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"Silent Noise"
Selbstmord-Stück abseits der Konfektionsware

Passender konnte die Uraufführung für "Silent Noise" nicht liegen. Das Stück über den Selbstmord feierte sie am vergangenen Totensonntag. Eine junge Frau, Mutter und Schriftstellerin will sterben und wirft damit viele Fragen auf. Trotz handwerklicher Mängel ist es ein Projekt, dass das Theater weiterbringt.

Von Christian Gampert | 24.11.2014
    Oper und Schauspiel in Frankfurt am Main
    "Silent Noise", ein Projekt über Sylvia Plathg von Laura Linnenbaum, wurde am Schauspiel Frankfurt uraufgeführt. (picture alliance / dpa)
    "I am alive only by accident" - Wer mit diesem Motto ins Leben geht, der wird nicht weit kommen. Da nützen auch alle naturwissenschaftlichen Erklärungen zu Störungen des Serotoninspiegels nichts und zum mangelnden Licht im November, kein Internetforum hilft weiter: Mit seiner Depression ist man allein.
    I am alive only by accident - so sah sich die amerikanische Dichterin Sylvia Plath, die sich am 11. Februar 1963 in London das Leben nahm, kaum 30 Jahre alt. Oberflächlich betrachtet eine erfolgreiche Frau, innen drin ein verzweifelter Mensch, getrieben von Minderwertigkeitsgefühlen und Todessehnsucht. Deutschsprachige Eltern, den frühen Tod des Vaters wird sie nie verarbeiten, mit 20 will sie sich erstmals umbringen. Zum Totensonntag machte das Frankfurter Schauspiel den Versuch, in diesen Kosmos einzudringen: eine schwarze, erdige Bühne hinter einem Leuchtkasten. Zwei großartige Schauspielerinnen, Miriam Strübel und Constanze Becker, geben die zwiegespaltene Hauptfigur - die eine liegt hinten lethargisch unter dem Schreibtisch, die andere geht aufgekratzt auf Partys und spricht dann doch elegische Verse ins Mikrophon.
    Vielfalt poetischer und musikalischer Performance-Elemente
    Alles ist düster in dieser Innenwelt, die immer wieder von beschwingter Unterhaltungsmusik, von scheinbar optimistischen Briefen an die Mutter, von kämpferischen Auseinandersetzungen mit dem Ehemann aufgebrochen wird. Das ist das Prinzip der Regisseurin und Autorin Laura Linnenbaum: mit einer Vielfalt von poetischen und musikalischen Performance-Elementen den seelischen Sumpf immer wieder lichter zu machen - und die Protagonistinnen dann doch darin versacken zu lassen.
    Jean Améry hat uns in seinem großen Essay zum Freitod schon vor vielen Jahren erklärt, dass wir Lebenden den sogenannten Selbst-Mörder (ein ideologischer Begriff) nicht verstehen können - dass der aus freiem Willen zum Tod Entschlossene schon lange vorher nicht mehr dazugehört. Und Amérys Einlassung hat rein gar nichts zu tun mit jener modischen Debatte über Sterbehilfe, wo ein Teil der Diskutanten das ärztlich assistierte Ableben auf Krankenschein fordert. Es ist leider ein großer Unterschied, ob ich selber es tue oder ein anderer es an mir tut, wenn ich es selber nicht mehr tun kann.
    Nun hatte Améry als KZ-Überlebender viele Gründe, nicht mehr unter uns sein zu wollen. Sylvia Plath, deutsche Eltern, legte den Kopf in den Gasherd, und natürlich ist auch das eine Botschaft. Allerdings: Plath ließ zwei sehr kleine Kinder im Gitterbett zurück, und einen Ehemann, den englischen Lyriker Ted Hughes, der es mit der Depressiven nicht aushielt und der sie kurz zuvor - angeblich wegen einer anderen - verlassen hatte. Nicht nur die Kinder waren gestraft, auch der von der Öffentlichkeit verteufelte Ehemann verlor völlig die Kontrolle über sein eigenes Leben.
    Projekt keine Konfektionsware
    Wie unermesslich tief die Wunde ist, die dieser Theaterabend ausloten will, zeigt sich schon daran, dass auch Plaths Sohn, der Naturwissenschaftler Nick Plath, sich viel später umbrachte. Und Ehemann Hughes sein Leben mit Selbstvorwürfen und immer neuen Bearbeitungen seiner Schuld verbrachte. Freilich zog er auch Plaths letzte Tagebücher aus dem Verkehr.
    Die Regisseurin collagiert feinfühlig Plaths Gedichte mit Biographischem, vor allem aus der "Glasglocke", sie lässt aber auch den anderen ihr Recht: dem Lyriker Ted Hughes, etwas zu eitel und selbstgewiss gespielt von Vincent Glander, und dem hilflosen Psychiater, sehr vorsichtig gegeben von Timo Fakhravar. Es läßt sich handwerklich einiges kritisieren an diesem Abend. Aber diese kleinen, jungen, ernsthaft betriebenen Projekte bringen das Theater viel weiter als die immer gleiche Konfektionsware der Firma Castorfpolleschjelinek&Co.