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Sizilien
Wenig Hoffnung für entlassene Fiat-Mitarbeiter

Ende 2011 schloss Fiat im sizilianischen Termini Imerese seine Werkshallen: 1100 Arbeiter standen auf der Straße. Bis heute protestieren sie auf dem ehemaligen Werksgelände. Doch Gehör finden sie weder beim Autobauer noch bei den Politikern.

Von Karl Hoffmann | 17.01.2014
    Marco Mancuso deutet auf die verlassenen Fabrikhallen:
    "Hier ist es wie auf dem Friedhof. Jeder Tag ist Totensonntag. Wir haben letzte Nacht hier im Freien verbracht. Irgendwann ist ein Huhn über die Straße gelaufen und hat dort drüben doch tatsächlich ein Ei gelegt. Kein Mensch kommt hier mehr vorbei . Die reinste Wüste."
    Früher war der lang gestreckte Küstenstreifen östlich von Termini Imerese ein endloser Strand. In den 60er-Jahren rückten dann die Baumaschinen an. Doch statt Hotels und Strandbäder entstanden riesige Werkshallen. Von den Fließbändern der neuen Fiat-Fabrik rollten 500er, Pandas, Puntos und Ypsilons. In Spitzenzeiten wurden mehr als 3000 Arbeiter beschäftigt. Bis Ende 2011 das Aus kam. Werkmeister Giuseppe Bordino kann heute noch nicht fassen, wie er und seine Kollegen hinters Licht geführt wurden:
    "Wir bekamen zum Schluss noch teure Fortbildungskurse. Aus der Zentrale kamen jede Menge Techniker und Ingenieure und schulten uns um auf den Bau eines neuen Automodells. Der Direktor sagte uns, dass alles bereits beschlossene Sache sei und 250 zusätzliche Leute eingestellt werden sollten. Alle Bauteile waren bereits vorhanden. Und dann hat die Firmenleitung sich umentschieden und alles abtransportiert."
    Kein neues Automodell, keine Neueinstellungen. Im Gegenteil: 1100 Arbeiter standen damit auf der Straße. Nachdem sie auf die Barrikaden gegangen waren kam die vage Zusage, die Fabrik irgendwann wieder zu öffnen. Doch damit wurde es bis heute nichts und nun, nach zwei Jahren, ist mit der Arbeitslosenhilfe ebenfalls Schluss. Marco zieht einen Kontoauszug aus der Tasche:
    "Grade habe ich zum letzten Mal Arbeitslosengeld überwiesen bekommen. 587 Euro. Ab Januar gibt's nichts mehr. Jetzt stehe ich endgültig auf der Straße."
    Deshalb haben Marco und seine Kollegen das neue Jahr mit einem Dauerprotest begonnen. Mal blockieren sie die nahe gelegenen Eisenbahngleise, mal die Autobahn Richtung Palermo. Und zu Dutzenden belagern sie Tag und Nacht die verrammelten Werkstore. Nachdem Fiat überraschend den amerikanischen Chrysler-Konzern übernommen hat, fürchten sie nun, völlig in Vergessenheit zu geraten. Die Familie des Firmengründers Agnelli hat ihr Kapital nun endgültig ins Ausland verlagert. Und die Fiat-Arbeiter seien die Gelackmeierten, sagt Gewerkschaftsführer Maurizio Landini.
    "Der Lohn der Beschäftigten wird immer schmäler, die Arbeitsplätze werden immer weniger, das einzige, was zugenommen hat, das sind die Dividenden der Familie Agnelli."
    Die allermeisten Autos des neuen Autogiganten FIAT-Chrysler werden nun nicht mehr in Italien produziert, sondern in den USA, auf dem Balkan, in Indien und in Südamerika. Italien riskiere den Verlust eines wichtigen Industriezweiges und vieler weiterer Arbeitsplätze, sagt Gewerkschafter Landini:
    "Von den insgesamt produzierten 4 Millionen Fahrzeugen baut FIAT Chrysler nur noch 400.000 in Italien selbst. Und das reicht nicht, um die Fiat-Arbeiter in den nächsten Jahren zu beschäftigen."
    Für das antike Städtchen Termini Imerese in Sizilien sind das triste Zukunftsaussichten, sagt Fiat-Arbeiter Marco
    "Man braucht sich hier im Stadtzentrum nur mal umzusehen. Wo früher 70, 80 schöne Geschäfte waren, ist heute nur noch eine Handvoll geöffnet. Dafür boomen die Wettbüros und die Läden, die Gold und Silber aufkaufen. Die Leute versuchen, mit Spielgewinnen über die Runden zu kommen. Und wenn auch das nicht reicht, dann wird eben der Schmuck versetzt, um Essen zu kaufen."
    Von der Arbeitslosigkeit profitieren, so Marcos eigenwillige Schlussfolgerung, auch die wegen der weitverbreiteten Vetternwirtschaft eigentlich eher verhassten Politiker.
    "Wenn ich keine Arbeit habe, bin ich gezwungen, um Hilfe bei unseren lokalen Politikern zu bitten. Je mehr eine Gesellschaft verarmt, desto wichtiger nehmen sich die Volksvertreter. Um die sich zum Glück niemand scheren muss, der Lohn und Arbeit hat."
    Nur selten lassen sich die Politiker derzeit in Termini Imerese blicken. Sie meiden die aufgebrachten Fiat-Arbeiter, denen sie sowieso keine glaubhafte Lösung ihrer Probleme mehr bieten können.