres Geld bekommt. Ist das jetzt mit dem Besuch Makulatur?

    Bosbach: Ich habe für diese Argumentation Verständnis, aber ich glaube, alle wissen, was in dem Bericht drinstehen wird, nämlich: Respekt vor den Bemühungen in Griechenland, die vereinbarten Ziele zu erreichen. Dann die traurige Feststellung, dass diese Ziele nicht alle erreicht werden konnten, dass Griechenland aber auf einem guten Weg ist.

    Und letztendlich ist es nicht die Entscheidung der Troika, sondern es ist die Entscheidung der Länder in der Eurozone, ob Griechenland weitere 31 Milliarden Euro an Hilfe bekommt oder nicht. Zwar sagt Griechenland immer wieder, wir brauchen nicht mehr Geld, wir brauchen mehr Zeit. Aber mehr Zeit heißt mehr Geld, und da sollte man nicht drum herum reden.

    Kapern: Lassen Sie mich noch mal zurückkommen kurz auf die Troika. Wenn das tatsächlich so ist, wie Sie es schildern, dann war ja der Prüfauftrag an die Troika von Anfang an möglicherweise nur ein Schachzug, um die Kritiker zu kalmieren, also so etwas wie ein Prüfauftrag für die Galerie?

    Bosbach: Ja und nein. Natürlich ist es richtig und wichtig, dass man überprüft, inwieweit haben die bereits eingeleiteten Reformschritte Erfolg, inwieweit sind die Bemühungen der griechischen Regierung ernsthaft. Inwieweit ändert sich vor allen Dingen das Verhalten der Verwaltung, denn in Griechenland fehlt es ja an einer wirklich effizienten Verwaltung, auch an flächendeckender Steuermoral, aber es ist natürlich eine politische Entscheidung. Und die Troika soll natürlich auch den zu treffenden Entscheidungen den Anschein von Objektivität verleihen.

    Aber die Troika kann nicht die politische Entscheidungsfindung in den Parlamenten ersetzen. Und je höher wir Hilfszahlungen an Griechenland leisten, je höher wir Haftungen und Garantien übernehmen, desto mehr Geld steht im Feuer und desto schwieriger wird es auch fallen, weitere Tranchen nicht mehr zu zahlen. Denn dann wird ja mit einem Schlag offenbar, welche Risiken wir eingegangen sind, die sich dann, bei einer Insolvenz Griechenlands realisieren würden.

    Kapern: Könnten die Staaten, die Griechenland Geld geben, jetzt noch Nein sagen, nach dieser Logik?

    Bosbach: Sie könnten es nicht, wenn es bei der Überschrift bleibt, die Eurozone muss zusammenbleiben, koste es, was es wolle. Wenn es bei diesem Satz bleibt, dann wird es auf Dauer sehr, sehr viel Geld kosten, und da muss man dann auch den Bürgerinnen und Bürgern sagen. Wenn Griechenland selber – denn Griechenland kann nicht ausgeschlossen werden – aber wenn Griechenland selber zu der Überzeugung kommt, unter den Bedingungen des Euro können wir es nicht schaffen, denn Griechenland fehlt es nicht am Bemühen, es fehlt in Griechenland an Wirtschaftskraft, an internationaler Wettbewerbsfähigkeit.

    Und die fehlende Wettbewerbsfähigkeit kann Griechenland nicht mehr, wie in der Vergangenheit, bei eigener Währung, durch Abwertung der Währung kompensieren, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Wenn Griechenland zu der Erkenntnis kommt, haben wir eine völlig neue Lage.

    Kapern: Bis vor Kurzem, Herr Bosbach, hat es ja noch immer geheißen, ein Austritt Griechenlands aus dem Euro sei verkraftbar. Plötzlich ist davon keine Rede mehr. Jetzt heißt es, Griechenland muss auf jeden Fall in der Eurozone bleiben. Was ist da passiert unterwegs?

    Bosbach: Vor allen Dingen ein politischer Gesinnungswandel, denn uns wurde immer wieder, auch in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, gesagt, wir brauchen die EFSF, den vorläufigen Rettungsschirm, wir brauchen auch den dauerhaften Rettungsschirm, um Brandmauern zu errichten. Dass wir, für den Fall, dass Griechenland ausscheidet, keine Infektionsgefahren haben, die andere Länder belasten würden und uns damit auch. Das wurde immer wieder gesagt. Davon ist heute keine Rede mehr. Diese Argumentationslinie verfolgt man nicht weiter. Man will unter allen Umständen in der Eurozone zusammenbleiben. Und ich füge hinzu, wenn das der politische Wunsch bleibt, wird man anderen Ländern nicht das verwehren können, was man Griechenland gibt und zusagt.

    Das Hauptproblem besteht meines Erachtens nicht in zu hohen Haftungsrisiken, die wir auch jetzt erneut in wenigen Stunden mit dem ESM eingehen, der ja dann in Kraft tritt. Das Hauptproblem ist, dass wir durch die faktische Aufhebung es Artikel 125 des EU-Vertrages, der "No-Bailout-Klausel" die Eigenverantwortlichkeit der Staaten für die Folgen ihrer eigenen Finanz- und Haushaltspolitik aufgeben und dass wir die Risiken, die sich aus einer falschen Haushaltspolitik, aus Überschuldung ergeben, auf andere Mitgliedsländer ausdehnen.

    Kapern: Aber diese Aufhebung der Eigenverantwortlichkeit, von der Sie reden, die bezahlt Griechenland ja gerade teuer. Die Menschen in Griechenland insbesondere, durch Sparprogramme, durch hohe Arbeitslosigkeit – kann man da wirklich davon reden, dass die Länder die Konsequenzen ihres Handelns nicht mehr tragen müssen?

    Bosbach: Sie sehen ja gerade, dass Griechenland Konsequenzen trägt, und zwar mit welchen Folgen – wir haben hier eine dramatische Situation in Griechenland. Es werden ja Millionen in Verzweiflung gestürzt, an und unter die Armutsgrenze gedrückt. Und es ist eine politische Frage, um die es sich hier handelt. Der Euro ist natürlich mehr als eine Währungseinheit. Er ist ein politisches Projekt. Er soll den europäischen Einigungsprozess unumkehrbar machen. Will denn ernsthaft jemand behaupten, dass die Entwicklung in den letzten Monaten dazu beigetragen hat, dass die Völker und Nationen in der Eurozone enger zusammengerückt sind?

    Nein. Es werden alte Gräben aufgerissen. Ressentiments werden geschürt. Die schwierige Lage in Griechenland wird von den extremen Kräften politische instrumentalisiert. Das führt doch nicht zu mehr Europa. Das führt zu größerer Skepsis. Und ich bin mir gar nicht sicher, ob es sich die Länder auf Dauer gefallen lassen werden, dass der Eindruck entsteht, der Norden Europas diktiert die Lebensbedingungen in unserem Land. Denn jeder Reformprozess hängt doch davon ab, dass die Bevölkerung ihn auch unterstützt und begleitet.

    Kapern: Jetzt möchte ich noch mal, Herr Bosbach, kurz auf etwas zurückkommen, was Sie vorhin gesagt haben. Da haben Sie ja darauf hingewiesen, dass Griechenland mehr Zeit verlangt für die Sanierung der Staatsfinanzen, und Sie sagten, das bedeute automatisch auch, dass es mehr Geld kostet. Wie viel mehr?

    Bosbach: Ich glaube, die nächste Tranche wird etwa 30 oder 31 Milliarden Euro betragen …

    Kapern: Das war aber auch so geplant.

    Bosbach: Ja ja. Ein nennenswerter Betrag, wie hoch letztendlich freigegeben wird, das kann ich nicht sagen. Da wird man sicherlich und auch aus guten Gründen den Bericht der Troika abwarten. Aber meine Fantasie nach dem bisher Gesagten, von Jean-Claude Juncker und anderen, meine Fantasie reicht nicht aus, um zu glauben, dass in dem Bericht der Troika drin steht, Griechenland kann so keinen erfolgreichen Weg zur Konsolidierung einschlagen. Wir dürfen Griechenland kein weiteres Geld mehr geben. Das kann ich mir nicht vorstellen. Das ist eine politische Entscheidung – man soll es nicht auf die Troika schieben!

    Kapern: Sie haben es eben angedeutet: Am Montag wird der ESM von den EU-Finanzministern ins Leben gerufen, der dauerhafte Euro-Rettungsschirm. Welche Erwartungen verbinden Sie damit?

    Bosbach: Das ist natürlich die Hoffnung, dass genau das nicht eintritt, worüber wir gerade gesprochen haben, dass es für den Fall des Falles, also für den Fall, dass man in Griechenland selber zu der Erkenntnis kommt, unter den Bedingungen des Euro können wir es nicht schaffen, dass es dann zu Ansteckungsgefahren für andere Länder in der Eurozone kommt. Natürlich ist das ein in Zahlen gefasster Ausdruck europäischer Solidarität. Es ist aber auch das Gegenteil von dem, was wir den Menschen bei der Einführung des Euro versprochen haben.

    Wir haben den Menschen gesagt, es geht um eine Währungsunion und sie wird eine Stabilitätsunion sein. Und meine eigene Partei hat 1999 gesagt, nein, wir haften nicht für die Verbindlichkeiten anderer Länder, das schließen wir aus. Und wir müssen schon die Dinge beim Namen nennen. Wir sind mit Riesenschritten auf dem Weg von der Währungsunion zu einer Haftungsunion, und am Ende wird es dann wohl eine Transferunion werden. Die Eurozone sollte nie eine Transferzone werden, auch nie eine Haftungsgemeinschaft.

    Kapern: Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach heute Morgen im Deutschlandfunk. Das Gespräch haben wir vor einer Dreiviertelstunde aufgezeichnet.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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