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Situation in der Golfregion
"Zu einem dritten Golfkrieg wird es nicht kommen"

Das Hamburger Giga-Institut für Nahost-Studien erwartet keine weitere Eskalation in der Golfregion. "Solange der gemeinsame Gegner IS nicht geschlagen ist, werden Saudi-Arabien und der Iran sich hüten, offen militärisch gegeneinander vorzugehen", meint Professor Henner Fürtig, Leiter des GIGA-Instituts. Auch eine direkte Auseinandersetzung beider Staaten in den Kriegsgebieten des Jemen und Syrien sei unwahrscheinlich.

Henner Fürtig im Gespräch mit Christoph Heinemann | 04.01.2016
    Eine Frau aus Bahrain hält ein Poster mit dem Foto des Schiiten Nimr al-Nimr während einer Protestkundgebung gegen seine Hinrichtung durch die saudi-arabische Regierung.
    Eine Frau aus Bahrain hält ein Poster mit dem Foto des Schiiten Nimr al-Nimr während einer Protestkundgebung gegen seine Hinrichtung durch die saudi-arabische Regierung. (afp / Mohammed Al-Shaikh)
    "Allerdings muss man damit rechnen, dass in den iranischen und saudischen Medien eine große Propagandawelle losgetreten wird", so Fürtig. Dieser Sturm werde aber wieder verebben und beide Staaten zur Realpolitik zurückkehren. Fürtig betont, Saudi-Arabien sei in den vergangenen 50 bis 60 Jahren ein verlässlicher Partner für die USA und den gesamten Westen gewesen, allerdings zu einem hohen Preis, denn die Menschenrechtslage dort sei katastrophal.
    Nach Einschätzung des Giga-Instituts stellen die Schiiten in Saudi- Arabien keine Gefahr für das Königshaus dar. Die diskriminierte Minderheit könne aber die Erdölindustrie des Landes stark gefährden. Die Schiiten lebten vor allem dort, wo die Hauptölquellen seien und stellten einen Großteil der Belegschaft. Einen Generalstreik nach der Revolution im Iran konnte Saudi-Arabien nur mit Hilfe des Militärs niederschlagen. "Es kam zu Hunderten Toten." Der schiitische Bevölkerungsteil sei vor allem dann stark, wenn er einheitlich handelte, betont Fürtig.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Im Nahen Osten liegt jetzt offen zutage, was seit Langem indirekt zu beobachten war: die Feindschaft zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Die konservative sunnitische Monarchie gegen das konservative schiitische Mullah-Regime.
    Das Außenministerium in Teheran wirft der Regierung in Riad vor, die Spannungen zwischen beiden Seiten bewusst anzuheizen. Die Saudis hatten die diplomatischen Beziehungen zu Teheran abgebrochen, nachdem Demonstranten gestern die saudische Botschaft in Teheran erstürmt und Feuer gelegt hatten. Die neuen Spannungen zwischen den beiden Regionalmächten waren durch die Hinrichtung des prominenten schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr in Saudi-Arabien ausgelöst worden.
    Dass diese Region alles andere benötigt als einen neuen Konflikt, ist offensichtlich. Aufrufe zur Mäßigung sind weltweit zu hören, in Berlin gemischt mit dem Appell, die deutsche Politik gegenüber Saudi-Arabien zu überdenken.
    Apropos diplomatische Beziehungen: Gerade wurde gemeldet, dass Bahrain iranische Diplomaten zum Verlassen des Landes aufgefordert hat. Johannes Kulms berichtete gerade aus unserem Hauptstadtstudio. Vor dieser Sendung haben wir Professor Henner Fürtig erreicht. Er ist im GIGA-Institut Hamburg Direktor der Abteilung für Nahoststudien. Mit Blick auf die strategischen und außenpolitischen Folgen habe ich ihn gefragt, wieso das saudische Regime den schiitischen Geistlichen hat hinrichten lassen.
    Henner Fürtig: Das hat sowohl innen- als auch außenpolitische Zielstellungen. Nach außen will man vor allen Dingen Stärke demonstrieren, will zeigen, dass man die Rivalität, die Gegnerschaft mit Iran annimmt, dass man nicht zurückweicht, dass man sich darüber im Klaren ist, dass diese Auseinandersetzung tatsächlich ausgetragen werden muss. Und nach innen ist es vor allem ein Zeichen der Stärke oder soll ein Zeichen der Stärke sein, zu sagen, dass jeder Versuch, die Herrschaft der Saud-Familie ernsthaft infrage zu stellen, mit aller Härte beantwortet wird. Denn der Großteil der 47 Hingerichteten waren ja keine Schiiten, sondern das waren Personen, die schon seit 2003 beziehungsweise 2006 inhaftiert waren wegen Terroranschlägen in dieser Zeit in Saudi-Arabien.
    "Es steht ein großer Generationswandel an"
    Heinemann: Soll Stärke demonstrieren. Steckt Stärke dahinter?
    Fürtig: Es steckt vor allem eine große Unsicherheit dahinter, in der Hinsicht, dass der jetzige König mit großer Wahrscheinlichkeit der Letzte sein wird, der noch ein direkter Nachfahre des Staatsgründers Ibn Saud ist. Es steht ein großer Generationswandel an. Die Enkelgeneration, teilweise sogar die Urenkelgeneration des Staatsgründers wartet auf die Chance, tatsächlich an die oberste Spitze der Machtpyramide zu kommen. Darauf ist das Land, darauf ist die Herrscherfamilie nicht wirklich vorbereitet.
    Wie gesagt, Salman weiß, dass er der Letzte in dieser Gründerreihe ist. Er versucht seinen Sohn in Stellung zu bringen, der gegenwärtig stellvertretender Kronprinz ist, auch eine Funktion, die erst neu eingerichtet worden ist. Er ist derjenige, der sich gegenwärtig im Jemen zu profilieren versucht, wie wir alle wissen, mit etwas ungewissem Ausgang. Aber hier sind das deutliche Signale, die zeigen, dass es vor allen Dingen eine Kraftprobe ist, die auch innerhalb der Familie ausgestanden werden muss.
    Heinemann: Haben die Saudis mit Scheich al-Nimr einen neuen schiitischen Märtyrer geschaffen?
    Fürtig: Ja, das scheint sich tatsächlich anzudeuten. Er war ja schon vorher nicht unbekannt. Er war die bekannteste Person bei den Aufständen in den saudischen Ostprovinzen im Zusammenhang mit dem Arabischen Frühling, der ja in Saudi-Arabien eher verhalten vonstattenging, und wenn überhaupt, dann nur in den Ostprovinzen, also in den Provinzen, wo die Schiiten einen großen Teil der Bevölkerung stellen, stattfand.
    Nimr war damals der bekannteste Führer. Er ist dafür inhaftiert worden, er ist gemaßregelt worden. Ich glaube, der eigentliche entscheidende Punkt, wo man ihn dann zum offenen Gegner erklärt hat, war, als er die Loslösung der Ostprovinzen vom saudischen Königreich forderte. Das ging natürlich den saudischen Herrschern zu weit.
    Heinemann: Bilden die Schiiten eine tatsächliche Gefahr für das saudische Regime?
    Fürtig: Nicht in dem Sinne, dass der Sturz befürchtet werden muss. Aber die Schiiten, wie viele durch die Medien mittlerweile wissen, die etwa zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung stellen, sind diskriminiert. Das ist mit der wahhabitisch-sunnitischen Koranauslegung sehr leicht nachzuvollziehen und zu erklären, aber, und das ist ihr Vorteil, sie leben dort, wo die Hauptquellen des saudi-arabischen Erdöls sprudeln, und sie stellen auch die Hauptbelegschaft auf den Erdölfeldern und in der erdölverarbeitenden Industrie.
    Schon vor einigen Jahrzehnten, unmittelbar nach der iranischen Revolution und auch ermutigt durch die Revolution, haben sie damals zu Generalstreiks gegriffen, um sich gegen ihre Lage aufzulehnen. Damals musste das saudische Königshaus Militär einsetzen, es kam zu Hunderten Toten. Der schiitische Bevölkerungsteil ist vor allem dann stark, wenn er einheitlich handelt und wenn er tatsächlich zu Großaktionen, vor allen Dingen zu Streiks kommt, dann kann er die saudische Erdölindustrie sehr stark gefährden.
    "Das ist das übliche Getöse"
    Heinemann: Der Iran droht mit der Rache Gottes. Mit welchen Reaktionen des Mullah-Regimes rechnen Sie?
    Fürtig: Nun, das ist das übliche Getöse, das ist die Revolutionsrhetorik, damit will man vor allen Dingen auch die eigene Bevölkerung, die eigene Anhängerschaft aufrütteln, zeigen, dass man sich nicht unterkriegen lässt, dass man diese Gegnerschaft, dieses Rivalität aufnimmt.
    Wie gesagt, es ist eindeutig eine neue Eskalationsstufe zu verzeichnen, das haben die Saudis immerhin geschafft, bewusst oder unbewusst. Und dass diese Rhetorik jetzt in dieser Härte zunehmen wird, da gehört, glaube ich, wenig Fantasie dazu.
    "Zu einem dritten Golfkrieg wird es icht kommen"
    Heinemann: Neue Eskalationsstufe, sagten Sie. Steht die Region vor einem dritten Golfkrieg?
    Fürtig: Nein, so weit wird es nicht kommen, weil die Kriegsziele, die man vorher formulieren müsste oder eigentlich sollte, so klar nicht auszumachen sind. Dazu sind die unsicheren Situationen an der Peripherie beider Staaten, also Irans und Saudi-Arabiens, viel zu groß. Solange der gemeinsame Gegner IS noch nicht geschlagen ist, wird man sich hüten, gegeneinander wirklich offen militärisch vorzugehen.
    Heinemann: Mit welchen Auswirkungen auf die Lage in Syrien und im Jemen rechnen Sie?
    Fürtig: Vorerst wird es in den beiden Kriegsgebieten, die Sie erwähnt haben, nicht zu einem weiteren Aufeinandertreffen oder einer Steigerung der direkten Konfrontation der beiden Staaten kommen, weil man eben erst einmal abwarten muss, wie sich dieser politische Disput, wie sich der Propagandadisput in den nächsten Tagen und Wochen darstellen wird.
    Wir müssen damit rechnen, dass sowohl in den iranischen als auch in den saudischen Medien jetzt erst mal eine große Welle losgetreten wird. Ich bin gespannt auf die Zeitungen der nächsten Tage. Dann wird dieser Sturm auch wieder verebben, und dann wird wieder zur Realpolitik zurückgekehrt werden.
    Heinemann: Realpolitisch gefragt – Sie haben von Realpolitik gesprochen: Ist ein berechenbares Schurkenregime in Riad aus westlicher Sicht nicht leichter hinnehmbar als Anarchie, wie zum Beispiel in Libyen, mit allem, was dazugehört, zum Beispiel auch mit Rückzugsmöglichkeiten für die Terrororganisation IS?
    Fürtig: Wenn man die letzten 50, 60 Jahre Revue passieren lässt, dann war das saudische Königshaus immer ein verlässlicher Verbündeter der USA namentlich, aber auch des gesamten Westens.
    Heinemann: Allerdings zu einem hohen Preis – Menschenrechte et cetera.
    Fürtig: Zu einem sehr hohen Preis. Aber vor allen Dingen im Kalten Krieg waren man ja in den westlichen und auch in den östlichen Hauptstädten oft der Meinung, dass man sich die Verbündeten nicht aussuchen kann. Hauptsache, der Gegenseite gelingt kein Vorteil. Es gibt ja diesen berühmten Spruch des ehemaligen amerikanischen Verteidigungsministers McNamara, das sind unsere Schurken, und das sind die Schurken der anderen.
    Das war eine klarsichtige Einsicht in die Tatsache, dass man sich häufig mit sehr fragwürdigen Verbündeten umgeben hat. Und Saudi-Arabien war in dieser Hinsicht bestimmt auch ein Paradebeispiel. Die Menschenrechtslage ist verheerend, mit die höchsten Verhängungen von Todesstrafen weltweit, und wenn man das auf die Bevölkerung umrechnet, dann mit Sicherheit sogar ein Rekordwert, der in den letzten zwei Jahren sogar noch zugenommen hat. Insofern sind das natürlich Verbündete, die man sich tatsächlich nicht selbst aussuchen würde.
    "Es besteht keine unmittelbare Gefahr für einen Ölpreiskrieg"
    Heinemann: Kann sich Saudi-Arabien den Ölpreiskrieg gegen die US-amerikanische und gegen die iranische Konkurrenz noch länger leisten?
    Fürtig: Saudi-Arabien verfügt nach wie vor über die weltweit größten nachgewiesenen Erdölvorkommen, bei einer Förderquote der letzten zwei Jahre, durchgerechnet für etwa zehn Millionen Tonnen pro Tag kann Saudi-Arabien diese Förderquote noch etwa 90 Jahre aufrechterhalten. Das sind gegenwärtig relativ gesicherte Erkenntnisse. Insofern droht da jetzt nicht die unmittelbare Gefahr.
    Heinemann: Professor Henner Fürtig, Nahostexperte am Hamburger GIGA-Institut. Das Gespräch haben wir kurz vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.