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Sleaford Mods
Klassenkampf von unten

Schimpfen, brüllen, fluchen - bei den Sleaford Mods ist dafür Jason Williamson zuständig, sein Partner Andrew Fearn liefert die trockenen Elektro-Beats. Das Duo bringt den politischen Protest zurück in den Pop. Die Beiden sprechen vom Frust und vom Zorn im unteren Drittel der britischen Gesellschaft. Und sie sprechen laut.

Von Klaus Walter | 23.07.2015
    Andrew Fearn (l) und Jason Williamson (r) vom britischen Post-Punk/Hip-Hop-Duo Sleaford Mods bei einem Auftritt in Lissabon.
    Jetzt wird zurückgebrüllt: Andrew Fearn (l) und Jason Williamson (r) sind die Sleaford Mods (picture alliance / dpa / Jose Sena Goulao)
    Krise, Entfremdung, Elend, aber keinen interessiert's, no one's bothered, eine von vielen bitteren Diagnosen zum Stand der gesellschaftlichen Dinge auf dem neuen Album der Sleaford Mods, vorgetragen von Jason Williamson. Der Mann, der da auf der Bühne herum berserkert, ist zuständig für "Rantin' & Shoutin', dressed in melodies". Wüten und Schreien, aber eingekleidet in Melodien, so beschreibt Jason Williamson die Rezeptur der Sleaford Mods aus Nottingham. Damit hat sich das Ü40-Duo hochgespielt zur britischen Stimme der Deklassierten.
    Pisse und Scheiße
    Pisse und Scheiße mache sich breit in den Reimen der Sleaford Mods, schrieb der britische Autor Mark Fisher. Als könnte die physische und psychische Gülle der von Camerons Britannien Erniedrigten nicht mehr kontrolliert werden und explodiere durch das dünne Dach der parfümierten, digitalisierten kommerziellen Propaganda, so Fisher. Puh, ist das nicht manchmal auch eine Last, immer die Stimme der Entrechteten und Abgehängten sein zu müssen?
    "Nein, im Gegenteil, es ist eine große Ehre, wenn Leute uns so betrachten, wir hätten nie gedacht, dass wir weiter kommen als bis zur nächsten Ecke und jetzt lösen wir so eine Aufregung aus."
    Missgunst und Ablehnung
    Aufregung lösen die Sleaford Mods aus, aber auch Missgunst und Ablehnung.
    "Wir sind schon ziemlich groß in England, aber wir werden auch runtergeschrieben als alte Männer, die nur rumbrüllen. Viele jüngere Leute mögen uns, aber es gibt auch viele, die halten uns für alte Koksnasen", erzählt Jason Williamson und sein Partner Andrew Fearn ergänzt:
    "Oder die Leute behaupten, Jason sei ein Säufer. Was soll das? Mein Gott, es gab Leute wie Shane McGowan von den Pogues, der ging sternhagelvoll auf die Bühne und wurde dennoch respektiert. Was ist mit der Musik passiert? Sie ist so hygienisch geworden, so sauber, es gibt keine Charakterköpfe mehr."
    Sehnsucht nach Helden
    Diese Lücke könnten die Sleaford Mods schließen. Mit ihrem rabiaten Pöbel-Sound und dem aggressiven Auftreten sind sie ein Gegenentwurf zur verunsicherten Männlichkeit der Erniedrigten der Gesellschaft. Stillen die Sleaford Mods die nostalgische Sehnsucht vieler Briten nach einem virilen Working Class Hero, der den neoliberalen Schnöseln da oben mal so richtig auf die Fresse hauen?
    Fearn: "Offenbar erkennen die Leute in uns etwas, mit dem sie sich identifizieren können, es kommen auch viele Frauen zu den Konzerten, die uns sowas sagen."
    Williamson: "Ja, es gibt nicht viele bodenständige Bands, wir sind so eine, wir sind sehr überzeugt von dem, was wir tun, wir sind einfach wir selbst und so fällt die ganze Heuchelei schon mal weg. Wir sprechen in unserem Heimatakzent und der ganze Auftritt ist repräsentativ für die Unterdrückten."
    Unterdrückt und überflüssig
    Fühlen sich die Unterdrückten und die Überflüssigen tatsächlich repräsentiert von den Sleaford Mods? Oder erreicht ihre Klassenkampfrhetorik nicht doch eher diejenigen, die sowieso schon überzeugt sind? Die Feuilletons und die Pop-Kritiker zum Beispiel. Die, also wir, haben die Sleaford Mods ins Herz geschlossen. Und so lange es Gründe gibt für den Hass auf die da oben, so lange dürfen die Sleaford Mods festhalten an ihrem soundgewordenen ausgestreckten Mittelfinger. Keine Zeit für ästhetische Verfeinerungen. Auch wenn man sich schon mal welche wünscht, auf Albumlänge.