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Singspiel mit Rührpotential

Die Schwetzinger Festspiele haben Anton Schweitzers Oper "Rosamunde" wiederentdeckt und gut 230 Jahre nach der Uraufführung auf die Bühne gebracht: Regisseur Jens-Daniel Herzog hat das Stück um rasende Eifersucht mit Slapstick-Elementen inszeniert.

Von Frieder Reininghaus | 21.05.2012
    Als der aus Coburg stammende Musiker Anton Schweitzer im November 1887 in Gotha starb, benutzte der Bäcker, bei dem er zuletzt wohnte, den größten Teil seiner Manuskripte "zum Ofenheizen". Schon 1774 war ein erheblicher Teil seiner Kompositionen ein Raub der Flammen geworden – beim Brand des Weimarer Schlosses. Dort gastierte die Theater-Compagnie Abel Seylers, deren Kapellmeister Schweitzer war, kontinuierlich seit 1772, hatte neben der Spielstätte Kulissen sowie Kostüme untergebracht – und eben auch das Notenmaterial. Kurz: Nur ein kleinerer Teil von Schweitzers Werk ist erhalten. Zufällig, so erzählt die Dramaturgin in Schwetzingen, habe sich eine Kopie der "Rosamunde"-Partitur erhalten – sie war wohl nicht ordnungsgemäß archiviert worden.

    Schwetzingen ist eine idyllische Kleinstadt. Spätestens beim letzten Bier im "Ritter", wo auch Mozart und Schiller schon eingekehrt sind, oder beim Frühstück im Lügenbrückl läuft man sich über den Weg. Da sitzt auch schon Sarah Wegener, die im letzten Jahr die Partie des Opfers bei der Oper "Bluthaus" bestritten hatte. Heuer ist sie Täterin: Sie singt die eifersüchtige Königin Elinor von Aquitanien, die im Jahr 1177 die schöne junge Rosamunde vergiftet haben soll, für die und sich ihr Mann, König Henry II von England in Woodstock "ein Haus von wunderbarer Bauart" errichten ließ. Die Sopranistin ist mit ihrer Partie zufrieden. "Etliche Passagen aus der Rosamunde", sagt sie, "finden sich etwas später auch bei Mozart, der die Musik Anton Schweitzers ziemlich genau gekannt und wohl auch geschätzt hat". Abends konnte man dann den Furor hören, mit dem Sarah Wegener die Wut, Rachegelüste und Morddrohungen der frustrierten und bitterbösen Eleonore funkeln lässt – auch, wie nahe diese Partie bereits an die der "Königin der Nacht" heranreicht.

    König Henry II Plantagenet hatte, bevor er von der britischen Insel zum Krieg aufs Festland auszog, eigentlich ganz gut für die junge Frau vorgesorgt, die der Chronist seine "Beyschläferin" nennt: Er hatte die Grafentochter wohl in einer Art unterirdischer Liebesgrotte versteckt und dies 'Nest' mit labyrinthischem Zugang versehen lassen. Frank Hönigs Bühne zeigt das Quartier hinter einer Front von Kassettentüren, die sich auf irritierende Weise verschieben lässt. Die Königin späht durch Spalten, kann aber nichts erkennen. Erst der Verrat des Höflings Belmont schafft ihr die Gewissheit, dass sie handeln – das heißt: die Rivalin aus der Welt schaffen müsse. Mit der Axt arbeitet sie sich bis zu dem liebreizenden Geschöpf vor, das Regisseur Jens-Daniel Herzog in einer Kuschelbärenbettlandschaft unter Luftballons zeigt, auf die das Konterfei des fernen Liebsten aufgedruckt wurde.

    Auf dem Weg zur ultimativen Lösung – Rosamund darf immerhin zwischen Gift und Dolch wählen – muss der Ritter vom Turm ausgeschaltet werden: Herzog zeigt ihn als gemütlich vespernden Wachmann. Dann, wie die Königin die Spritze eigenhändig aufzieht und in die Armvene pumpt. Doch der wankelmütige Belmont hat die Ampulle mit dem tödlichen Gift in eine mit Betäubungsmittel vertauscht. Rosamunde überlebt also den Anschlag und der König kann nach seiner Rückkehr die Genesende in seine Arme schließen.

    Da der Textdichter Wieland aus Gründen der Steigerung des Rührpotentials seines Librettos Rosamunde als noch unbescholtene Jungfrau vorstellt, die trotz ihrer Verliebtheit in den König nicht dessen Partnerin sein und schon gar nicht mit ihm den Thron teilen will, inszeniert Herzog rund um den Nachttopf der im Krankenhausbett liegenden Rosamunde eine rechte Slapstick-Komödie. Die bessere Hälfte des Schwetzinger Publikums fand das deplaziert. Die genaueren Zuhörer aber bemerkten wohl, dass der Regisseur die dramaturgischen Schwachstellen der Musik und die recht irdischen (oder in diesem Fall sogar unterirdischen) Längen mit dem Theatergetue zu überbrücken und kaschieren suchte, auch die allzu engen tenoralen Möglichkeiten des königlichen Kriegshelden Christoph Genz.

    Dabei leistete Jan Willem de Vriend mit einer Auswahl von Musikern des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart grundsolide Arbeit und begleitet Rosamunde mit klarem Streichersatz und elaborierten Bläsereinlagen bis in den Tod: Beim Defilee des Hofs vor dem neuen Paar reißt sich die böse Alte Perücke und Maske herunter und ersticht die Braut coram publico. Eleonore Marguerre stirbt so schön wie sie singt.