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Singer-Romanadaption in Berlin
Scheitern an den Zwischentönen

Yael Ronen hat am Maxim Gorki Theater den Roman "Feinde - Die Geschichte einer Liebe" auf die Bühne gebracht. Den lakonischen Ton der Buchvorlage von Literaturnobelpreisträger Isaac Bashevis Singer bekommt die israelische Regisseurin aber nie zu fassen.

Von Eberhard Spreng | 13.03.2016
    Das Maxim Gorki Theater, aufgenommen am 29.10.2012 in Berlin.
    Das Maxim Gorki Theater in Berlin (picture-alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Herman Broder lebt in der Bühnenumlaufbahn: Immer wieder wirft er sich hastig seinen Trench um, setzt sich seinen immer zerbeulteren Hut auf und hastet zum nächsten Podest, von Frau zu Frau, und zum Rabbi und weiter zur nächsten Frau. Simple Plattformen sind in ein Gerüst eingelassen und jedes beherbergt ein kleines Spielräumchen, ein kleines Weltchen, ein kleines Zuhause. Dazwischen Leitern, über die Aleksandar Radenković als Herman Broder einen Parcours abläuft, dessen Stationen vielleicht einmal etwas mit seiner Gefühlswelt zu tun hatten, nun aber wie simple Flächen funktionieren, zwischen denen er wie ein Ping-Pong-Ball umherspringt. Befeuert wird das Gehetze von den musikalischen Einlagen eines Trios um Daniel Kahn.
    Hermans Leben ist ein einziger Strudel. Ist er bei Yadwiga, dem einfachen Bauernmädchen, das ihn im von Nazis besetzten Polen versteckt hielt und das er aus Dankbarkeit geheiratet hat, klingelt das Telefon und seine Geliebte Mascha beordert ihn zu sich. Kaum war da kurz mal Leidenschaft im Spiel, treibt es ihn in die Pflicht des Broterwerbs. Herman muss aufpassen, was er wem erzählt, sein Lügendickicht wird immer undurchdringlicher. Ganz unhaltbar wird es, nachdem überraschend seine tot geglaubte Ehefrau Tamara wieder auftaucht. Çiğdem Teke spielt sie als pragmatische, fast schwesterlich hilfreiche Frau mit dem Hang zum Ordnen der verworrenen Dinge im Leben ihres jüdischen Don Juan:
    "Menschen wie du sind nicht imstande, eigene Entscheidungen zu treffen. Hier in Amerika haben einige Leute so was wie ’nen Manager. Lass du mich deine Managerin sein. Tu so, als wärst du in einem Konzentrationslager. Ich sag dir, was du tun musst und du tust es."
    Die Protagonisten im ursprünglich jiddisch verfassten Roman aus der New Yorker Nachkriegszeit sind in gewissem Sinne alle Untote. Sie sind dem größten Grauen der Menschheitsgeschichte entronnen und sie sind überdreht aufgrund der abgeschüttelten Todesangst. Aber auch irgendwie mit Schuldgefühlen behaftet weil oft einzige Überlebende ihrer Familien. Die Gespenster der Vergangenheit verfolgen sie. Wie lebt sich’s so, wenn man mit zwei Schusswunden aus einem Leichenberg ins Leben zurückgekrochen ist; wie, wenn man sich fürs Überleben prostituieren musste? Wie aber auch, wenn man sich als Analphabetin in der Fremde wiederfindet, als Schickse in einem jüdisch geprägten Umfeld? Die Israelin Orit Nahmias spielt die polnische Einwanderin Yadwiga als still Leidende mit einem geduldig verfolgten Lebensprojekt: Sie wird sich den jüdischen Lebensgewohnheiten ihrer Umgebung anpassen und konvertiert während ihrer Schwangerschaft zum jüdischen Glauben.
    Singer gibt nicht den historischen Resonanzraum ab
    Was Herman Broder immer wieder in die Arme der hysterischen Nervensäge Mascha treibt, was in den Einflussbereich seiner tot geglaubten Ehefrau, warum er plötzlich mit drei Frauen verheiratet ist, erspielt Aleksandar Radenković nicht. Wir erfahren nur, dass es stattfindet. Yael Ronen begnügt sich in ihrer Romanadaption mit schnell skizzierten Kernszenen der Liebeskomödie. Lea Draeger bleibt dabei als Mascha konstant in einem einzigen hysterisch-herrischen Register, eine Figurentwicklung ist nicht zu erkennen. Allenfalls ein paar Videoprojektionen lassen schemenhaft psychologische Abgründe erahnen. Ein riesiger Mann ohne Kopf überragt diese Mascha in den letzten Momenten vor ihrem Selbstmord, schwarze Wolken senken sich immer wieder über die Bühne, Jadwigas Schatten erscheint auf Maschas Nachthemd, als sie wieder einmal an Hermans Untreue verzweifelt.
    Das Leiden der einen spiegelt sich so im Leiden der anderen. Auch schauen sich die Darstellerinnen bei Telephonaten gelegentlich an und überwinden so den räumlichen Abstand oder reagieren stumm, mal schadenfroh, mal traurig auf das, was sich gerade an Tisch und Bett der Anderen abspielt. Nie aber bekommt die Aufführung den lakonischen Ton zu fassen, den schillernden Wechsel von Komik, Tragik und dem Melodramatischen in Singers Romanvorlage. Yael Ronen, deren robustes, handfestes Theater immer wieder überzeugte, wenn es darum ging, in bislang unverstandenen Problemfeldern der Gegenwart klare Konfliktlinien aufzuzeigen, scheitert hier an den romanesken Zwischentönen, den psychischen Schattierungen. So kann Singers Roman nicht den historischen Resonanzraum abgeben für ein am Gorki-Theater vermutlich angestrebtes Lernziel: Wir sollen aufhören, eine Masse von Flüchtlingen zu sehen und anfangen, die Komplexität von Einzelschicksalen und kulturellen Identitäten zu begreifen.