Donnerstag, 25. April 2024

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"Sind keine Kreuzritter für die Kernenergie"

Der Energiekonzern RWE klagt gegen die Stilllegung des Atomkraftwerks Biblis A. "Es ist eine Illusion zu glauben, wir könnten jetzt die Kernkraftwerke innerhalb von drei, vier Jahren abschalten und dann den Kernkraftstrom durch erneuerbare Energie ersetzen", sagte Vorstandsvorsitzender Jürgen Großmann.

Jürgen Großmann im Gespräch mit Theo Geers | 03.04.2011
    Geers: Herr Großmann, die Atomkatastrophe in Japan bewegt jetzt seit drei Wochen die Welt, und dieser GAU von Fukushima hat ja auch die Debatte hierzulande über die Zukunft der Atomenergie so richtig in Gang gebracht. "Nach Fukushima ist nichts mehr wie vor Fukushima" sagt die Kanzlerin, und ein anderer Politiker hat den Umfaller seiner Partei in dieser Frage der Energiepolitik kürzlich damit begründet, dass die Wahlen am Sonntag in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz eine Abstimmung über die Atomkraft gewesen seien. Er hatte wörtlich hinzugefügt: "Wir haben verstanden". Das heißt, man sieht allenthalben derzeit Abwärtsbewegungen von der Atomenergie. Deshalb direkt gefragt: Stehen Sie immer noch so uneingeschränkt zur Kernenergie wie vor dem GAU in Japan?

    Großmann: Also erst mal: Sie sagen jetzt "nach Fukushima" – wir sind ja im Moment "während Fukushima". Wir wissen nicht genau, wann und wie es gelingt, das, was in Fukushima passiert, unter Kontrolle zu bringen und welche wirklichen Schäden dann dort festzustellen sind. Also, insofern glaube ich, sollte man eine Energiepolitik, die immer langfristig angelegt sein muss, weil Energieinvestitionen hoch sind und eine Volkswirtschaft auf lange Zeit festlegen, nicht über den Stiel brechen. Natürlich sehen wir die Diskussionen, die Kernenergie ist ja für uns keine Religion, sondern sie ist eine Komponente unseres Energiemixes, die uns allerdings in Deutschland, und das sollte man nicht vergessen, über lange Jahre günstige und verlässliche Stromlieferungen gebracht hat.

    Geers: Dennoch gefragt: Hat dieses Ereignis in Japan Ihre Einstellung verändert?

    Großmann: Sie hat meine Einstellung nicht grundsätzlich verändert. Ich habe sehr ernst darüber nachgedacht, auch mit meiner Familie darüber diskutiert: Was heißt das? Ich habe auch versucht mal zu sehen: Was ist denn da passiert? Sehen Sie, manchmal kommt es mir so vor, dass manche Leute einfach sagen: Ich suche mir aus dieser Wand von Fakten, Bildern und Informationen das raus, was am stärksten mit meinem Vorurteil zusammenhängt. So versuche ich, nicht zu sein. Wir sollten ernsthaft analysieren: Was ist passiert? Sie benutzen das Wort "GAU" jetzt schon, inwieweit das so ist, sollte man wirklich analysieren, wenn man es wirklich bewerten kann.

    Geers: Gut. Dann reden wir mal darüber über die Versuche, wie es bewertet wird. Die Bundesregierung hat ja auf das Ereignis in Japan sehr schnell reagiert – mit einem Moratorium. Sieben Meiler wurden innerhalb von wenigen Tagen abgeschaltet, und es mehren sich ja jetzt die Stimmen, die sagen, die sieben sollen auch gar nicht wieder angeschaltet werden. Auf der anderen Seite halten sich diejenigen, die das beträfe, nämlich die vier Stromkonzerne in Deutschland, die Atomkraftwerke betreiben, bisher zurück. Was wollen die denn?

    Großmann: Also, ich bin der Meinung, dass wir sehr ernsthaft die in Deutschland eingerichtete Sicherheit prüfen sollten, wirklich auf einen Prüfstand stellen – ob Sie das nun Stresstest nennen wollen oder anders, das ist mir egal. Wir sollten aber, und insofern sage ich das aus aktuellem Anlass – Herr Wieland hat gesagt: Wir wollen die härtesten Prüfbedingungen in Europa haben. Das klingt gut, wir Deutschen wollen immer die Besten sein, aber die Frage ist: Nützt es uns was, wenn wir andere Standards haben als Reaktoren, die 50 Kilometer von unserer Grenze weg sind. Also ich würde mir wünschen, dass diese Überprüfung der Sicherheitslage möglichst uniform für alle europäischen Kernreaktoren gilt. Immerhin laufen derzeit in der EU 143 Kernkraftwerke – 143!

    Geers: Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass diese strengen deutschen Standards, die am Donnerstag verkündet wurden, dass die möglicherweise auch in Frankreich, in Belgien oder in anderen europäischen Ländern angewendet werden?

    Großmann: Nun, die Frage ist: Sollten wir nicht dann auch mal mit anderen Menschen, die ja auch eine Meinung haben – eine begründete Meinung –, und die auch Kernkraftwerke sicher betreiben wollen, uns darüber unterhalten, was wirklich sinnvoll ist. Ich meine, wir haben ja im Moment in verschiedenen technischen Großprojekten – das scheint mir eine Sache, die mich bekümmert – eine ausstiegsorientierte Politik. Und zwar versucht die Politik ja folgendes zu tun, nämlich durch Kriterien den Betreibern – ob das Stuttgart 21 oder andere Dinge sind – Kosten aufbürden, möglicherweise diese Betreiber dann von sich aus dazu zu bringen, zu sagen: Nein, wir hören auf damit. Ich muss noch mal sagen: Die Kernkraft ist für uns kein Teil einer Religion, sie ist Teil unseres Energiemixes. Deutschland hat sich entschieden, sie nicht langfristig Teil unseres Energiemixes sein zu lassen. Andere Länder, das ist also in den Gesprächen, die da auch in den letzten Wochen in Brüssel geführt wurden, haben ganz klar gesagt: Kernenergie ist und bleibt in Europa Teil des Energiemixes. Insofern: Wir sind keine Insel.

    Geers: Befürchten Sie denn, dass mit diesen Stresstests, die jetzt ab Mitte Mai durchgeführt werden sollen hier in Deutschland, dass da möglicherweise zu strenge Kriterien hinterher angewandt werden, die dann dazu führen, dass der eine oder andere Meiler dann hinten durchfällt und abgeschaltet werden muss?

    Großmann: Wenn es realistische Bedingungen sind, die Risikolagen abbilden, dann befürchte ich überhaupt nichts. Wenn irgendein Teil unseres Unternehmens, und das gilt für Offshore-Windanlagen genau so wie für Braunkohle-Kraftwerke wie für Kernkraftwerke: Wenn da nichts sicher ist und wenn da eine Gefährdung für Leib und Leben – entweder der Leute, die da arbeiten oder der Leute drum rum oder der Kunden –, dann werden wir das nicht betreiben. Das ist ganz klar, denn Priorität hat ganz klar die Sicherheit. Priorität hat auch, dass wir das tun, was das Sozialgebilde um uns herum uns vorschreibt. Wir sind gesetzestreue Bürger, und die RWE AG ist eine juristische Person, die sich peinlich an alle Gesetze hält, die in Deutschland immer geblieben ist, hier Steuern bezahlt hat, hier Leute ausbildet, die Teil dieses Landes ist und gern Teil dieses Landes ist. Aber wir sagen natürlich auch: Wir haben eine gewisse Verantwortung unseren Eigentümern gegenüber. Deutschland hat die Kernenergie gewollt, wir haben das mal zusammengestellt: Es gibt wunderbare Schreiben vom RWE-Vorstand an Bundeswirtschaftsministerien aus den 60er und 70er-Jahren, die eine höchst kritische Position zur Kernenergie dargestellt haben. Deutschland wollte in die Kernenergie, weil man damit die Lösung aller Energiefragen sah. Übrigens auch die 68er, die sahen ja in der Energiepolitik die Kernenergie absolut als akzeptabel. So, wir sind dann reingegangen, weil das die Gesellschaft so wollte. Und nun, weil die Gesellschaft raus will, sollen wir raus, aber wir sollen das möglichst nicht zu Kosten für irgendjemand machen. Was mich an der derzeitigen Diskussion auch etwas stört, ist: Natürlich will unsere Regierung, unser Staat, Schadensersatzforderungen gegen den Staat vermeiden. Am besten vermeidet man Schadensersatzforderungen, wenn man keine Schäden zufügt. Dann sollten wir doch mal versuchen, wie wir gemeinschaftlich zu einer Lösung kommen können.

    Geers: Dann dröseln wir das jetzt mal ein bisschen auf, Herr Großmann. Die Frage erst noch mal: Was wollen denn jetzt die Betreiber der Kernkraftwerke, wollen die, dass Meiler am Netz bleiben nach Ablauf des Moratoriums – das beträfe die sieben, die jetzt abgeschaltet wurden, und was soll mit denen passieren, die im Moment noch weiter laufen? Die Politik sagt eindeutig: Wir wollen aus der Atomkraft raus, und wir wollen schneller raus, als es bisher geplant war. Was wollen die Betreiber?

    Großmann: Die Betreiber möchten erst mal, dass unabhängig, Herr Geers, von einer Kommission, die keine vorgefasste Meinung hat, festgestellt wird, welche Sicherheit ist denn da? Und dass das zu Kriterien festgestellt wird, die international akzeptabel sind, die also nicht so weit von internationalen Standards abweichen, dass sie unerfüllbar sind. Und wenn klar wird, welche der sieben stillgelegten Reaktoren diese Kriterien erfüllen, dann sollte man aber auch sagen: Okay, die, die sie nicht erfüllen, die nehmen wir nicht wieder ans Netz. Damit sind, glaube ich, alle einverstanden. Aber die, die sie erfüllen, die sollte man nicht nur deshalb abschalten, weil man damit einer vorherigen politischen Forderung gerecht wird.

    Geers: Befürchten Sie, dass die Kriterien wirklich möglicherweise so hochgeschraubt werden, dass keines der betroffenen Atomkraftwerke diese Kriterien noch erfüllt, oder dass es möglicherweise Politik ist, die dahinter steckt?

    Großmann: Ja, ich bin ja vorhin schon mal ein kleines bisschen darauf eingegangen. Ich glaube, es wäre falsch, etwas zu tun, was nicht an anderer Stelle auch getan wird hier. Ich glaube, es wäre nicht sachgerecht, wenn wir in Deutschland Standards, die so zusagen niemand erfüllen kann, einrichten und dann unsere Kernkraftwerke stilllegen und dann Strom aus Kernkraftwerken importieren – und das werden wir, nach europäischem Recht kann uns jeder Kernkraftstrom liefern, der möglicherweise aus Meilern kommt, die unseren eigenen Sicherheitsanforderungen nicht entsprechen.

    Geers: Reden wir mal über die Folgen eines Abschaltens oder eines schnelleren Ausstiegs aus der Atomenergie. Die erste Frage, die die Nation auch bewegt und die die Menschen bewegt, ist: Geht das überhaupt Ihrer Meinung nach, kann Deutschland schneller aus der Atomenergie aussteigen? Wenn man jetzt zum Beispiel zu dem Schluss käme, bestimmte Reaktoren sind nicht mehr sicher oder es haben sich andere Sicherheitsanforderungen ergeben, die man vorher nicht auf dem Schirm hatte – und deswegen werden sie jetzt abgeschaltet. Geht das - und in welchen Zeiträumen müssen wir da rechnen? Es gibt ja Stimmen, die sagen: Das ist bis 2015, 2017, 2020 möglich.

    Großmann: Also, an dieser Jahreszahl-Spekulation möchte ich mich nicht beteiligen. Wir müssen feststellen, dass wir bisher in unserem Netz eine Sicherheitsmarge haben, die dazu führt, dass wir nur Minuten im Jahr in Deutschland Stromausfälle haben. Diese Sicherheitsmarge wird mit Sicherheit kleiner. Wir müssen also damit rechnen, dass Stromausfälle häufiger werden, dass sie zwei, drei Tage im Jahr auftreten können. Wir müssen auch ganz klar damit rechnen, dass wir kurzfristig die Kernenergie nur durch fossile Energie ersetzen können. Es wird im wesentlichen Kohle sein, so viel Gaskapazität haben wir auch nicht. Das heißt, das Abschalten wird kurzfristig zu einer Erhöhung der CO2-Immissionen kommen. Ich meine, wie sich die Zeiten ändern: Vor einigen Jahren sind einige weltweit prominente Umweltschützer ja bewusst für die Kernenergie eingetreten, weil sie gesagt haben: Das Kernenergie-Risiko ist geringer als die CO2-Schäden, die mit Sicherheit eintreten werden. Also wir müssen uns darüber im Klaren sein: Es geht jetzt nicht, das, was ja mittel- und langfristig unser Ziel ist – Kernenergie als Brückentechnologie – das Ausphasen aus der Kernenergie mit einem Einphasen in die Erneuerbaren zu verbinden, wenn das Ausphasen so rasch passiert. Denn immerhin haben wir ja schon Milliarden – Hunderte von Milliarden – in die Erneuerbaren gesteckt, wir sind jetzt bei 17 Prozent – knapp unter 17 Prozent der Stromerzeugung bei den Erneuerbaren. Es ist eine Illusion zu glauben, wir könnten jetzt die Kernkraftwerke innerhalb von drei, vier Jahren abschalten und dann den Kernkraftstrom durch erneuerbare Energie ersetzen. Das wird nicht funktionieren.

    Geers: Was passiert denn mit den Strompreisen?

    Großmann: Das haben Sie jetzt gesehen, der Markt hat noch nicht voll realisiert, dass die sieben möglicherweise raus bleiben. Er ist im Erzeugermarkt um 15 Prozent, 20 Prozent gestiegen.

    Geers: Das ist der Großhandelspreis. Und was heißt das dann für die Endverbraucher?

    Großmann: Ja, wollen wir mal sehen, was davon bleibt. Sie müssen bedenken, dass diese Preissteigerungen ja die Erzeugung betreffen und nicht die Verteilung. Wir werden aber indirekte Preiseffekte haben. Jeder zahlt ja die Erneuerbaren über seine Netzgebühr mit. Und die wird natürlich bei verstärktem Erneuerbareneinsatz auch steigen. Wir haben also direkt – ich sage mal – anderthalb, zwei Cent kurzfristig, das kann mehr werden, liegt auch an einer Reihe von anderen Preisen, Co2-Preisen und anderen Dingen. Und wir haben natürlich indirekt durch den verstärkten Einsatz der Erneuerbaren noch mal zwei Cent oder so – das sind Schätzungen von mir jetzt mit ganz großem Daumen – sodass der Endverbraucherpreis, schätze ich, um 20 Prozent steigen wird.

    Geers: Zu den Fragen der Kosten, Herr Großmann, gehört auch die Frage, ob die Betreiber der Atomkraftwerke möglicherweise Entschädigungen verlangen werden. Was können Sie dazu sagen?

    Großmann: Also, erst mal leben wir ja in einem Rechtsstaat, und Klagen gegen den Staat gehören zur Tagesordnung. Insofern sollte man keinen, der in einem Rechtsstaat ein Urteil sucht, verdammen. Klar ist auch, dass der Vorstand einer Aktiengesellschaft nach Aktienrecht dem Wohl, also dem Vermögen der AG und damit auch dem Vermögen der Aktionäre, sich entsprechend dafür einsetzen muss. Er muss Vermögensschäden vermeiden. Insofern hat der Vorstand einer Aktiengesellschaft unserer Meinung nach – und wir haben uns da natürlich auch extern juristisch beraten lassen – kaum eine andere Möglichkeit, als zu entscheiden, dagegen zu klagen. Das heißt ja nicht, dass wir nicht das Moratorium akzeptieren, wenn eben diese Tests durchgeführt werden. Wir brauchen einfach die Wahrung unserer Rechtsposition, dass, wenn ein Schaden eintritt, wir zumindest uns bemühen, formaljuristisch diesen Schaden ausgeglichen zu bekommen.

    Geers: Können Sie sagen, um wie viel Geld es da geht?

    Großmann: Das kann ich, glaube ich, nicht sagen. Es geht um einen fühlbaren Betrag.

    Geers: Diesen Betrag müsste dann ja im Grunde der Steuerzahler bezahlen, oder wer ist dann derjenige, der es tragen müsste?

    Großmann: Der Staat. Der Staat hat ja Vermögenswerte, die nicht nur aus Steuereinnahmen kommen. Der Staat nimmt ja auch an anderen Dingen uns Geld weg. Und man wird halt sehen, wer das bezahlt.

    Geers: Fürchten Sie keinen Imageverlust, wenn Sie in dieser Situation, in der ja im Grunde die öffentliche Meinung eher gegen Atomkraft eingestellt ist, Sie jetzt kommen und sagen, wir wollen auch noch Geld dafür, dass wir diese Atommeiler vom Netz nehmen?

    Großmann: Ja, Augenblick. Also erst mal, diese Atommeiler sind nach allen jetzt geltenden Rechtsnormen sicher. Sie entsprechen allen Auflagen, die wir haben. Insofern ist es doch eher so, dass man uns einen Grund geben muss, warum diese Meiler nicht mehr sicher sind. Der Staat kann diese Sache sehr simpel lösen, indem er sagt, ich ordne sofortige Vollziehbarkeit an. Alles klar, bleiben die Meiler draußen, wunderbar. Und dann sollten wir langfristig mal in einer zu verhandelnden Lösung mit dem Staat sehen, wie ist denn unsere Energiepolitik in der Zukunft und welche Rolle haben dabei die integrierten Energiekonzerne. Ich möchte auch noch mal ganz klar Ihrer unterliegenden Annahme widersprechen, wir seien nur ein Atomkonzern. Wir sind, und das können wir nachweisen, der größte Investor in erneuerbare Energien in Deutschland, und wir versuchen, dieses Unternehmen so umzustrukturieren, dass wir den Zielen der Gesellschaft in der Zukunft entsprechen können. Das heißt also, aus der Kernenergie weg in Erneuerbare reinzugehen. Aber dafür möchten wir natürlich unser Vermögen zusammenhalten. Das ist, glaube ich, das legitime Recht eines jeden. Und ich glaube, ein nüchtern überlegender Bürger wird das auch akzeptieren.

    Geers: Nun bewegen Sie sich – Sie haben das vorhin auch gesagt – mit der Kernenergie in einem politischen Raum, in dem die Politik den Rahmen vorgibt. Und die Politik sagt, wir wollen jetzt schneller aussteigen, und die Politik hatte schon in den letzten Wochen ein erhebliches Glaubwürdigkeitsproblem wegen der Rolle rückwärts, die die regierenden Parteien in Berlin gemacht haben. 70 Prozent der Deutschen zweifeln, glaube ich, auch an der Ernsthaftigkeit dieser Rolle rückwärts. Die Frage ist ganz einfach, müssen diese Parteien, um nicht völlig unglaubwürdig zu bleiben, jetzt nicht dabei bleiben, dass sie sagen, wir wollen aussteigen? Und bleibt Ihnen dann als Betreiber im Grunde nichts anderes übrig als zu sagen, okay, wenn dem so ist, wird es so kommen?

    Großmann: Herr Geers, so klar ist die Situation ja nicht, wie Sie das schildern. Wir sehen von einzelnen Politikern, dass es Meinungsäußerungen gibt, Überzeugungen, die sie geäußert haben. Die offizielle Stellungnahme ist doch, dass wir ein Moratorium haben, in dem wir prüfen, inwieweit unsere Kernkraftwerke sicher sind. Das ist das, worauf wir uns verlassen.

    Geers: Glauben Sie, dass dieses Moratorium im Moment noch ergebnisoffen gefahren wird? Oder sind da nicht schon möglicherweise Vorentscheidungen gefallen und man sagt es nur nicht?

    Großmann: Das entzieht sich meiner Kenntnis. Also, ich meine, wir leben in einem fairen Staat, in einem offenen, transparenten Staat, in dem wir als Erzeuger, die RWE AG, sich gesetzeskonform verhält, absolut gesetzeskonform. Wir wollen langfristig in diesem Staat weiter tätig sein und wir wollen dafür in die Lage versetzt werden. Und insofern kann ich da nichts moralisch Verwerfliches daran finden. Ich kann auch nichts daran finden, wenn die Politik eine Zeit braucht, ein solches Moratorium – ich halte das Moratorium für gut –, in dem man nachdenkt. Danach sind die Dinge vielleicht schon etwas klarer. Und Sie haben vorhin gefragt, wird die Kernenergie dann noch eine Rolle spielen – sie wird eine Rolle in Europa spielen, sie wird auch noch einige Jahre eine Rolle in Deutschland spielen. Und das sollten wir versuchen, in einem Konsens und nicht in von den Medien vor allen Dingen geschürten Konflikten zu lösen, sondern in einem gesellschaftsübergreifenden Konsens.

    Geers: Nun hat ja die Bundesregierung gerade erst vor einem halben Jahr, im letzten Herbst, ein Energiekonzept verabschiedet. In der Öffentlichkeit ist dieses Konzept vor allem wegen der Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke wahrgenommen worden. Aber es steht noch mehr drin, in diesem Energiekonzept. Dennoch die Frage, wenn jetzt der Drang oder der politische Druck größer wird, möglicherweise schneller aus der Atomkraft auszusteigen, brauchen wir möglicherweise auch ein neues Energiekonzept für dieses Land?

    Großmann: Also, wir werden das Energiekonzept, was ja seinerzeit nur in Grundzügen festgestellt worden ist – es sind Trends, in die wir uns bewegen sollen, festgelegt worden –, das werden wir ohnehin mit einzelnen Aktionen unterlegen müssen. Wir müssen also ganz klar sagen, mit welchen Maßnahmen gehen wir das an. Insofern werden wir verschiedene Teile unseres Energiekonzeptes überarbeiten müssen. Es geht ja darum, nicht nur Energie zu erzeugen, sondern Energie, auch erneuerbare Energien, zum Verbraucher zu bringen. Was hilft es, wenn ich irgendwo eine beliebige Menge Solarstrom oder Windstrom ins Netz einspeisen könnte, dieses Netz aber nicht vorhanden ist, um den ökologisch akzeptabel erzeugten Strom zum Verbraucher zu bringen. Also insofern wird es um viele Teile dieses Energiekonzeptes gehen, die wir bestimmen müssen. Wir werden aber dann auch – und das ist eine Diskussion, die bei dem Zug zu den Erneuerbaren im Moment laufend übersehen wird oder zumindest hinten angestellt wird – wir werden auch über die Kosten reden müssen. Unsere Volkswirtschaft ist eine industriebasierte Volkswirtschaft, und wir wissen, dass im Moment der Strom aus den erneuerbaren Quellen um den Faktor mindestens zwei, meistens vier, fünf, sechs teurer ist als aus konventionellen Quellen. Und dann müssen wir sehen, diese Preissteigerungen, wenn sie denn von den Verbrauchern zu tragen sind, und das sind sie ja, der Staat wird sie ja nicht tragen, wozu führt das? Welche Industrien gibt es noch in Deutschland und welche werden sich woanders ansiedeln müssen?

    Geers: Also, Sie fürchten, dass es hier zu einem möglicherweise auch Industriesterben kommen könnte, wenn der Strom zu teuer würde, weil wir zu schnell aus der Atomkraft aussteigen und zu schnell in die Erneuerbaren rein gehen?

    Großmann: Ich kann Ihnen sagen, dass ich als RWE-Chef stolz bin, dazu beigetragen zu haben, dass Werke wie Dow Chemical in Stade oder die Hamburger Aluminiumwerke oder Trimet hier in Essen und andere Großchemie hier in Deutschland geblieben ist, weil wir günstige Strompreise anbieten konnten. Und wenn wir das in der Zukunft nicht tun können, dann befürchte ich, dass da einige industrielle Basis unseres Landes verloren gehen wird.

    Geers: Bleiben wir noch mal beim Energiekonzept, Herr Großmann. Wir haben, wie gesagt, im Herbst eines verabschiedet und man dachte im Herbst eigentlich, okay, es steht. Es sieht bestimmte Laufzeitverlängerung vor, aber es sieht auch bestimmte andere Maßnahmen vor, Netzausbau und vieles andere mehr. Jetzt wird das Ganze Konzept gerade mal ein halbes Jahr später schon wieder irgendwie doch in Frage gestellt. Anders kann man es ja nicht beschreiben, wenn man nach Berlin schaut. Müsste es Ihrer Meinung nach vielleicht hierzulande auch einen übergreifenden Konsens geben in der Energiepolitik, der dazu führen würde, dass möglicherweise nicht alle paar Jahre nach jeder Bundestagswahl wieder ein neues Energiekonzept geschrieben wird, dass die eine Partei sagt, wir gehen rein in die Kernkraft, die anderen wollen raus? So können Sie doch nicht planen.

    Großmann: Herr Geers, ich habe ja gerade schon angemahnt, ich glaube, wir brauchen einen nationalen Energieplan. Ich habe den übrigens bei meinem Amtsantritt schon einmal gefordert und ich glaube, ein solcher Plan muss immer überprüft werden. Aber wir müssen dann da eben auch Taten folgen lassen und es muss finanzierbar sein, für uns als Staat, für uns als Unternehmen und für uns als Verbraucher auch. Was hat es für einen Zweck, wenn sie, sagen wir mal, Sicherheitsstandards überall und Standards definieren, die sie nur mit einem Rolls Royce erfüllen können oder mit einem riesigen Auto, und die Leute trotzdem Polo und Golf fahren wollen und müssen. Also, es muss die Kunst des Möglichen sein. Und noch mal, ich glaube, es hilft nur dann, wenn wir – wir sind so stolz auf Europa – wenn wir uns in Europa in irgend einem Gleichschritt bewegen. Also, Sicherheit ist immer nur Gesamtsicherheit Europas und unsere Sicherheitsinteressen können nicht an unseren Ländergrenzen aufhören.

    Geers: Wäre es denn theoretisch zumindest vorstellbar, dass zum Beispiel die Betreiber der Atomkraftwerke im Laufe eines solchen Energiekonzepts möglicherweise auch sagen, okay, wenn wir einen langfristigen Plan bekommen, dann steigen wir auch aus und verzichten auf diese gesellschaftlich umstrittene Form der Energieversorgung?

    Großmann: In der gegenwärtigen Diskussion schließe ich überhaupt nichts aus. Noch mal, wir sind keine Kreuzritter für die Kernenergie. Wir sind Kreuzritter für eine sichere und verlässliche Energieversorgung, die auch bezahlbar ist in Deutschland. Und da sind wir natürlich flexibel.

    Geers: Haben Sie eigentlich im Moment das Gefühl, wenn Sie an Energiepolitik denken und wenn Sie daran denken, wie Sie Ihre Position an den Mann bringen wollen und in die Öffentlichkeit bringen wollen und an diejenigen, die das letztlich entscheiden, dass Sie auf verlorenem Posten derzeit kämpfen, oder ist das noch nicht so?

    Großmann: Ich glaube, wenn man eine Verantwortung für ein Unternehmen und für Mitarbeiter übernimmt, dann kann man sich nicht nur nach wechselnden Meinungen richten. Man muss schon gewisse Überzeugungen haben, bei denen man auch bleibt. Noch mal, ich akzeptiere Primat der Politik. Die RWE AG wird sich gesetzeskonform verhalten, sie wird aber auch, auch im Sinne ihrer Mitarbeiter und Aktionäre, natürlich versuchen, Anlagen zu betreiben, die sicher sind und für die wir ein Betreibensrecht haben.

    Geers: Das heißt also, Sie haben schon vor, dass die Atomkraftwerke, die es derzeit gibt, noch eine Zeit lang länger laufen?

    Großmann: Wenn sie den Tests entsprechen. Also, ich glaube, man kann ausschließen, dass alle sieben weiterlaufen. Aber ich halte es ohne Weiteres für möglich – ich glaube, Herr Gröhe hat das auch im Laufe dieser Woche gesagt ...

    Geers: ...Herr Gröhe ist der CDU-Generalsekretär.

    Großmann: ...der CDU-Generalsekretär, dass er damit rechnet, dass möglicherweise von den sieben ein, zwei, drei auch einen Stresstest bestehen. Und ich meine, das Bestehen eines Tests kann ja an sich nicht so schrecklich sein.

    Geers: Und was ist mit den Atommeilern, die nicht vom Moratorium derzeit betroffen sind und ohnehin weiterlaufen? Soll sich da was ändern? Kann sich da was ändern? Wird sich da was ändern?

    Großmann: Auch für die gibt es eine Gesetzeslage. Diese Gesetzeslage ist bisher nicht verändert worden.