Freitag, 29. März 2024

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Slampoet Patrick Salmen
Outlaw der Kinderwagenszene

Biokiste, Latte Machiato, Yoga-Kurs. In seinem neuen Buch nimmt Slampoet Patrick Salmen den gehobenen Lebensstil der Großstädter aufs Korn. "Für Pommes essen kommt man nicht in die Hölle", sagte er im Dlf und erklärt, warum auch unpolitische Themen wichtig sind, um Gesellschaftskritik zu üben.

Patrick Salmen im Corsogespräch mit Juliane Reil | 13.03.2018
    Der Poetry-Slammer und Autor Patrick Salmen
    Der Autor und Slampoet Patrick Salmen hat ein neues Buch vorgelegt (Knaur / Fabian Stürz)
    Ein Café in Berlin, das junge Pärchen am Nebentisch spielt Mau-Mau.
    Er: "Ich wünsche mir Pik."
    Sie: "Und ich wünsche mir ein neues Leben."
    Juliane Reil: Patrick Salmen war das und eine Kurzgeschichte aus seinem neuen Buch "Treffen sich zwei Träume. Beide platzen." Darin viele solcher Kurzgeschichten und Aphorismen des Autoren, der als Slampoet bekannt geworden ist. Herr Salmen, Sie sind jetzt Anfang 30. Der Titel ihres Buches, "Treffen sich zwei Träume", hört sich zunächst poetisch an - und dann nach großer Desillusionierung.
    Patrick Salmen: Ja, richtig. Geschichten vom Scheitern finde ich immer lustiger als Geschichten, wo alles schön ist. Ich hätte es auch "Treffen sich zwei Träume. Beide gehen bedingungslos in Erfüllung" nennen können, aber ich glaube, dann hätte es keiner gekauft.
    Mettbrötchen statt Chia-Samen
    Reil: Finden Sie lustiger – das ist schon wieder sehr speziell, dieser Humor diese ganze Zeit irgendwie, der Sarkasmus und die Ironie, die bei Ihnen da durchblitzen, weil ich es erstaunlich finde, dass Sie in diesem Buch eine kleine Milieustudie im Prinzip betreiben. Sie sind der Erzähler, der von Großstädten erzählt, viel in Akademikervierteln unterwegs ist, wo Biokisten bestellt werden, Ingwertee getrunken wird – und ich zitiere Sie jetzt einfach mal, "der Kinderwagen zum Statussymbol wird". Das ist ja eine sehr heile Welt, ein privilegiertes Leben. Warum schreiben Sie darüber?
    Salmen: Och, weil es total spannend ist, diese Milieustudie, für mich. Es spielt ja in dem Viertel, wo ich auch selber wohne und wo ich selber auch viel mitbekomme natürlich, weil ich selber vor Kurzem Vater geworden bin, jetzt selber die ganze Kinderwagenszene kennenlerne auf dem Spielplatz, wo man sich immer selber schnell so ein bisschen wie der Outlaw vorkommt, wenn man sein Kind nicht den ganzen Tag mit Chia-Samen und Quinoa-Puffs füttert, sondern auch mal zum guten, alten Mettbrötchen greift oder ähnliches. Ja, diese ganze Instagram-Ästhetik, die da in diesen Vierteln vorherrscht. Ich bin letztens an so einem komischen Designerladen vorbeigegangen, wo sie einen abgesägten Baumstumpf für 200 Euro verkauft haben – und ich mir gedacht habe: Kann man auch in den Wald gehen. Aber es gibt viel her, finde ich. Es ist ja eigentlich eine schöne Welt und man kann sich glücklich schätzen, dass man daran teilhaben darf. Und darüber zu lästern ist natürlich auch relativ einfach, sage ich mal. Aber man kann ja immer nur über das schreiben, was einen selber umgibt, finde ich. Und das gibt auf jeden Fall – gerade humoristisch gesehen – sehr, sehr viel her.
    Reil: Sie lästern. Aber ist das nicht auch eine Form von Kritik, die Sie dann üben?
    Salmen: Ja, Lästern ist immer eine leichte Form von Kritik. Aber ich kritisiere mich ja auch selber dadurch. Also, ich bin ja immer auch der Protagonist in meinen Geschichten. Und ich würde jetzt nicht hergehen und einfach wahllos über irgendwelche Menschen herziehen, nur weil sie sich für eine Lebensform entschieden haben und wo Du jetzt beim Beispiel "Biokiste" warst – das ist natürlich grundsätzlich ja erst mal eine gute Sache, wo man eigentlich gar nicht so viel dran kritisieren kann. Trotzdem ist es auch irgendwie lustig, weil die Menschen dann ja auch sehr viel davon erzählen und sich dann auch selber so ein bisschen abfeiern dafür, dass sie das tun. Und ich mir denke: Man kann auch zwischendurch ruhig mal 'ne Pommes essen gehen und man kommt nicht in die Hölle dafür.
    Assoziatives Arbeiten
    Reil: Jetzt klingen Sie aber sehr entspannt. Es gibt auch schärfere Kommentare in Ihrem Buch – und da hätte ich dann Sie als Misanthrop durchaus verstanden.
    Salmen: Ich finde es eigentlich immer schön zu sagen: Misanthropen sind nur enttäuschte Philanthropen. Das steckt eigentlich sehr, sehr viel drin. Klar, man kann da irgendwie dran zugrunde gehen an alldem, und Menschen sind auch grundsätzlich erst mal sehr komplex und hinterfragenswert. Aber ich versuche ja in dem Buch eben auch, diesen Kontrast zu zeigen, dass man sich natürlich über alles aufregen kann, aber auf der anderen Seite es so viele schöne Momente und Erfahrungen mit Menschen gibt – gerade anhand dieser lustigen Dialoge, die da stattfinden, wo man ja auch so das herrlich Absurde daran finden kann, und wo ich dann persönlich auch einfach sehr viel Spaß daran habe. Und deswegen: Menschen sind nicht grundsätzlich schlecht, so ist es nicht.
    Reil: Sie haben selbst ja Germanistik studiert und das abgebrochen, weil Sie dann Slam-Poet geworden sind und angefangen haben, zu schreiben. Sie unterrichten auch Kreatives Schreiben. Wie funktioniert bei Ihnen so ein Schreibprozess?
    Salmen: Das ist tatsächlich ganz, ganz unterschiedlich. Also, seit einem Jahr ungefähr habe ich tatsächlich ein Büro, wo ich jetzt immer morgens hinfahre und wo all meine strukturierten Gedanken dann irgendwie niedergeschrieben werden. Zwischendurch sitze ich aber auch einfach mal im Zug und schnappe irgendwas auf. Ich bin vorgestern zum Beispiel durch Berlin gefahren mit der S-Bahn, und habe nur den Satzfetzen aufgeschnappt: Hitler fehlte das Subtile. Das wars. Nur dieser eine Satz, aus dem Kontext gerissen. Und das spinnt man dann irgendwann weiter. Und das können Gesprächsfetzen sein, das können Gespräche mit Freunden sein, die einen inspirieren. Und dann setze ich mich hin und schreibe meistens eigentlich sehr assoziativ. Ich fange an, habe irgendeine Szene vor Augen, zwei Figuren, und versuche dann einfach, drauflos zu spinnen und mich irgendwie von meinen eigenen Gedanken so ein bisschen treiben zu lassen.
    "Ich mag gerne den leichten Humor"
    Reil: Haben Sie da irgendwelche Vorbilder?
    Salmen: Och, nicht so direkt. Es gibt großartige Autoren, die ich alle bewundere, auch im humoristischen Bereich durchaus. Aber da könnte ich jetzt gar nicht konkret irgendjemanden benennen. Wer mich sehr, sehr beeinflusst hat ist Peter Bichsel, überhaupt Kurzgeschichten zu schreiben. Ich habe relativ spät angefangen, humoristische Kurzgeschichten zu schreiben. Vorher waren die eher wesentlich melancholischer und auch poetischer, was ich bis heute ja auch immer noch gerne mache. Und da war aber Peter Bichsel auf jeden Fall so der Impulsgeber für mich, weil es mir gezeigt hat, dass man auch in wenigen Worten große Geschichten erzählen kann.
    Reil: Was mich noch interessieren würde: Wenn Sie eine Geschichte geschrieben haben, wem geben Sie diese Geschichte zum ersten Mal dann zum Lesen?
    Salmen: Also, die erste Kontrolle bin ich selber. Ich muss das schon selber witzig finden. Wenn ich nicht selber beim Schreiben hin und wieder schmunzeln muss und mich über meine eigenen schlechten Witze beömmeln kann, dann würde ich das jetzt nicht auf der Bühne vorlesen. Und ansonsten halt mal zwischendurch Freunde, von denen ich weiß… Meiner Frau zum Beispiel gefällt alles nicht, der lese ich gar nichts mehr vor. Und dann in der Regel das Publikum. Eigentlich teste ich es dann oft relativ blind und lese es dann einfach mal vor, live, bei einer Show. Und schaue, ob es außer mir noch jemand lustig findet. Und im besten Falle ist es dann so.
    Reil: Mir ist aufgefallen, dass das Buch eigentlich keine politische Note hat. Warum nicht?
    Salmen: Ich finde, das muss es ja nicht immer sein. Also, es steht uns ja weiterhin zu, auch mal über vermeintlich leichte Themen zu lachen, ohne dass jeder versucht, einem zwischendurch die Welt zu erklären und seine Sichtweise darzulegen. Mir ist schon wichtig, dass ich das bei meinen Lesungen auch mache, zu wichtigen Dingen, die mir persönlich nahegehen, auch Stellung beziehe - aber deswegen finde ich nicht, dass jetzt alle meine Texte plötzlich politisch sein müssten. Ich mag auch gerne mal den leichten Humor zwischendurch und finde auch, dass man durchaus auch in vermeintlich relativ unpolitischen Themen trotzdem wichtige gesellschaftliche Kritik anbringen kann, die dann eben schon ein bisschen subtiler eben ist.
    Reil: Patrick Salmen im Corsogespräch. Noch bis zum 24. April ist er mit seinem neuen Programm auch auf Tour durch Deutschland. Danke Ihnen für das Gespräch.
    Salmen: Ja, sehr gerne, danke schön.
    Patrick Salmen: "Treffen sich zwei Träume. Beide platzen."
    Knaur, 2018, 208 Seiten, ISBN: 978-3-426-52164-9, 10 Euro
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.