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Sinnliche Komponenten und prunkvolles Gold

Gegründet 874 nach Christus ist das Kloster Daigo-Ji. eins der bedeutendsten religiösen Zentren Japans und ein beliebter Wallfahrtsort. Der Daigo-ji hat eine Sammlung von etwa 150.000 Kunstschätzen: Skulpturen, Gemälde, ikonographische Zeichnungen, Lackarbeiten oder Sutren. Von denen sind etwa 240 zurzeit in der Bonner Ausstellung zu sehen. Sie bringen dem Besucher eine sehr weltliche Religion nahe.

Von Barbara Geschwinde | 27.04.2008
    "Wenn die Kirschen blühn,
    ist in ihrem Schatten sich
    keiner völlig fremd."

    Dieses Gedicht von Issa, einem berühmten japanischen Haiku-Dichter, kommt mir beim Betreten der Ausstellung "Tempelschätze des heiligen Berges Daigo-ji" in den Sinn. Denn gleich am Anfang des Parcours steht eine bemalte Schiebetür, mit Kirschbaum, Mond und Pagode. Die Kirschblüte ist ein wichtiges Symbol in der japanischen Kultur; sie steht für Schönheit und Vergänglichkeit. Auf dem Gelände des Daigo-ji in der Nähe von Kyoto blühen im Frühling zahlreiche Kirschbäume und das Kirschblütenfest des Tempels ist schon seit Jahrhunderten berühmt.

    Dieser sinnliche Einstieg in die Ausstellung versetzt den Besucher emotional in den Garten eines japanischen Tempels. Der Daigo-ji ist ein Tempel des geheimen Buddhismus. Das bedeutet, dass die buddhistische Lehre direkt von Lehrer zu Schüler weitergegeben wird und deren Anhänger Buddha ganz nah sind. Auch der Dalai Lama ist ein Anhänger des geheimen Buddhismus. Dieser Zweig entwickelte eine spezifische Ikonographie und veränderte Kunst und Religion in Japan.

    "Die Schriften des Geheimen Buddhismus sind so tiefgründig, dass sie nur durch den bildlichen Ausdruck vermittelt werden können."

    So beschrieb es der Mönch Kukai, der Anfang des 9. Jahrhunderts diese Schule des Buddhismus von einer Pilgerreise aus China nach Japan mitgebracht hat.

    Charakteristisch sind die Vielgliedrigkeit der Heilsfiguren oder deren zum Teil sehr zorniger Gesichtsausdruck. Auch die Mandalas, die bei der Durchführung buddhistischer Riten jeweils rechts und links vom Altar hängen, sind grundlegende Bildwerke des Geheimen Buddhismus. Es sind Hängerollen aus Seide in kräftigen Farben. Sie treten immer paarweise auf und stehen für zwei Sphären, die so genannte Mutterschoß-Sphäre und die Diamanten-Sphäre. Beide bilden zusammen eine Einheit und stellen das gesamte buddhistische Universum dar. Während im Mandala der Mutterschoß-Sphäre der Sonnenbuddha mit dem achtblättrigen Lotos in der Mitte thront und um ihn herum die restliche Welt angeordnet ist, gibt es im Mandala der Diamanten-Sphäre neun gleich große Bildfelder.

    Im Zentrum der Ausstellung ist ein Altarraum nachgebaut. Um eine zweistöckige goldene Pagode herum sind die Altargeräte angeordnet. Das sind Räuchergefäße, Opferschalen, Vasen oder Glocken, die für verschiedene Zwecke genutzt werden, wie die rituelle Reinigung des Altars, die Abwehr von Dämonen, zur Beseitigung der weltlichen Begierden oder zur einfachen Freude der Heilsfiguren oder Menschen.

    In den Bann ziehen den Betrachter die fünf lebensgroßen Wissenskönige, die mit furchteinflößenden Grimassen auf die Besucher herabblicken. Damit wehren sie Böses ab und werden darum auch in Zeremonien für die Sicherheit der Nation und das Abwehren von Naturkatastrophen verwendet.

    Der Daigo-ji hat eine Sammlung von etwa 150.000 Kunstschätzen, wie Skulpturen, Gemälde, ikonographische Zeichnungen, Lackarbeiten oder Sutren, also heilige Schriften des Buddhismus. Von denen sind etwa 240 zurzeit in der Bonner Ausstellung zu sehen. Sie bringen dem Besucher eine sehr weltliche Religion nahe. Im geheimen Buddhismus können die Mönche heiraten und durch Meditation zur Erleuchtung im heutigen Leben gelangen. Viele der Mönche sind und waren auch im sozialen Bereich aktiv. So ist der Daigo-ji für die Gründung von Schulen, Kranken- oder Waisenhäusern verantwortlich. Der Tempel schützte auch Frauen, die sich vor häuslicher Gewalt zu ihm flüchteten. Daneben sammelte sich im Tempel auch medizinisches oder technisches Wissen und Fremdsprachenkenntnisse wurden vermittelt.

    Der Ausstellung führt an den geheimen Buddhismus heran; ihr gelingt es, ein komplexes Thema verständlich darzustellen. Sie ist komprimiert und überschaubar, erklärend und sinnlich zugleich.

    Der Rundgang durch die Ausstellung schließt wieder mit einer sinnlichen Komponente: mit Stellschirmen, die viel prunkvolles Gold zeigen. Und wie bereits am Eingang der Ausstellung sieht der Besucher noch einmal das beliebteste Motiv des Daigo-ji: die Kirschblüte. Der Mönch Basho erfasste diese Stimmung in folgendem Haiku:

    "In der Frühlingsnacht
    Sind die Blüten aufgeblüht -
    Nun ist sie vorbei."