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Skandal um Weltfußballverband
"Ganz sauber wird die FIFA nie sein"

Der Schweizer Parlamentsabgeordnete und FIFA-Kritiker Roland Büchel rechnet mit einer Wiederwahl Josef Blatters als Präsident des Weltfußballverbandes. "Wenn die UEFA einen derart schwachen Gegenkandidaten präsentiert, ist die Chance sehr groß", sagte Büchel im DLF. Allerdings sei der Druck auf die FIFA auch noch nie so groß gewesen wie zurzeit.

Roland Büchel im Gespräch mit Sandra Schulz | 29.05.2015
    Nationalflaggen vor einem FIFA-Schriftzug bei der Eröffnung des Weltfußball-Kongresses in Zürich
    Der Kongress des Weltfußballverbandes FIFA in Zürich ist eröffnet. (imago / EQ Images)
    Die Schweizer Politik ziele mit konkreten Gesetzesvorhaben darauf ab, die FIFA "einigermaßen sauber zu kriegen", sagte Büchel. "Ganz sauber kriegen wird man die nie." Doch der Druck aus Politik und Öffentlichkeit werde zu Veränderungen führen, meint FIFA-Kritiker Büchel. Er geht davon aus, dass sich Joseph Blatter in vier Jahren nicht noch einmal zur Wahl stellen wird. Zur Verantwortung Blatters für die Krise der FIFA meinte Büchel: "Wenn jemand 17 Jahre lang Präsident und vorher schon 20 Jahre lang in Spitzenfunktionen tätig war, kann man nicht sagen, derjenige hätte nichts verändern können."
    Aber auch mit Blick auf eine Ära nach Blatter warnte Büchel vor zu großem Optimismus: "Wenn jetzt plötzlich Prinz Ali von Jordanien Präsident wäre, hätte die FIFA auch keinen großen Reformer." Jetzt sei es nötig, gegen korrupte FIFA-Mitglieder vorzugehen. Ein Boykott der nächsten Weltmeisterschaft durch den europäischen Fußballverband UEFA könne ebenfalls eine Möglichkeit sein, Veränderungen anzustoßen. "Ich glaube aber nicht, dass das für den Sport gut wäre." Wichtiger wäre aus Büchels Ansicht, die FIFA von innen heraus zu reformieren - zum Beispiel indem die UEFA geeignete Kandidaten für den Chefposten ins Rennen schickt.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Er könne nicht ständig alle beobachten! – So stöhnt kein vom Kita-Streik leidgeplagter Papa, sondern das hat gestern der Präsident des mächtigsten Sportverbandes der Welt gesagt, der Chef des Weltfußballverbandes FIFA, Sepp Blatter. Sieben FIFA-Funktionäre waren Mitte der Woche wegen Korruptionsverdachts festgenommen worden, gegen mehr als ein Dutzend hat die US-Justiz Anklage erhoben. Und das genau zwei Tage vor dem 65. Kongress der FIFA, bei dem sich Sepp Blatter heute im Amt bestätigen lassen will, um nicht zu sagen: zum Tagesgeschäft übergehen. Denn ... siehe oben! Gleichwohl, es hagelt Rücktrittsforderungen.
    Und vor wenigen Minuten habe ich mit Roland Büchel gesprochen, er ist für die SVP Mitglied im Schweizer Nationalrat, also Abgeordneter. Er kennt den Weltfußballverband, weil er vor Jahren für die FIFA-Marketing-AG gearbeitet hat, und er gilt als FIFA-Kritiker. Und als Erstes habe ich auch ihn gefragt, ob Sepp Blatter heute nachmittag wiedergewählt wird!
    Roland Rino Büchel: Ich gehe davon aus, dass Sepp Blatter heute wiedergewählt wird. Wenn man einen derart schwachen Gegenkandidaten von der UEFA präsentiert, dann ist die Chance sehr groß, dass Herr Blatter heute wieder zum Präsidenten gewählt wird, zum fünften Mal.
    "Öffentlicher Druck so groß wie nie"
    Schulz: Wer oder was soll Sepp Blatter daran hindern, zur Tagesordnung überzugehen?
    Büchel: Ja, es gibt schon verschiedene Faktoren, die jetzt mitspielen. Sicher, zuerst muss es die sogenannte FIFA-Familie sein, dann müssen es die Sponsoren sein. Aber es sieht jetzt auch danach aus, als ob die Schweizer Politik wirklich den Druck macht, der wahrscheinlich nötig ist, um die FIFA einigermaßen sauber zu kriegen. Ganz sauber kriegen wird man die nie, dafür ist sie zu groß und weit verzweigt, aber es muss ganz klar ein besserer Zustand herkommen als bis jetzt.
    Schulz: Was macht Sie denn da so zuversichtlich, dass die Schweiz jetzt Druck macht?
    Büchel: Ja, das ist klar, Mitte nächste Woche ist das neue Privatkorruptionsgesetz im Parlament, in einer der beiden Kammern. Wir haben verschiedene Maßnahmen bereits getroffen. Die Funktionäre bei der FIFA und auch bei den anderen Sportverbänden sind heute schon sogenannte PEPs, also "publicly exposed people", genau gleich wie die Diktatoren, wie man sagen kann, dieser Welt. Also, da ist schon einiges passiert und der Druck von der Öffentlichkeit von außen, aber auch in der Schweiz, der ist jetzt wirklich so groß, wie er noch nie war. Und das ist immer eine gute Voraussetzung, um Reformen - das ist vielleicht zuviel gesagt - um Änderungen herzukriegen.
    Schulz: Und Sie glauben, dann ändert sich alles?
    Büchel: Alles wird sich nicht ändern. Man muss auch nicht übertreiben und etwas sagen, was nicht ist. Aber es wird ganz sicher zu Änderungen kommen. Und ja, wir hoffen, dass Herr Blatter jetzt endlich sagt, ich werde dann nicht mehr nochmals antreten, in vier Jahren. Dann kann er schon etwas machen. Wenn er wieder antreten will, dann braucht er halt die Stimmen von den Korrupten wieder und dann ist natürlich, dann geht es wieder weiter wie bis dahin. Aber ich denke schon, dass das nicht mehr der Fall sein wird.
    "FIFA könnte sich den Ruf auch subito verbessern"
    Schulz: Sepp Blatter wird heute sehr wahrscheinlich gewählt, Sie haben es ja auch gerade gesagt, die Mehrheitsverhältnisse in der Versammlung sind mehr oder weniger klar. Aber kann er denn überhaupt in Sippenhaft genommen werden? Er sagt – auch die Justizbehörden –, die ermitteln nicht gegen ihn. Warum also sollte er nicht noch einmal antreten?
    Büchel: Das ist so, eben. Wenn die Vereinsmitglieder – und das sind 209 Nationalverbände – ihn wollen, dann sollen sie ihn haben, das ist absolut legitim. Aber man kann so nicht sagen, dass, wenn jemand 17 Jahre jetzt Präsident ist und vorher auch schon über 20 Jahre in Spitzenfunktionen zuständig war, dann kann man natürlich nicht sagen, dass die Person da nichts hätte verändern können und nicht verantwortlich war. Ich rede nicht von juristischer Verantwortung, es gibt natürlich die Verantwortung, die jeder Geschäftsführer hat oder jeder Präsident hat, also, im Privaten könnte er sich ganz sicher nicht so schadlos halten, wie das bei der FIFA jetzt der Fall war und weiterhin ist.
    Schulz: Nehmen wir mal an oder unterstellen wir mal, Sepp Blatter würde sich zurückziehen, was würde sich denn dann ändern oder verbessern?
    Büchel: Das ist die große Frage. Ich glaube, da sind viele Leute zu optimistisch. Ich denke, wenn jetzt plötzlich der Prinz Ali von Jordanien Präsident wäre, dann hätten wir sicher nicht den großen Reformer. Dann würde FIFA intern wahrscheinlich nichts mehr passieren. Was aber von der Öffentlichkeit her kommt, ich denke, auch von den Sponsoren und von der Politik, das würde natürlich genau gleich weitergehen. Das ist ja nicht abhängig von Herrn Blatter oder irgendeiner Person.
    Schulz: Hätte die FIFA denn einen besseren Ruf, wenn es jetzt diese Korruptionsermittlungen, diesen Korruptionsverdacht nicht geben würde?
    Büchel: Ja, selbstverständlich, selbstverständlich. Und sie könnte sich den Ruf auch subito verbessern, wenn sie endlich jetzt vorgehen würde. Sie hat es ja zum Beispiel gemacht, in den letzten wenigen Jahren hat sie von den neuen 25 Mitgliedern 8, also ein Drittel mehr oder weniger ausgeschlossen oder weggehen lassen, weil die korrupt waren oder der Korruption verdächtigt.
    Also, die FIFA hat durchaus gehandelt. Und jetzt gibt es halt Fälle, wo sie weiter handeln müssen. Denken Sie nur an den Senor Vice Präsidenten aus Afrika, Herr Hayatou, der nachweislich korrupt ist, wahrscheinlich wird er heute der größte Stimmenbeschaffer für Herrn Blatter sein. Wenn er die Stimmen mal geholt hat und Herr Blatter mal gewählt ist, dann kann er da aufräumen, denn sonst ist das schon nicht ganz glaubwürdig mit seinen Reformbemühungen.
    "Man interessiert sich, was dahintersteht"
    Schulz: Es würde doch aber überhaupt nichts daran ändern, dass die FIFA einfach, weil der Fußball bei Millionen Menschen weltweit einfach so eine beliebte Sportart ist, die FIFA würde doch auch ohne Korruptionsvorwürfe eine riesengroße Gelddruckmaschine sein! Ist das nicht auch Teil des Problems?
    Büchel: Selbstverständlich, wenn mehr Geld da ist, dann ist mehr Möglichkeit vorhanden, korrupt zu sein, das ist überall auf der Welt so. Aber dass die FIFA ein gutes Produkt anbietet oder verwaltet, das Geld hereinbringt, das muss man ja nicht per se kritisieren. Aber wenn das Geld hereinkommt, dann muss es auch richtig eingesetzt werden, und Anreize, sich fehlbar zu verhalten, die muss man natürlich zurückbinden.
    Schulz: Was machen jetzt die Fans?
    Büchel: Ja, ich habe mich immer gewundert, dass sich die Fans sehr lange passiv verhalten haben, nichts gemacht haben. Aber ich glaube, da ist in den letzten Wochen und Monaten schon etwas passiert. Das ist nicht mehr nur das schönste Tor vom Ronaldo oder das Jubeln über die deutsche Weltmeistermannschaft, sondern man interessiert sich, was dahintersteht.
    Also, der Taxifahrer in Berlin fragt mich, wenn ich mit ihm rede und sage, was ich mache oder machte, dann fragt er mich zu den Hintergründen, fragt mich, wie das mit der Korruption laufe und so weiter, und nicht mehr nur das Oberflächliche und Schöne im Fußball. Ich glaube, das ist wirklich eine tiefe Veränderung, die passiert ist. Und das hilft ganz sicher, dass es in positive Richtung vorwärtsgehen kann.
    Schulz: Aber was meinen Sie mit Veränderung? Nach wie vor schauen natürlich, weil es ihre Lieblingssportart ist, Millionen Menschen Fußball!
    Büchel: Ja, selbstverständlich. Aber man sieht es ja auch jetzt bei der Medienberichterstattung! Angefangen mit Deutschland und England ist natürlich eine klare kritische Haltung da. Man muss ja den Leuten im Fußball nichts wegnehmen, sondern schauen, dass möglichst wenig Unsauberes im Umfeld und im Hintergrund passiert. Aber selbstverständlich können wir auch Fan sein, Fußball leben, durchaus. Und trotzdem die Probleme erkennen und versuchen, Anteil zu leisten, um die zu ändern.
    "Nicht irgendwelche Kasperles als Präsidenten bringen"
    Schulz: Müsste die UEFA verschärft oder vielleicht wirklich konkreter als bisher über einen WM-Boykott nachdenken?
    Büchel: Das ist eine Möglichkeit, das ist ein Entscheid von der UEFA. Aber ich denke, wenn sie etwas wirklich ändern will, dann müssen sie nicht irgendwelche Kasperles als Präsidenten bringen, Gegenkandidaten. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, im Jahr 2002 war es, damals hatten sie den Afrikaner, den wirklich korrupten Afrikaner Herrn Hayatou gebracht als Gegenkandidaten. Heute bringen sie ein Leichtgewicht aus Jordanien. Also, wenn man es ernst meint, wirklich ernst meint, dann muss man halt wirklich auch innerhalb der FIFA anders vorgehen und nicht irgendwie nur ein bisschen quasi Druck machen, den man schlussendlich dann nicht wirklich durchhält.
    Schulz: Ja, Sie sagen, das ist eine Möglichkeit, der WM-Boykott. Aber wir sind uns einig, es ist keine realistische Möglichkeit, oder?
    Büchel: Ja, vielleicht schon. Es gibt auch in anderen Verbänden verschiedene ... Boxen zum Beispiel gibt es drei oder vier Weltverbände. Aber ich glaube auch nicht, dass das gut wäre für den Sport, ganz sicher nicht. Es geht wirklich darum, die FIFA zu reformieren und die Krebsgeschwüre der Korruption so gut wie möglich herauszuhauen. Aber auch nicht die Illusion zu haben, dass das jetzt von heute auf morgen alles weg sein wird. Eine klare Verbesserung muss möglich sein und ist auch möglich.
    Schulz: Der Schweizer Nationalrat Roland Büchel, von der SVP und FIFA-Kritiker, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.