Donnerstag, 28. März 2024

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Silbermann-Orgelwettbewerb
Historische Orgeln und junge Interpreten

Die Instrumente von Orgelbauer Gottfried Silbermann aus der Barockzeit sind in ihrem Klang unverwechselbar. Ihm zu Ehren wird in Sachsen ein Wettbewerb ausgerichtet, bei dem Musiker aus der ganzen Welt ihr Können auf diversen Silbermann-Orgeln demonstrieren. Der erste Preis ging dieses Jahr an einen ganz jungen Bewerber.

Von Claus Fischer | 18.09.2017
    Blick von unten auf die Pfeifen der Silbermann-Orgel in der Kirche von Niederschöna.
    Silbermann-Orgel in der Kirche von Niederschöna aus dem Jahr 1716. (Deutschlandradio/Claus Fischer)
    Steil und eng ist sie, die Holztreppe zur Empore der Dorfkirche von Niederschöna bei Freiberg. Valentin Rouget aus Rouen in Frankreich merkt man die Nervosität nicht an. Gleich wird er sich "einregistrieren", wie man im Organisten-Jargon sagt, und dann vor der Jury sein Können zeigen.
    "Ich durfte zum Glück schon öfter an Silbermann-Orgeln spielen, so weiß ich, was mich hier erwartet. Es ist schon sehr speziell - diese Instrumente reagieren sehr empfindlich auf alles. Aber sie ermöglichen auf wunderbare Weise, polyphone Musik darzustellen. Sie sprechen quasi mit dem, der sie spielt."
    Profunde Klanglichkeit und unglaubliche Sanglichkeit
    Die Orgeln von Gottfried Silbermann gehören sozusagen zur DNA der sächsischen Musiktradition. Ihr Klang ist unverwechselbar, sagt Martin Schmeding, Professor für Orgel an der Leipziger Musikhochschule und Mitglied der Jury.
    "Eine ganz besondere Charakteristik, die sich für mich immer besonders in den singenden Prinzipalen, den Hauptregistern ausdrückt, und dieser, sagen wir mal, profunden Klanglichkeit, die, wenn man sie richtig erwischt, trotzdem eine unglaubliche Sanglichkeit haben kann – und das ist das, was Silbermann ausmacht."
    Christopher Keenan kommt aus San Antonio in Texas. Dort gibt es so gut wie keine Orgeln aus dem 18. Jahrhundert.
    "Das ist wirklich undankbar für mich, denn ich liebe die deutsche Orgelmusik des Barock, von Johann Sebastian Bach, von Dietrich Buxtehude. So war ich auch schon vier, fünf Mal in Deutschland. Die Instrumente von Silbermann haben den authentischen, puren Klang und der ist wunderbar!"
    Anonyme Bewertung durch die Jury
    Unbeobachtet setzt sich Christopher Keenan an die Orgel. Hinter ihm steht eine riesige Leinwand, damit ihn keiner der Juroren erkennen kann.
    "Ja, das hat Vorteile, das hat Nachteile. Man will natürlich eine größtmögliche Objektivität erzielen", sagt Juryvorsitzender Wolfgang Zerer, Professor für Orgel an der Hamburger Musikhochschule. "Ich hoffe, es würde für mich keinen Unterschied machen, ob ich weiß oder nicht weiß, wer an der Orgel sitzt."
    "Ich glaube, dass wir für die ganze Jury hier sagen können, dass wir alle versuchen, überkategorisch und nach übergeordneten Kategorien zu beurteilen", meint Martin Schmeding. "Darum ist es schön: Man kann ein bisschen entspannter zuhören, dass man sich da keine Gedanken drüber machen muss, wer gerade spielt, aber das ist, glaube ich, nicht das Wichtigste bei einem Wettbewerb."
    Hohes Niveau im Wettbewerb
    Die Bewertung erfolgt nach einem Punktesystem. Wichtig dabei waren vor allem folgende Kriterien: "Ob jemand, neben dem, was er individuell aus einem Stück machen will tatsächlich mit dem Stil, mit der Orgel und mit diesen Dingen umgehen kann und das auch in ein Verhältnis zum eigenen Wollen und Können bringen kann – und das macht eine stimmige Interpretation aus. Und ich denke, das bewerten wir dann auch."
    Das Niveau der Teilnehmer insgesamt war hoch, darin sind sich, alle Juroren einig.
    "Was mir auffällt ist, das ist doch eine richtig große Bandbreite. Ich sage mal: von dem etwas Anarchistischen, ich mache was total Besonderes aus den Stücken, die ja – wie eine Pachelbel-Toccata – jetzt nicht das riesigste Repertoire sind, bis hin zu sehr geschlossenen, sehr runden Interpretationen, die einfach sehr nobel und groß dastehen."
    Finale im Freiberger Dom
    Die dritte Runde des Gottfried-Silbermann-Wettbewerbs, das Finale, fand selbstverständlich im Freiberger Dom statt, in dem gleich zwei Orgeln des Namenspatrons zu finden sind. Christopher Keenan aus San Antonio in Texas hat es unter die fünf Finalisten geschafft. Überrascht war er nicht, die harte Arbeit der letzten Tage, meint er, habe sich eben ausgezahlt.
    Erstmals in der rund 30-jährigen Geschichte des Wettbewerbs lief das Finale nach einem neuen Modus ab, betont Albrecht Koch, Domkantor in Freiberg und Vorsitzender der Internationalen Gottfried-Silbermann-Gesellschaft. Die Teilnehmer hatten freie Hand bei der Auswahl der Werke.
    "Also jeder Teilnehmer konnte ein eigenes Programm zusammenstellen. Die Vorgabe war nur, sich ein wenig an dem Motto 'Fantasien von allerley Gestalt' zu orientieren und natürlich auch im Blick auf das Abschlusskonzert 'Da Pacem, Domine' – Gib Frieden, Herr, einen inhaltlichen Akzent zu setzen."
    Die Sieger
    Neben gängigen Orgelwerken von Johann Sebastian Bach, etwa Fantasie und Fuge g-Moll Werkeverzeichnis 542 spielten die Finalisten erstaunlich viel zeitgenössische Musik, darunter Fantasien von Wolfgang Rihm oder das ausdrucksstarke Stück "Nebulosa" vom Schweden Bengt Hambraeus.
    Das Ergebnis des Silbermann-Wettbewerbs bot mehrere Überraschungen. Der Texaner Christopher Keenan, den viele im Publikum auf einem vorderen Rang gesehen hätten, schaffte es nicht unter die drei Preisträger. Der dritte Preis ging an den Schweizer Marco Amherd aus Zürich. Der zweite Preis ging an die einzige Frau, die es ins Finale geschafft hatte, Josipa Leko aus Kroatien. Sie hat ihr Interesse für historische Orgeln erst während ihres Studiums in Deutschland entwickelt, denn in Kroatien gebe es dazu wenig Gelegenheit.
    "Die Orgellandschaft ist nicht so groß und die Orgeltradition überhaupt nicht so wie in Deutschland. Ich habe mich entschieden ins Ausland zu gehen und eine richtige Ausbildung zu bekommen – und das hat sich jetzt gelohnt!"
    Jüngster Sieger in der Geschichte des Wettbewerbs
    Der erste Preis ging absolut zu recht an den einzigen deutschen Teilnehmer im Finale, den erst 18-jährigen Schüler Johannes Krahl aus Göda bei Bautzen in Sachsen. Er ist zugleich der jüngste Preisträger in der Geschichte des Silbermann-Wettbewerbs. Sowohl bei Bach als auch mit zeitgenössischen Werken überraschte und begeisterte er Jury und Publikum gleichermaßen. Wahrscheinlich weil er sich ein Leben ohne Orgel nicht vorstellen kann.
    "Erst habe ich Klavier gespielt sehr lang, und dann habe ich halt überlegt, wohin soll's gehen später beruflich. Und beim Klavier gibt es halt sehr große Konkurrenz aus Asien usw. Und deswegen bin ich eben zur Orgel gekommen und auch über die Kirche."
    Der erste Sieger Johannes Krahl wird in wenigen Wochen sein Studium bei Orgelprofessor Martin Schmeding in Leipzig beginnen, der ja beim Wettbewerb in der siebenköpfigen Jury saß. Interessanterweise haben auch die anderen beiden Preisträger bei ihm studiert. Das spricht für die Qualität der Ausbildung, sagt der Vorsitzende der Silbermann-Gesellschaft Albrecht Koch. Ein Votum durfte Schmeding für alle drei nämlich nicht abgeben, das sieht das Regularium vor.
    "Kein Lehrer kann für seinen Studenten werten!"
    Die Sieger nehmen übrigens neben Preisgeldern in Höhe von 14.000 Euro auch zahlreiche Konzertverpflichtungen mit nach Hause, das heißt, man wird sie in den nächsten Monaten auf diversen Festivals für Orgel und Alte Musik erleben können.