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"Situation dort vor Ort ist sehr schwierig"

Ende Juli wurden im Osten Kongos Hunderte Frauen von Soldaten vergewaltigt, die UNO-Blauhelme konnten nicht eingreifen. Tinko Weibezahl von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kinshasa beschreibt die Angst von Opfern, sich überhaupt an die UNO zu wenden.

Tinko Weibezahl im Gespräch mit Christoph Heinemann | 09.09.2010
    Christoph Heinemann: Ende Juli wurden im Osten Kongos Hunderte Frauen tagelang von einer brutalen Soldateska vergewaltigt. Die Täter kommen aus dem Kongo, aber auch aus Ruanda. Für die Frauen ist das ein Albtraum und anschließend werden sie auch oft noch vielfach von ihren Angehörigen aus dem Dorf verstoßen, ein grauenvolles Schicksal. Das alles geschah, obwohl nur wenige Kilometer entfernt UNO-Blauhelme stationiert waren. Die Vereinten Nationen in New York haben eingeräumt, dass das nicht hätte passieren dürfen.

    – Tinko Weibezahl leitet die Dependance der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo. Herr Weibezahl, wir sind jetzt mit Ihnen verbunden. Hören Sie uns?

    Tinko Weibezahl: Ja, ich höre Sie.

    Heinemann: Wunderbar. – Einen schönen guten Morgen erst mal!

    Weibezahl: Guten Morgen!

    Heinemann: Warum haben die Blauhelme den Frauen nicht helfen können?

    Weibezahl: Also, die Situation dort vor Ort ist sehr schwierig. Die Kommunikationsmittel sind de facto nicht vorhanden. Es gibt so gut wie keine Funkverbindungen. Und meine Vermutung ist, dass die Leute in den Dörfern Angst hatten, die Blauhelme zur Hilfe zu rufen, einfach aus Angst vor Racheakten der Rebellengruppen, wenn die Blauhelme dann wieder abgezogen sind.

    Heinemann: Was hätten die Blauhelme tun können?

    Weibezahl: Ehrlich gesagt wenig. Sie haben dort vor Ort 25 Rebellengruppen, die zum Teil verbündet, zum Teil unabhängig voneinander agieren. Die Vergewaltigung, sexuelle Gewalt als Machtmittel nutzen, um eigene Stärke zu demonstrieren und auch die Handlungsunfähigkeit der Zentralregierung in Kinshasa zu demonstrieren. Wenn die Blauhelme eingreifen, müssen sie zuerst einmal wissen wo. Das heißt, sie müssen wissen, was passiert und wo es passiert. Und dort sind sie auf die Hilfe der lokalen Bevölkerung angewiesen. Wenn die lokale Bevölkerung aber in der beständigen Angst lebt, dass anschließend die Rebellengruppen aus Rache für das Zur-Hilfe-Rufen der UN die Dörfer niederbrennen und die Leute ermorden, dann, können Sie sich vorstellen, ist die Situation nicht ganz so leicht.

    Heinemann: Heißt umgekehrt auch, dass die UNO bloßgestellt ist?

    Weibezahl: Was heißt "bloßgestellt"? Die UNO tut mit dem Mandat, was sie dort hat, das, was in ihren Möglichkeiten steht. Wenn man solche Vorgänge verhindern will, ist es mit einer UN-Mission nicht getan. Dort ist ein konzentriertes Handeln vonnöten und auch ein Einwirken. Und nicht nur auf die Regierung der Demokratischen Republik Kongo, sondern auch die der Nachbarländer. Sie müssen sehen: Die Rebellengruppen profitieren dort vom Abbau von Rohstoffen, die in der gesamten westlichen Welt Verwendung finden in jedem Handy, in jedem Computer. Und solange sozusagen die Abnehmer auf dem Weltmarkt vorhanden sind, ist dieser illegale Abbau oder das Eintreiben willkürlicher Steuern auf den Straßen, das Errichten von Straßensperren ein einträgliches Geschäft für diese Rebellengruppen. Und nur alleine die dort stationierten MONUC-Soldaten werden an der Situation nicht viel ändern können.

    Heinemann: Was meinten Sie eben mit "konzentriertem Handeln" vonseiten der UNO?

    Weibezahl: Sie müssen überlegen: Dort wird Gold, Zinn, Wolfram, Tantal, Coltan abgebaut, das auf dem Weltmarkt zu Schleuderpreisen angeboten wird. Und deren Abbau die Rebellengruppen fast nichts kostet, weil sie die Dorfbewohner zwingen, in illegalen Mienen zu arbeiten. Oder aber die Rebellengruppen errichten Straßensperren und treiben dort quasi illegale Steuern ein von den Transporten, die auch aus legalen Mienen kommen. Und es gibt immer Abnehmer für diese Rohstoffe. Die Situation dort im Osten Kongos ist natürlich sehr unübersichtlich. Es gibt viele Wälder, Dörfer. Der Feind ist auch nicht immer erkennbar. So ein Rebell, der kann sich natürlich auch ganz schnell tarnen, indem er sich Zivilkleidung anzieht und seine Waffe verscharrt. Und dann ist es für einen UN-Blauhelm-Soldaten ganz schwer nachzuvollziehen, wer da die Guten und wer die Bösen sind. Dieses Vorgehen wird natürlich verurteilt von der internationalen Gemeinschaft. Es gibt immer wieder gut gemeinte Aufrufe an die Regierungen der Länder. Aber solange es kein wirkliches System gibt, die Rohstoffe zu zertifizieren, deren Herkunft nachzuverfolgen, und auch ganz klare Sanktionen einzuleiten, ist es ganz schwer auch für die UN-Soldaten, dort für Ruhe und Frieden zu sorgen.

    Heinemann: Herr Weibezahl, erinnert Sie das an die Lage in Ruanda während oder vor dem Bürgerkrieg in den 90-er-Jahren?

    Weibezahl: Sie müssen überlegen: Alle Welt redet immer von dem Genozid in Ruanda 1994. Das ist natürlich richtig und dort hat die internationale Gemeinschaft nicht eingegriffen, obwohl sie moralisch dazu verpflichtet gewesen wäre. Im Kongo sind von 1998 bis 2008 Millionen Menschen umgekommen. Und das ist einfach nicht mehr so präsent in der Öffentlichkeit, weil das sich zu so einer Art fast schon Alltag entwickelt hat. Es gibt immer mal wieder ein paar Zeitungsartikel und es gibt natürlich auch die UN-Mission - und die ist immerhin über 20.000 Mann stark und damit die größte UN-Mission. Aber natürlich erinnert mich das daran, weil die Situation nach wie vor schrecklich ist für die Einwohner in den entsprechenden Gebieten.

    Heinemann: Heikles Thema: In welchem Maß trifft es zu, dass UNO-Blauhelm-Soldaten selbst zu Tätern werden und Frauen vergewaltigen?

    Weibezahl: Ich glaube, das ist nicht das wirkliche Problem. Die Täter sind schon aufseiten der Rebellen zu suchen, zum Teil auch aufseiten der regulären Streitkräfte in der DR Kongo. Die sind natürlich sehr chaotisch, sehr unorganisiert, die Zentralregierung in Kinshasa hat keine wirkliche Kontrollmacht. Die Infrastruktur ist schlecht und Sie müssen sich eine Sache überlegen: Die MONUC-Soldaten, die Blauhelm-Soldaten, kommen zum Teil aus Ländern, die selbst keine Demokratie kennen. Und die sind schlecht ausgebildet und ausgerüstet zum Teil. Die Truppenstellerländer sind Pakistan, Uruguay, Indien. Es gibt Gerüchte, dass in Uruguay zum Beispiel Soldaten per Zeitungsannonce angeworben werden und dann nach einer zweiwöchigen Ausbildung im Kongo tätig sind. Das ist natürlich überhaupt nicht vergleichbar mit gut ausgebildeten und gut ausgerüsteten Armeen, wie wir sie kennen aus der Bundesrepublik, Amerika etc.

    Heinemann: Tinko Weibezahl von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kinshasa. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Weibezahl: Herzlichen Dank!