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Sinfonische Musik
Bedrich Smetanas "Mein Vaterland"

Im Dezember 2014 feierte der tschechische Dirigent Jakub Hrůša sein umjubeltes Debüt als Gast bei den Bamberger Symphonikern. Zu hören war die sinfonische Dichtung "Mein Vaterland" von Bedrich Smetana. Jetzt wurde das Werk in einer bemerkenswerten Aufnahme noch einmal auf CD eingespielt.

Von Marcus Stäbler | 25.12.2016
    Der tschechische Dirigent Jakub Hrůša.
    Der tschechische Dirigent Jakub Hrůša (imago/CTK Photo/Stan Peska)
    Musik: Smetana: "Má Vlast", Beginn
    Bedrich Smetana beginnt seine sinfonische Dichtung "Mein Vaterland" mit einem ausgedehnten Solo der Harfen. Sie erinnern an einen Harfner namens Lumir aus mythischer Vorzeit. Lumir besingt den Ruhm und die Herrlichkeit der Burg Vyšehrad am Ufer der Moldau, die als Geburtsstätte der tschechischen Nation verehrt wird.
    Musik: Smetana: "Má Vlast", Vyšehrad, Beginn
    Majestätische Pracht, Nostalgie, und ein archaischer Legendenton: all das vereint Smetana in seinem Vyšehrad-Motiv, das unüberhörbar von Wagners Wallhall inspiriert ist und im weiteren Verlauf des Stücks "Mein Vaterland" noch mehrfach in Erscheinung tritt. Jakub Hrůša und die Bamberger Symphoniker kosten die erhabene Größe der Musik stilsicher aus. Durch kurze Betonungszäsuren gibt Hrůša den Schwerpunkten des Themas noch mehr Gewicht. Das kostet etwas Zeit - aber diese Investition lohnt sich. So kann das Orchester ganz in Ruhe seine Strahlkraft entfalten, gekrönt vom Glanz der Trompeten.
    Musik: Smetana: "Má Vlast", Vyšehrad
    Als ganzes Werk, mit allen sechs Sätzen, ist die sinfonische Dichtung "Mein Vaterland" von Bedrich Smetana nur selten live zu hören. Eine der wenigen Gelegenheiten in Deutschland erlebten die Konzertbesucher im Dezember 2014 in Bamberg: Damals feierte der junge tschechische Dirigent Jakub Hrůša sein umjubeltes Debüt als Gast bei den Bamberger Symphonikern. Es habe gleich gefunkt zwischen ihm und dem Orchester, bekannten die Musiker im Anschluss – nur wenige Monate später wählten sie ihn dann auch zu ihrem neuen künstlerischen Leiter, als Nachfolger des langjährigen Chefdirigenten Jonathan Nott.
    Mit der ersten gemeinsamen CD-Produktion kehren Hrůša und sein Bamberger Orchester zu Smetanas Meisterwerk zurück. In ihrer Aufnahme von "Mein Vaterland" haben die Interpreten die besondere Magie der Erstbegegnung auf Tonträger konserviert. Das Funken und Kribbeln ist deutlich zu spüren, auch im Satz mit dem Titel "Die Moldau". Mit raschen, wellenförmigen Figuren zeichnet Smetana dort tonmalerisch den Lauf der Moldau nach – und diesen Figuren gibt Jakub Hrůša eine klare Kontur, indem er das An- und Abschwellen hervorhebt. Der musikalische Fluss schäumt etwas stärker als in anderen Aufnahmen, als wehte hier ein besonders frischer Wind.
    Musik: Smetana: "Má Vlast", Vltava
    Jakub Hrůša lässt das Wasser der Moldau glitzern und wirbeln, in seiner Debütaufnahme als Chefdirigent der Bamberger Symphoniker. Hrůša, 1981 in Brünn geboren, hat an der Prager Akademie der musischen Künste unter anderem bei Jiri Belohlavek studiert und ist mit dem tschechischen Repertoire aufgewachsen. Mit den Bamberger Symphonikern trifft er auf ein Orchester, das sich ebenfalls ausdrücklich auf die tschechische Tradition beruft. Auf seiner Internet-Website widmet das Orchester dem "böhmischen Klang" ein eigenes Kapitel und nennt ihn eine "musikantische Lebenseinstellung". Damit verweisen die Bamberger Symphoniker demonstrativ auf ihre Wurzeln.
    Musik: Smetana: "Má Vlast", Vltava
    Das Orchester wurde 1946 gegründet und gab vielen aus Prag emigrierten Musikern nach dem Krieg eine neue Heimat im Westen. Wie hoch dieser Anteil an Exilpragern damals tatsächlich war, darüber gehen die Meinungen auseinander. Ganz so direkt, wie die Legende sagt, sind die Bamberger Symphoniker wohl nicht aus der ehemaligen Deutschen Philharmonie in Prag hervor gegangen.
    Trotzdem steht die enge Verbindung mit Tschechien und der dortigen Tradition außer Frage. Auch wenn das Orchester heute Musiker aus 25 Nationen beschäftigt und der letzte Ur-Prager schon 1980 ausgeschieden ist, hat der Klangkörper über 70 Jahre einen eigenen Ton bewahrt. Der ist auch in der Aufnahme von Smetanas "Mein Vaterland" zu hören – etwa im körperlichen Streichersound, der durch den Einsatz des Vibratos eine besondere Leuchtkraft bekommt.
    Musik: Smetana: "Má Vlast", Šarka
    Neben dem charakteristischen Klang, den Jakub Hrůša flexibel ausformt, demonstriert das Orchester auch ein besonderes Temperament, eine grundsätzlich sehr bodenständige Musizierhaltung. Die kommt vor allem den folkloristischen Momenten des Stücks entgegen, wie im vierten Satz mit dem Titel "Aus Böhmens Hain und Flur". Auf den Spuren von Beethovens "Pastorale" vertont Bedrich Smetana dort seine Empfindungen beim Anblick der böhmischen Natur. Im Geiste durchstreift er dunkle Wälder und sonnige Auen entlang der Elbe und erlebt während der Landpartie das ein oder andere Fest auf dem Dorf. Dort fühlen sich die Bamberger Symphoniker spürbar wohl und spielen mit Schwung und saftigem Klang. Dabei demonstriert Jakub Hrůša sein Gespür für die feinen Staus und Verzögerungen, die den Charme dieser Musik ausmachen.
    Musik: Smetana: "Má Vlast", Aus Böhmens Hain und Flur
    Nach der über weite Strecken heiteren und ausgelassenen Stimmung beendet Smetana den Ausflug in die böhmische Natur mit einem schmissigen Finale, dessen Ende sich eigentlich wie ein richtiger Schluss anfühlt. Womöglich dachte das auch Smetana selbst, als er hinter den Titeln der ersten vier Sätze notierte: "Geschaffen als Ganzes". Er hatte diese vier Teile ab September 1874 innerhalb von dreizehn Monaten komponiert. Erst drei Jahre später ergänzte er die sinfonische Dichtung "Mein Vaterland" noch um zwei weitere Sätze – wahrscheinlich auch, um die patriotische Botschaft der Musik zu untermauern. Smetana hat sich leidenschaftlich für die tschechische Unabhängigkeit von Österreich-Ungarn eingesetzt und sein Orchesterwerk vermutlich deshalb musikalisch aufgerüstet: Mit dem fünften und sechsten Satz aus "Mein Vaterland" rückt er die Hussiten ins Bild, die als Gotteskämpfer für ein freies Böhmen in den Krieg ziehen. Der Komponist vertont diesen patriotischen Kampf sehr direkt und plastisch, mit wildem Schlachtenlärm und donnernden Schlägen der Pauke.
    Musik: Smetana: "Má Vlast": Tábor
    Jakub Hrůša und die Bamberger Symphoniker stürzen sich mit voller Orchesterwucht ins Getümmel, wahren dabei aber immer den Überblick. Wie Hrůša die Explosionen mit den lyrischen Schichten der Partitur zusammenführt, wie er hinter dem musikalischen Schlachtfeld allmählich einen Silberstreif der Holzbläser aufscheinen lässt, gehört zu den schönsten und berührendsten Momenten der Aufnahme.
    Musik: Smetana: "Má Vlast"
    Manchmal fräsen sich die Piccoloflöte, das Becken und die Trompete hier so schrill ins Ohr, dass einem das Trommelfell flirrt. Aber ein musikalisches Abbild des Krieges soll und darf ja vielleicht auch nicht immer nur angenehm sein. Ansonsten bleibt der Klang der Aufnahme auch bei krassen dynamischen Kontrasten ausgewogen und fein balanciert. Ein Beleg für das hohe Niveau der Bamberger Symphoniker, aber auch für die gute Arbeit der Tonmeister und die Qualitäten des Joseph-Keilberth-Saals in der Konzerthalle Bamberg, der seit der Optimierung durch den Akustiker Yasuhisa Toyota im Jahr 2008 als bester Konzertsaal in Bayern gilt.
    Jakub Hrůša nutzt diese Voraussetzungen für eine sehr farbige und reich differenzierte Interpretation von Smetanas Zyklus "Mein Vaterland", die Sorgfalt, Temperament und musikantisches Herzblut vereint – auch im sechsten Satz aus "Mein Vaterland". Vor dem siegreichen Kampf der Ritter für die Freiheit des Böhmerlandes entwirft Smetana dort noch ein idyllisches Bild. Friedliche Hirten und ihre Tiere bevölkern eine beinahe weihnachtliche Szenerie. Jakub Hrůša lässt die sanglichen Linien der Bläser ganz organisch ineinander greifen, die stellenweise sogar noch eine Spur weicher hätten spielen können.
    Musik: Smetana: "Má Vlast", Blanik
    Ein letzter Moment der Ruhe, bevor die Ritter in die Schlacht ziehen. Das war ein Ausschnitt aus dem sechsten Satz von Bedrich Smetanas sinfonischer Dichtung "Mein Vaterland", gespielt von den Bamberger Symphonikern unter Leitung von Jakub Hrůša. Die Aufnahme ist eine Koproduktion des Labels Tudor mit BR-Klassik. Am Mikrofon verabschiedet sich Marcus Stäbler, ich wünsche Ihnen noch einen schönen ersten Weihnachtstag.
    Smetana: "Má Vlast"
    Bamberger Symphoniker
    Leitung: Jakub Hrůša
    Tudor (LC 02365) 812973011965