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Slowakische Pflegerinnen
Fluch und Segen für die eigene Familie

Weil sie in ihrer Heimat zu wenig Geld verdienen, arbeiten viele Frauen aus der Slowakei als Pflegerinnen für Senioren in Österreich. Sie pendeln alle zwei Wochen zwischen Heimat und Arbeitsplatz hin und verdienen damit mehr Geld als ihre Männer. Viele Ehen stehen deshalb vor einer Zerreißprobe.

Von Stefan Heinlein | 22.08.2014
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    Die helfenden Hände aus der Slowakei kommen Senioren in Österreich zugute - und fehlen zuhause. (dpa / picture alliance / Daniel Reinhardt)
    Martin ist heute glücklich. An diesem regnerischen Nachmittag spielt er Karten mit seiner Mutter. Auf dem Küchentisch steht selbst gebackener Kuchen - es duftet nach Kaffee und den Äpfeln aus dem eigenen Garten. Der Elfjährige genießt die Zeit mit seiner Mama, denn schon bald muss sie wieder weg.
    "Diese zwei Wochen sind schon immer sehr lang. In der Schule fragt mich dann die Lehrerin, warum die Mama nicht die Klassenarbeit unterschreibt. Ich sage dann immer - sie ist wieder draußen - in Österreich. Also muss der Papa das machen."
    Zwei Wochen Arbeit in der Nähe von Salzburg - zwei Wochen zuhause in Lucenec in der Südslowakei. Das ist seit drei Jahren der Lebensrhythmus von Dana Svedova. Über 600 Kilometer trennen beide Orte. Der Abschied ist für die ganze Familie jedes Mal eine kleine Tragödie.
    "Die 14 Tage zuhause sind immer sehr schön, aber die zwei Wochen weg von der Familie sind nicht einfach. Mein älterer Sohn ist 19 und macht ständig Probleme. Er ruft dann an - aber was soll ich machen - ich sitze in der Ferne und habe keine Ahnung was wirklich geschieht."
    Probleme die Alica Kironská aus eigener Erfahrung kennt. Ihr Handy klingelt fast ohne Pause. Jahrelang hat sie selbst als Pflegerin in Österreich gearbeitet. 2005 gründet sie dann mit einem österreichischen Partner die Vermittlungsagentur "Pflegende Hände."
    "Es war in dieser Zeit noch nicht legal. Da waren ziemlich wenige, die sich das getraut haben. Aber diese Marktlücke war da und man hat gesehen, es gibt ein großes Interesse in Österreich und großes Interesse von der slowakischen Seite, also hat man einfach gemerkt, wenn man diese Seiten zusammenbringt wird etwas draus."
    Pflegerinnen dürfen Patienten nicht medizinisch versorgen
    Der endgültige Durchbruch kommt mit einer Gesetzesänderung 2008. Seither arbeiten die Frauen in Österreich selbstständig mit einem Gewerbeschein. Über 30.000 slowakische Pflegerinnen sind mittlerweile im Nachbarland. Deutlich weniger machen sich auf den weiten Weg nach Deutschland. Doch die Arbeit ist überall gleich. 24-Stunden-Pflege - das heißt: Rund um die Uhr kümmern sich die Pflegerinnen zwei Wochen lang um ihre Patienten.
    "Na - also - sie reisen an und übergeben sich gegenseitig den Dienst. Meistens kochen sie dann und räumen auf um den Patienten - aber keinen Großputz. Sie leisten Gesellschaft - das kommt immer auf den Patienten an."
    Die medizinische Versorgung ist den Pflegerinnen dagegen untersagt. Verbände wechseln oder Spritzen geben sind zumindest offiziell ein Tabu. Vier bis sechs Wochen dauert der Pflegekurs zur Vorbereitung auf den Auslandseinsatz. Viele jedoch setzen sich zuvor auf die Schulbank. Wer die deutsche Sprache zumindest teilweise beherrscht, wird meist besser bezahlt. Das Geld war auch für die 58-jährige Ludmilla Hruskova der Grund, den Beruf zu wechseln:
    "Ich habe jetzt etwa 770 Euro und in der Slowakei nach 30 Jahren als Lehrerin hatte ich 600 Euro verdient. Und jetzt arbeite ich zwei Wochen und zwei Wochen bin ich zuhause. Ich habe Urlaub. Und das ist für mich besser. Ist nicht viel, aber man kann davon leben."
    Meist treibt aber die Sorge um die materielle Zukunft der eigenen Familie die Frauen ins Ausland. Anders als in der Boomstadt Bratislava gibt es in der Ost- und Südslowakei nur wenige Jobs. Vor allem junge Menschen haben dort kaum Perspektiven auf eine bessere Zukunft - so die Soziologin Martina Sekulova:
    "Das Motiv ist meist die Suche nach einem Weg aus der Arbeitslosigkeit. Vor allem junge Mütter haben oft keine andere Möglichkeit. Aber auch Frauen über 50 werden in der Slowakei oft diskriminiert. Im Vergleich zum slowakischen Durchschnittslohn wird in Österreich gut bezahlt. Viele Frauen mit Hochschulabschluss arbeiten deshalb als Pflegerinnen."
    Der Preis für die Existenzsicherung der eigenen Familie ist hoch
    Doch der Preis für die Existenzsicherung der Familie ist hoch. Auch an ihren freien Tagen bekommt Dana Svedowa Anrufe aus Österreich von ihrer 94-jährigen Patientin. Ihre Kinder können sich nicht um die Mutter kümmern. Für sie ist die Pflegerin aus der Slowakei der einzige finanzierbare Ausweg, ihr das Heim zu ersparen. Doch Dana hat zuhause ihre eigenen Probleme, erzählt sie mit Tränen in den Augen:
    "Ich habe einen Mann, der für den Haushalt sorgt. Er kocht und kauft auch ein. Doch er kommt erst spät abends nach Hause. Manchmal helfen die Großeltern. Aber sehr häufig sind die Kinder nach der Schule sehr lange allein."
    Nicht nur für Kinder ist die Trennung von der Mutter ein großes Problem. Die Doppelbelastung der Frauen sorgt daheim häufig für viel Streit mit dem Partner. Marek hat selber lange Jahre als Pfleger im Ausland gearbeitet und kennt das Dilemma seiner Kolleginnen.
    "Ganz sicher - viele Männer haben Probleme damit, dass die Frau so lange weg ist. Früher war es bei uns so - der Mann sorgt für das Geld und die Frau kümmert sich um die Kinder. Jetzt ist es häufig umgekehrt. Das ist eine große Veränderung - dieser Rollentausch in der Gesellschaft."
    Eine Veränderung, die nicht ohne Folgen bleibt. In den ländlich geprägten Regionen der Ost- und Südslowakei zerbrechen viele Familien an der wochenlangen Trennung der Eltern, weiß die Agenturchefin Alica Kironská aus eigener Erfahrung:
    "Nachteile sind, dass man von der Familie abgeschnitten ist - das man zweierlei Leben lebt. Ja, Verschiedenes kommt vor. Der Mann findet sich dann jemanden. Die Frau findet sich jemand in Österreich. Es ist halt so und daher kommen diese Scheidungen."
    Für den elfjährigen Martin zählen diese Überlegungen alle nicht. Er genießt die wenigen Tage bis die Mutter wieder in das Auto steigt und er ihre Stimme zwei Wochen lang nur am Telefon hören kann. Auch wenn er noch nie in Österreich war, hat Martin über die zweite Heimat seiner Mutter viele Bilder im Kopf:
    "Ja, ich kann mir das gut vorstellen, wo die Mama ist. Sie erzählt mir immer, dass es dort auch hohe Berge und viel Natur gibt. Es ist sehr schön dort, hat sie mir gesagt. Wenn sie das erzählt, kann ich mir alles gut vorstellen."