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"Skandal von Genf" jährt sich zum 50. Mal

Im Oktober 1959 erließ das DDR-Regime ein Gesetz, wonach das Staatswappen aus Hammer und Zirkel im Ährenkranz künftig auch auf der schwarz-rot-goldenen Nationalflagge abzubilden sei. Politiker der Bundesrepublik reagierten empört.

Von Wolf-Sören Treusch | 13.03.2011
    Bundestagspräsident Gerstenmaier klagte den "Zonenstaat" an, "das deutsche Volk mit der Verfälschung seiner Fahne" zu "beleidigen". Die "Spalterflagge", so der künftige Bonner Behördenjargon, wurde zum Straftatbestand.

    Bis 1969 galt ihr öffentliches Vorzeigen in der Bundesrepublik und West-Berlin als Verstoß gegen die Verfassung und als Störung der öffentlichen Ordnung. Der Flaggenkrieg zwischen den beiden deutschen Staaten Ost führte vor 50 Jahren zu einem westdeutschen Boykott bei der Eishockey-Weltmeisterschaft in der Schweiz.

    Genf, Stadion ‘Les Vernets’, es ist der 12. März 1961, der Abschlusstag der 28. Eishockey-Weltmeisterschaft:

    "Die Halle, ich kann mich noch erinnern, war sehr gut besucht, die wollten ja nun sehen: wie schlachten sich die beiden deutschen Mannschaften nun ab?"

    Mehrere Tausend Zuschauer freuen sich auf das Entscheidungsspiel gegen den Abstieg aus der Weltgruppe A. Es stehen sich gegenüber die Mannschaften der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Bis zu 50 Franken haben die Zuschauer für ein Eintrittsbillet gezahlt.

    "Wir haben unsere Sachen ausgepackt, wir haben uns vorbereitet, aber man merkte, dass irgendwie eine Geschäftigkeit sich entwickelte."

    Achim Ziesche, Mitglied der DDR-Mannschaft:

    "Die Leute rannten hin und her, und es entwickelte sich eine Betriebsamkeit und: was wird werden, ich will nicht sagen Ratlosigkeit, aber eine gewisse Gespanntheit auf eine Situation, die wir als Spieler noch gar nicht deuten konnten. Mit der Zeit haben wir auf einmal gemerkt: wir haben hier noch gar keinen vom Westen gesehen hier groß."

    Kurz vor Spielbeginn verkündet der Hallensprecher, das bundesdeutsche Team werde nicht antreten. Es folgt ein gellendes Pfeifkonzert. Das Spiel wird mit 5:0 für die DDR gewertet:

    "Für uns normalerweise unverständlich, dass sie nicht angetreten sind, zumal sie ja noch Favoriten waren. Wir sind immer davon ausgegangen, dass sich die Bundesrepublik diese Schwäche nicht antut. Erstmal persönlich als Staat und als Mannschaft und darüber hinaus vor der internationalen Föderation und vor der ganzen Welt."

    "Skandal von Genf" titelt die ansonsten zurückhaltende Schweizer Presse am nächsten Tag. Doch was war geschehen?

    Willi Daume, Präsident des Deutschen Sportbundes West, war am Tag vor dem Spiel höchstpersönlich nach Genf gefahren, um mit Bunny Ahearne, dem Präsidenten des Internationalen Eishockeyverbandes zu verhandeln. Sein Ziel: man möge nach diesem Spiel, egal wie es ausgehe, auf das übliche Zeremoniell verzichten: also keine Hymne, kein Aufziehen der Fahne für den Sieger der Begegnung. Daumes Bemühungen blieben erfolglos. Ahearne erklärte, man werde die Protokollregeln keinesfalls nationalen Wünschen anpassen.

    Daraufhin intervenierte der bundesdeutsche Außenminister Heinrich von Brentano: falls Willi Daume nicht mit hundertprozentiger Sicherheit garantieren könne, dass die bundesdeutsche Mannschaft das Spiel gewinnen werde, dürfe das Team nicht antreten. Denn eine mögliche Ehrung der Spalterflagge, so Brentanos Argumentation, sei unbedingt zu vermeiden.

    Daume gehorcht. Man könne einem jungen Sportler nicht zumuten, die Symbole der Spaltung seines Heimatlandes zu salutieren, sagt er und beschließt, das Spiel gegen die DDR zu boykottieren. Die bundesdeutsche Mannschaft erfährt davon erst in der Kabine. Sie verlässt das Eishockeystadion durch den Hinterausgang:

    "Das war Gott sei Dank der einzige Fall, an den ich mich erinnern kann, wo von unserer Seite die Politik eingegriffen hat."

    Ernst Trautwein, Spieler der bundesdeutschen Mannschaft:

    "Ja gut, ich meine, irgendwo, zum Spielball wird man immer gemacht. Ob es im Beruf ist, ob es bestimmte Vorschriften im Sport gibt, dass es also zu der Zeit der Fall war, dass ein Spieler, wenn er den Verein gewechselt hat, dass er zwei Jahre gesperrt wird, da ist man ja immer irgendwo von diesen Dingen abhängig, und da war es halt genauso, auch diese Sportfunktionäre sind irgendwo wieder zum Spielball geworden der höheren Politik."

    Der bundesdeutsche Sport hatte seinen ersten großen Boykottskandal. Die DDR dagegen fühlte sich obenauf. Zudem erhielt sie den Fairness-Pokal. Achim Ziesche:

    "Haben wir damals noch eine schöne Rolex bekommen, jeder Spieler, und einen Riesen tollen Pokal, alles in allem war das eine erfolgreiche Weltmeisterschaft, muss man sagen."

    "Beide Teams sind mächtig angestrengt gewesen von den ersten 40 Minuten, und nun Ernst Trautwein, versucht einen Alleingang, Schuss und Tor."

    Das Katz- und Maus-Spiel im deutsch-deutschen Flaggenkrieg geht in den 60er Jahren unvermindert weiter. 1963 kommt es bei der Eishockey-WM in Schweden erneut zum deutsch-deutschen Duell. Diesmal tritt die bundesdeutsche Mannschaft an und gewinnt durch das entscheidende Tor von Ernst Trautwein kurz vor Schluss mit 4:3.

    "Schluss, aus, das Spiel ist beendet."

    Diesmal sorgt die Mannschaft der DDR für den Skandal. Beim Abspielen der Hymne drehen die ostdeutschen Spieler der bundesdeutschen Fahne kollektiv den Rücken zu. Westreporter Heinz Deutschendorf kommentiert weiter:

    "Nun sage mir noch einer, und das sollen meine letzten Worte aus Stockholm anlässlich dieses Spiels sein, nun sage mir noch einer, dass Sport heute nichts mit Politik zu tun habe."