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"Sitzblockaden sind aus meiner Sicht keine Gewalt"

Die Castoren rollen wieder und damit auch der Protest in Gorleben. Vor Ort sind auch die Grünen. Sie wollen vor allem vermitteln zwischen der Polizei und denen, die den Schotter aus dem Gleisbett räumen und sich auf die Gleise setzen, so die Fraktionsvorsitzenden Bärbel Höhn.

Bärbel Höhn im Gespräch mit Stefan Heinlein | 05.11.2010
    Stefan Heinlein: Geht alles nach Plan, startet heute Mittag um kurz nach 14 Uhr der Castortransport aus Nordfrankreich in Richtung Niedersachsen. Nach zwei Jahren Pause rollt damit wieder Atommüll ins Wendland. Seit Wochen rüsten sich die AKW-Gegner für Blockaden und Proteste. Zehntausende Demonstranten werden rund um Gorleben erwartet, viele rechnen mit Ausschreitungen. Die Atombeschlüsse der Bundesregierung haben die Bewegung neu mobilisiert. Mitgehört hat die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Bärbel Höhn. Guten Morgen, Frau Höhn!

    Bärbel Höhn: Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein: Frau Höhn, die gesamte grüne Parteiprominenz wird am Wochenende geschlossen im Wendland sein. Werden Sie sich auf die Gleise setzen, um den Transport, den Castortransport zu verhindern?

    Höhn: Ich war beim letzten Mal unter anderem mit dabei, und da ist eher die Funktion von Bundestagsabgeordneten – und das habe ich beim letzten Mal auch gemacht -, dass ich dann vermittelt habe, zum Beispiel zwischen denen, die auf den Gleisen saßen, und der Polizei, weil wir natürlich als Bundestagsabgeordnete auch eher durch Sperren durchkommen und da im Prinzip dann auch dafür sorgen können, dass auch alle Rechte eingehalten werden.

    Heinlein: Warum hat dann Ihre Parteivorsitzende Claudia Roth in einem Interview mit der Nachrichtenagentur DPA angekündigt, an einer Sitzblockade teilnehmen zu wollen?

    Höhn: Das ist so, dass es noch ein Unterschied ist, ob man auf den Gleisen sitzt, oder zum Beispiel vor dem Lager. Beim letzten Mal haben wir ja vor dem Lager gesessen, und da haben natürlich auch Grüne mit dabei gesessen, zumindest zeitweise, weil die Sitzblockade vor dem Lager war ja tagelang, da sind die meisten dann auch schon mal hin und mal wieder zurück, und da waren natürlich auch Grüne mit dabei, ich auch.

    Heinlein: Ist Gorleben an diesem Wochenende, Frau Höhn, eine große Bühne für Sie als Grünenpolitiker, seht her, wir sind die Speerspitze des Protestes?

    Höhn: Nein, das sehe ich so nicht, dass das jetzt eine große Bühne ist. Aber natürlich nach den Laufzeitverlängerungen hat das eine ganz andere Qualität in diesem Jahr, weil einfach damit, mit diesen Laufzeitverlängerungen der Atommüll, der jetzt noch anfällt – wir hätten jetzt im Durchschnitt fünfeinhalb Jahre Laufzeiten von Atomkraftwerken, jetzt noch mal zwölf Jahre drauf, das sind 17,5 Jahre – sich verdreifachen wird, der jetzt noch anfällt. Deshalb ist die Frage, was ist eigentlich mit Gorleben los. Es wird ja immer weiter Richtung Endlager gepusht, obwohl wir wissen, dass es eine politische Entscheidung für Gorleben gegeben hat und nicht eine fachliche, und obwohl wir gesehen haben, dass die Asse, dieses Forschungslager, gegen alle Vorhersagen der Atomexperten eben nicht 500.000 Jahre dicht gehalten hat, sondern so nach 20 Jahren schon die Lauge und das Wasser kontaminiert sind. Über das alles sind auch gerade junge Leute natürlich empört, aber wir auch empört darüber, dass man unter diesen Bedingungen, man hat noch nicht mal ein Endlager, noch mal ganz fix um zwölf Jahre die Atomkraftwerke verlängert.

    Heinlein: Frau Höhn, wie wollen sich denn die Grünen an diesem Wochenende abgrenzen von möglichen gewaltbereiten Demonstranten, denn viele rechnen ja mit Ausschreitungen?

    Höhn: Ich habe das ja gesagt, dass man durchaus auch zu den Brennpunkten hingeht, vermittelt, aber zu beiden Seiten, eben auch mit den Demonstranten redet, und das ist zumindest beim letzten Mal, als ich da war, durchaus ganz gut angekommen, dass wir da waren, auch an den Brennpunkten, und wir haben uns da auch organisiert, dass wir kleine Gruppen bilden, die dann dort hinfahren können.

    Heinlein: Wo ziehen Sie denn die Grenze? Wo ist Protest noch in Ordnung und wo fängt Gewalt an?

    Höhn: Genau da, wo Sie sagen, wo auch Gewalt anfängt. Sitzblockaden sind aus meiner Sicht keine Gewalt, weil sie immer Teil auch des zivilen Ungehorsams waren. Wenn man sich hinsetzt und damit auch den Weg für den Castor schwer macht, das würde ich nicht als Gewalt bezeichnen.

    Heinlein: Was werden Sie denn Demonstranten sagen, die Schotter aus dem Gleisbett räumen, das sogenannte Schottern?

    Höhn: Ich persönlich unterstütze das nicht, ich finde das auch nicht richtig, weil damit ja wirklich auch eine Gefährdung beginnt. Aber es ist natürlich so, dass gerade ganz, ganz viele empört sind über diese Laufzeitverlängerung und sagen, wir wollen da mehr machen, als uns nur auf die Gleise zu setzen, und dazu gehört eben das Schottern. Man muss vor Ort gucken, wie weit das wirklich geht, und wie gesagt auch da ist es ganz wichtig, dass Abgeordnete da vermitteln.

    Heinlein: Noch mal: werden Sie hingehen zu den Demonstranten und sagen, hört auf mit dem Schottern?

    Höhn: Ich werde auf jeden Fall auch da, wenn es notwendig ist und ich gerufen werde – und da gehe ich mal von aus -, dort auch hingehen und mit den Demonstranten reden und sagen, das halte ich nicht für richtig, das mit dem Schottern. Trotzdem wird es einige geben, die sich das sehr fest in den Kopf gesetzt haben. Insofern wird man auch mit Reden zumindest einige davon nicht abhalten können.

    Heinlein: Was wäre denn für Ihre Partei, für die Demonstranten insgesamt ein Erfolg der Proteste an diesem Wochenende, den Castortransport so lange wie möglich zu blockieren?

    Höhn: Es ist, glaube ich, schon wichtig, dass die Menschen sehen, es kommen da viele Menschen nach Gorleben, um ein Zeichen zu setzen, um zu sagen, es ist auch überhaupt absolut nicht nachvollziehbar, dass eine Generation für 30 Jahre Strom haben soll, damit Hunderte von Generationen für eine Million Jahre Müll und Kosten haben sollen. Das ist, glaube ich, die ganze Frage der Endlager, der Riesenprobleme, die damit verbunden sind, auch dieser Festlegung der jetzigen Bundesregierung praktisch auf Gorleben, ohne dass man wirklich sagt, wo ist denn das bestmögliche Lager in Deutschland. Auf diese Missstände hinzuweisen, das wird die Hauptaufgabe sein, wenn wir auch dort sind.

    Heinlein: Sie kennen, Frau Höhn, die Anti-Atom-Bewegung seit vielen, vielen Jahren. Worin unterscheidet sich denn aus Ihrer Sicht der Protest von damals aus den 80ern von den Demonstranten im Jahr 2010?

    Höhn: Das ist, glaube ich, ganz simpel. Man hat das ja sehr schön auch gesehen an der Demonstration am 18. September in Berlin, der Demonstration gegen die Laufzeitverlängerung. Da waren die Leute, die wie ich schon vor Jahrzehnten demonstriert haben, aber da waren nicht nur wir, sondern da waren mittlerweile auch die jungen. Das heißt, es war ein Querschnitt durch die ganze Bevölkerung. Wir waren damals noch die Jungen, die demonstriert haben; diesmal demonstrieren die Jungen bis hin zu den Alten. Das ist ein absoluter Unterschied. Das heißt, das geht wirklich quer durch die gesamte Bevölkerung und ist deshalb nicht nur so eine Jugendbewegung, wie damals der Protest von uns war.

    Heinlein: Sind vor diesem Hintergrund, den Sie gerade schildern, Frau Höhn, die Anti-AKW-Proteste auch eine Art Jungbrunnen für Ihre Partei?

    Höhn: Es ist sicher so, dass auch diese Frage mit dazu führt, dass wir gute Umfrageergebnisse haben, weil ganz viele Leute sagen, es ist doch unmöglich, das kann doch nicht sein, dass die Bundesregierung ohne Not jetzt die Laufzeiten um diese zwölf Jahre verlängert hat und damit sogar die Erneuerbaren stoppt. Die Folge wird ja sein, dass der Strom der Atomkraftwerke die Netze blockiert und die Erneuerbaren in ihrem Ausbau gebremst werden. Ich bin auch wirklich wütend und aufgebracht, dass die Bundesregierung dann auch noch den großen Energiekonzernen Milliardengewinne – man geht ja davon aus, dass es ungefähr 100 Milliarden sind an zusätzlichen Gewinnen, die über die Jahre da hinzukommen, auch mit den Rückstellungen, die die bilden, und teilweise sogar noch mehr als 100 Milliarden -, dass das mal eben den großen Energiekonzernen auf dem Silbertablett serviert wird, und die gesamte Bevölkerung soll dann die Kosten zum Beispiel jetzt in der Asse, in den Lagern bezahlen. Das machen eben nicht die Atomkonzerne, das macht die Bevölkerung. Auf diese, ich sage mal, Missstände hinzuweisen, darum geht es, und das kann sicher auch ein Grund sein, warum die Bevölkerung sagt, wir vertrauen da eher den Grünen als anderen Parteien, weil wir haben immer auf dieses Problem hingewiesen und jetzt wird es für alle noch mal absolut sichtbar.

    Heinlein: Frau Höhn, Sie sind wütend, haben Sie gesagt, und Sie sind kein Freund, das wissen wir, schwarz-grüner Koalitionen. Sind Sie eigentlich froh, dass sich dieses Thema vorerst mit den Atombeschlüssen der Bundesregierung erledigt hat?

    Höhn: Ich glaube, es ist richtig, dass wir Grüne auch an Koalitionsbildungen pragmatisch herangehen. Natürlich, das ist klar, mir ist ja lieber eine rot-grüne Koalition, weil ich einfach weiß, da sind viel mehr Überschneidungen. Es ist aber keineswegs so, dass ich da absolut auf diese Koalition festgelegt bin. Das war auch nicht in Nordrhein-Westfalen und meine Erfahrungen in Nordrhein-Westfalen mit den Sozialdemokraten waren ja nun auch nicht nur positiv. Insofern halte ich es für richtig, dass wir uns als Grüne geöffnet haben, dass wir sagen, wir entscheiden immer inhaltlich, wir gucken vorher, mit welchem Partner können wir die Probleme, die anstehen, besser lösen. Und in dem Zusammenhang ist natürlich klar: jemand, der Laufzeiten verlängert, wie die CDU das jetzt macht, der macht es, wenn sie auf diesem Punkt weiter bestehen, natürlich unmöglich, dass Grüne mit ihnen koalieren auf Bundesebene. Von daher, glaube ich, hat aber eher die CDU das Problem. Die CDU ist da gespalten. Es gibt ja auch viele in der CDU, die diese Laufzeitverlängerung nicht wollen. Die Grünen haben da weniger das Problem mit.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Bärbel Höhn. Frau Höhn, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Höhn: Bitte schön!