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Singende Stars und Selbstfindung in den Alpen

Anne Hathaway, Russel Crowe und Hugh Jackman singen sich durch die industrielle Revolution in Frankreich, ein Teenie aus schwierigen Verhältnissen wird zur Läuterung in die Schweizer Alpen geschickt und ein US-Sportler macht Karriere im Iran.

Von Jörg Albrecht | 20.02.2013
    Les Misérables

    Sie flüstert, sie haucht, sie schnappt nach Luft. Mit brüchiger Stimme beginnt Anne Hathaway in der Rolle der Fabrikarbeiterin Fantine "I dreamed a dream" zu singen, den Ohrwurm von "Les Misérables". Ein Lied, das selbst Menschen kennen, die um Musicals einen großen Bogen machen.

    Live gesungen. Müsste eigentlich links oben auf der Leinwand zu lesen sein. Denn das ist es: Das Alleinstellungsmerkmal dieser Musicalverfilmung. Die Darsteller haben nicht im Studio – sie haben direkt auf dem Set geschmettert. Eine grandiose und dabei doch so simple Idee – erst recht bei einem völlig durchgesungenen Musical, wie es "Les Misérables" ist. So werden die gespielten Emotionen wahrhaftiger und im Fall von Anne Hathaways Auftritten als vom Leben gebeutelte Fantine umso berührender. Sie leidet, sie verzweifelt, sie mobilisiert ihre allerletzten Kräfte.

    Das ist großartig und absolut eines Oscars würdig. Einziges Problem: Das Filetstück ist schon nach 25 Minuten weggesungen. Und dabei hat die Geschichte von "Les Misérables" doch gerade erst begonnen. Sie nimmt ihren Anfang 1815 an der französischen Atlantikküste.

    "Now bring me prisoner 24601 ...","

    um mehr als 30 Jahre später in Paris zu enden:

    ""Do you hear the people sing?"

    Diese für Musical-Verhältnisse ungewöhnlich komplexe Geschichte verknüpft diverse Einzelschicksale mit der politischen und sozialen Wirklichkeit in den Jahren der industriellen Revolution zwischen der Ersten und Zweiten Französischen Republik. Neben Anne Hathaway singen und spielen sich unter anderem Hugh Jackman, Russell Crowe und Amanda Seyfried durch eine bildgewaltige Ausstattungsorgie, deren Inszenierung mit ihrem Hang zur großen Geste jeden Musicalfan begeistern dürfte.

    Bei den stimmlichen Darbietungen wird das Urteil weniger einhellig ausfallen. Wird doch bei den meisten Musicalverfilmungen statt auf gute Sänger auf das Starpotenzial von Hollywoodmimen gesetzt. So würde bei Mr. Crowe wahrscheinlich im Zeugnis stehen: Er hat sich stets bemüht. Somit ist "Les Misérables" von Tom Hopper zwar sehens-, aber nur bedingt hörenswert!

    Puppe

    "Aufhören, Maggie! Sofort. Hast du den Verstand verloren? Keine Gewalt. Schon vergessen? Warum machst du so was? Es geht um dein Leben. Ist es das wert, das du dir das versaust?"

    Da ist selbst eine Schauspielerin wie Corinna Harfouch überfordert. Wie bitte soll sie derart holzschnittartigen Dialogen Leben einhauchen? Noch mehr mühen sich die Jungdarstellerinnen ab, die Regisseur Sebastian Kutzli in seinem Spielfilmdebüt "Puppe" auf einem abgelegenen Berghof in den Schweizer Alpen ins Resozialisierungsprogramm schickt. Anna, Straßenkind aus Duisburg, ist die Neue auf dem Berghof. Ein Teenager aus schwierigen Verhältnissen, bei dem Eltern, Jugendamt und Psychologen versagt haben. Lange wird sie hier nicht bleiben. Soviel steht für Anna fest.

    "Ich mag dich voll." - "Ich hau ab. Kommst du mit? Haste Angst?" – "Nein."

    Zu plumpen Dialogen kommen noch schwach gezeichnete Figuren und – was am Schlimmsten ist – eine vollkommen unglaubwürdig konstruierte Geschichte. Die ist zudem auch noch sperrig und holprig inszeniert und macht "Puppe" von Sebastian Kutzli zu einem Ärgernis.

    Der Iran Job

    "I played college basketball in Jacksonville University. I thought, I had a really great shot to make it to the NBA, but I didn´t make it. Once I finished college, I received many calls from overseas teams. So now I am, what you call a ´journeyman."

    Sportler wie Kevin Sheppard nennt man Wandergesellen oder – weniger freundlich – Söldner. Mit dem Traum von der Profiliga ist es für den schwarzen Basketballer nach dem College nichts geworden. Trotzdem ist Sheppard ein Star in seinem Sport. Nur nicht in den USA, sondern in einem Land, das George Bush zur Achse des Bösen gezählt hat. Kevin Sheppard ist 2008 zum iranischen Club A.S. Shiraz gewechselt. Der Filmemacher Till Schauder hat den Sportler während seiner ersten Saison im Iran mit der Kamera begleitet. Und das meist ohne Drehgenehmigung.

    Mit Kevin Sheppard hat der Film einen charismatischen Protagonisten, der sich – wie er selbst sagt – so weit wie möglich aus der Politik heraushalten wolle. Dennoch bildet der Film immer wieder in den Begegnungen des Basketballers mit Einheimischen die gesellschaftliche Realität im Iran ab. So wird ein größtenteils amüsantes Sportlerporträt auch zu einem anschaulichen Dokument über die Repressionen in der islamischen Republik. "Der Iran Job" von Till Schauder: Empfehlenswert!