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Signifikant verlangsamt

Mit Cadel Evans hat die 98. Tour de France erstmals ein Radprofi aus Australien gewonnen. Damit aber nicht genug der Besonderheiten. Möglicherweise gibt es in Sachen Doping eine gewisse Rückentwicklung: Erstmals jedenfalls hat sich bei dieser Tour 2011 das Fahrtempo in den Bergen signifikant verlangsamt.

Von Hans Woller | 24.07.2011
    Eines wurde bei dieser 98. Ausgabe der Tour schon deutlich, sowohl in den Pyrenäen als auch in den Alpen: Die Favoriten, sie flogen nicht mehr, wie in den Jahren zuvor, bei Angriffen über dutzende Kilometer, ohne Luft zu holen, unaufhaltsam davon, sondern mussten sich zwischenzeitlich, fast wie normale Menschen, wieder erholen oder waren am Ende der Etappe wirklich am Ende, hatten nichts mehr zuzulegen - und auch die Sprache der Gesichter war eindeutig: Es kam wieder Schmerz und totale Erschöpfung zum Ausdruck und manche meinen, die Armstrong Ära sei nun endgültig vorbei, wo einer mit unbewegter Mine nach vier Alpenpässen und 200 Kilometern bei der Bergankunft über die Ziellinie rollte.

    Bemerkenswert auch: Bei den Bergankünften, wie etwa auf dem Plateau de Beille in den Pyrenäen, brauchte der Sieger für das letzte Teilstück diesmal drei Minuten länger als einst ein Marco Pantani.

    Und Antoine Vayer, früher Trainer bei Festina, heute Sportwissenschaftler, der seit Jahren die gewichtsbezogenen Leistungen der Fahrer auf bestimmten Bergabschnitten in Watt misst, stellt fest, dass die Contadors, Schlecks, Evans und Bassos für den 16 Kilometer Aufstieg zum Plateau de Beille rund acht Prozent an Leistung verloren hatten uns sich unter der Dopinggrenze von 410 Watt bewegten.

    Gleichzeitig aber sind, wie der Vorsitzende der medizinischen Kommission im französischen Radsportverband und ein wissenschaftlicher Berater der französischen Antidopingagentur in einem Le Monde Interview anmerkten, offensichtlich Kortikoide zur Zeit im Peloton wieder weit verbreitet, feiern eine Art Rennaissance - angesichts der Tatsache, dass sie dank eines neuen Reglements de facto quasi offiziell genehmigt sind.

    Und davon könnten dieses Jahr ja auch die Franzosen und vor allem der Mann aus dem Elsass, Thomas Voeckler, profitiert haben, der zehn Tage lang in Gelben Trikot gefahren ist und zur Überraschung vieler auch an den schwierigsten Bergabschnitten – abgesehen von Alpe d'Huez mit allen Favoriten mithalten konnte, sich mit 32 plötzlich zum Kletterer gewandelt zu haben schien - wo seine Platzierungen bei der Tour in den letzten sechs Jahren zwischen Rang 66 und 124 lagen, mit Zeitrückständen zwischen 1 Stunde 20 und 2 Stunden 30.

    Und doch ist bemerkenswert: erstmals seit der Festina Affäre vor 13 Jahren spielen die Radprofis der französischen Teams, von denen die meisten im letzten Jahrzehnt eine klare Anti Doping Politik verfolgt haben, bei dieser Tour nicht mehr eine völlig untergeordnete Rolle - immerhin waren nach der Etappe von Alpe d'Huez immer noch fünf Franzosen unter den ersten 20, was seit Jahren nicht mehr vorgekommen ist. Dasselbe gilt für die Mannschaftswertung: die fünf französischen Teams waren dieses Jahr nicht, wie im letzten Jahrzehnt üblich, schon nach den ersten Bergetappen ganz weit unten im Classement verschwunden – sondern Europcar un AG2R unter den ersten fünf, Francaise de Jeux und Cofidis im Mittelfeld und im Classement der unter 25 Jährigen für das weisse Trikot, finden sich drei Franzosen unter den ersten fünf - nicht zu vergessen, der 24 jährige Pierre Rolland, Thomas Voecklers Zugpferd in der Bergen, gewann die Etappe von Alpe d'Huez, liess einen Contador am Ende einfach stehen.

    Selbst der 60 Kilometer lange Husarenritt eines Andy Schleck auf der Königstetappe zum Galibier war nicht die Machtdemonstration eines Überirdischen, wie man es seit über einem Jahrzehnt mehrmals erleben konnte, etwa die eines inzwischen dopinggeständigen Floyd Landis 2006 auf der Alpenetappe nach Joux Plane. Auf den letzten Kilometern ging diesmal auch einem Andy Schleck die Luft aus. Nicht anders Alberto Contador beim Anstieg nach Alpe d'Huez: Letztlich hatte er gerade eine Minute gegenüber seinen Konkurrenten aufgeholt.

    Wie auch immer: Ob die einen vielleicht etwas weniger gedopt sind oder die anderen doch wieder zu gewissen Mitteln gegriffen haben: Antoine Vayer, der bereits zitierte Sportwissenschaftler, hat bei dieser Tour de France eine französische Radsporthoffnung, Jean Christophe Peraud, näher beobachtet, einen von dem Vayer hundertprozentig weiß, dass er sauber ist und der nach der letzten Bergetappe immer noch auf Platz 11. im Gesamtclassement lag. Dessen Wattleistungen haben bei dieser Tour nie den Wert von 405 überschritten. Erst wenn Peraud, so sagt Antoine Vayer, die Tour de France gewinnen würde, könnte er sagen, es ist mit dem Doping heute weniger schlimm als bisher.