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Silvester-Übergriffe in Köln
Polizist spricht von "chaotischer und beschämender Situation"

Fast eine Woche nach den Übergriffen auf Frauen vor dem Kölner Hauptbahnhof werden immer weitere Details bekannt. Mehrere Medien zitieren aus internen Papieren der Polizei, in denen die Situation als gefährlich und schwer zu kontrollieren beschrieben wird. Inzwischen liegen 121 Strafanzeigen vor.

07.01.2016
    Polizisten stehen am Abend mit dem Rücken zur Kamera vor dem Kölner Hauptbahnhof.
    Polizisten vor dem Kölner Hauptbahnhof. Nach den sexuellen Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht hat die Polizei ihre Präsenz verstärkt. (dpa / Maja Hitij)
    Der Bericht eines Beamten der Bundespolizei liegt der Tageszeitung "Die Welt" und der Deutschen Presse-Agentur vor. Er ist mit dem Wort "Einsatzerfahrungsbericht" überschrieben und zeichnet ein detaillierteres und umfassenderes Bild der Geschehnisse in der Silvesternacht als bisher bekannt. Der WDR dokumentiert den Bericht online; die Bundespolizei habe die Echtheit bestätigt. Auch der "Welt" und dem "Spiegel" liegt er vor.
    Darin beschreibt der Polizist, dass sie schon bei der Anfahrt auf den Platz vor dem Kölner Hauptbahnhof von "aufgeregten Bürgern mit weinenden und geschockten Kindern über die Zustände" informiert worden seien: "Am Vorplatz und der Domtreppe befanden sich einige tausend meist männliche Personen mit Migrationshintergrund, die Feuerwerkskörper jeglicher Art und Flaschen wahllos in die Menschenmenge feuerten bzw. warfen."
    Auf sie zulaufende Bürger hätten von Schlägereien, Diebstählen und sexuellen Übergriffen auf Frauen berichtet. Gegen 22.45 Uhr habe sich der Bahnhofsvorplatz und der Bahnhof weiter mit Menschen gefüllt. "Frauen mit Begleitung oder ohne durchliefen einen im wahrsten Sinne 'Spießroutenlauf' durch die stark alkoholisierten Männermassen, wie man es nicht beschreiben kann", heißt es in dem Bericht weiter.
    Polizisten bei Räumung beschossen und beworfen
    Die Beamten hätten den Bereich der Domtreppe über den Bahnhofsvorplatz daraufhin zwischen etwa 23.30 und 0.15 Uhr geräumt. Dabei seien sie mit Feuerwerkskörpern beschossen und mit Flaschen beworfen worden. Währenddessen habe es weiter Diebstähle und Raubdelikte gegeben. Die Räumung sei auch dadurch erschwert worden, dass die Personen offenbar betrunken und auch etwa durch Joints berauscht waren.
    Der Polizist spricht in seinem Bericht von einer "chaotischen und beschämenden Situation", die Beamten seien einer Respektlosigkeit ihnen gegenüber begegnet, "wie ich sie in 29 Dienstjahren noch nicht erlebt habe". Weiter heißt es: "Die Einsatzkräfte konnten nicht allen Ereignissen, Übergriffen, Straftaten usw. Herr werden, dafür waren es einfach zu viele zur gleichen Zeit."
    "Tätern ging es um sexuelles Amüsement"
    Die "Welt am Sonntag" zitiert außerdem mehrere Kölner Polizisten, die ihrem Polizeipräsidenten Wolfgang Albers widersprechen. Der hatte mitgeteilt, man wisse nicht, um wen es sich bei den Tätern handle. "Es wurden, anders als öffentlich dargestellt, sehr wohl von zahlreichen Personen die Personalien aufgenommen", sagte einer der Beamten. Nach Informationen der Kölner Zeitung "Express" hat die Polizei die Personalien von 71 Menschen festgestellt, gegen zehn Platzverweise ausgesprochen, elf Menschen in Gewahrsam und vier festgenommen sowie 32 Strafanzeigen gestellt. Bisher hatte die Polizei nicht mitgeteilt, dass es Festnahmen oder Ingewahrsamnahmen gab.
    Dem "Express" liegt nach eigenen Angaben der Bericht des Einsatzhundertschaft-Führers der Kölner Polizei vor, dessen Beamte am Hauptbahnhof, auf den Ringen, in der Altstadt und an den Brücken eingesetzt waren. Darin heißt es: "Gegen 22.48 Uhr konnten im Bereich Roncalliplatz/Domplatte/Bahnhofsvorplatz mehrere tausend Personen (genaue Verifizierung nicht möglich) mit Migrationshintergrund (vermutlich mit Flüchtlingsbezug) festgestellt werden."
    Die "Welt am Sonntag" zitiert einen Polizisten, der berichtete, nur bei einer kleinen Minderheit habe es sich um Nordafrikaner gehandelt, der Großteil der Kontrollierten sei Syrer gewesen. "Bei durchgeführten Personalienfeststellungen konnte sich der überwiegende Teil der Personen lediglich mit dem Registrierungsbeleg als Asylsuchender der BAMF ausweisen, Ausweispapiere lagen in der Regel nicht vor", zitiert der Express den Bericht.
    Die "Welt am Sonntag" berichtet weiter unter Berufung auf die Polizisten, die Täter hätten nicht primär Diebstähle begehen wollen unter dem Deckmantel einer sexuellen Belästigung. Es sei genau umgekehrt gewesen. "Vorrangig ging es den meist arabischen Tätern um die Sexualstraftaten oder, um es aus ihrem Blickwinkel zu sagen, um ihr sexuelles Amüsement."
    Der Einsatz war laut dem Bericht des Bundespolizisten um 7.30 Uhr abgeschlossen. In einer Pressemitteilung um 8.57 Uhr sprach die Polizei von friedlichen Silvesterfeierlichkeiten. Sie erwähnte zwar die Räumung der Domtreppe, lobte aber ihren Einsatz mit den Worten: "Trotz der ungeplanten Feierpause gestaltete sich die Einsatzlage entspannt – auch weil die Polizei sich an neuralgischen Orten gut aufgestellt und präsent zeigte."
    Nach den Übergriffen konnten inzwischen 16 Verdächtige ausfindig gemacht werden. Die Zahl der Strafanzeigen stieg auf 121.
    Merkel: Mit Entschiedenheit gegen Frauenverachtung
    Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nach den Übergriffen auf Frauen in Köln Konsequenzen gefordert. Sie sagte in Berlin, der Frauenverachtung, die sich dort in der Silvesternacht gezeigt habe, müsse mit aller Entschiedenheit entgegengetreten werden. Es müsse auch über die Grundlagen des kulturellen Zusammenlebens gesprochen werden. Zudem sei zu prüfen, ob man bisher bei der Ausweisung von straffälligen Ausländern genug getan habe.
    Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Eva Högl, sagte im Deutschlandfunk, mögliches Fehlverhalten der Einsatzkräfte müsse gründlich aufgearbeitet werden. Zugleich betonte sie, die gesetzlichen Regeln zur Abschiebung straffällig gewordener Ausländer seien grundsätzlich richtig. Man solle aber darüber nachdenken, ob sich künftig bereits die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr im Asylverfahren auswirken müsse.
    (stfr/tj)