Dienstag, 19. März 2024

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Slowinzischer Nationalpark
Besuch in einer versunkenen Welt

Wanderdünen, Seeadler und kilometerlange Strände: Der Slowinzische Nationalpark zwischen Stettin und Danzig bietet Natur pur. Interessant ist er jedoch auch wegen des Freilichtmuseums Kluki. Hier kann man in das Leben der Slowinzen eintauchen - eines slawischen Volkes mit wechselvollem Schicksal.

Von Iris Milde | 21.01.2018
    Bildnummer: 55928281 trachtengruppe im freilichtmuseum von kluki, polen, pommern, slowinzischer nationalpark
    Eine Splittergruppe der Kaschuben: die Slowinzen - im Dorf Kluki werden ihre Bräuche und Lebensformen wieder zum Leben erweckt (Imago / Blickwinkel)
    Sand soweit das Auge reicht. Die Wanderdüne von Łeba ist eine der größten Attraktionen des Slowinzischen Nationalparks. Kinder rennen kleine Sandhügel hinunter, Erwachsene haben ihre Picknickdecken auf der weiten sandige Ebene ausgebreitet. An die 40 Meter ist die Düne an ihrem höchsten Punkt. Der Wind hat feine Konturen in den Sand gemalt. Dahinter schimmert die Ostsee. Und dann ist da noch der Kiefern- und Birkenwald, den die Düne Millimeter für Millimeter verschlingt. Dort wo sie sich in den Wald hineinfrisst, staken gespenstische Baumgerippe aus dem Sand hervor.
    Bildnummer: 51475301 Tote Bäume auf einer Wanderdüne in Leba im Slowinzischen Nationalpark - Slowinski Park Narodowy
    Bizarre Formen: Baumskelette an der Wanderdüne von Leba (Imago / -Bernd Friedel)
    "Die Dünen sind ständig in Bewegung."
    Sagt Andrzej Demczak, stellvertretender Direktor des Slowinzischen Nationalparks.
    "Bei starkem Wind wandern sie bis zu 12 Meter im Jahr. Die Wanderdünen sind das Charakteristischste in unserem Park. Nirgendwo sonst in Polen gibt es so große Flächen mit Dünen."
    Hunderte Vogelarten und kilometerlange Strände
    Ich treffe Andrzej Demczak in seinem Büro im Nationalparkhaus. Auf Regalen stehen kleine Kunstwerke aus Schwemmholz, an den Wänden hängen Bilder von menschenleeren Stränden.
    "Die Saison dauert bei uns von Mai bis September, dann sind hier wirklich viele Leute. Am schönsten ist es in den Herbst- und Wintermonaten. Dann kann man Vögel oder sogar am helllichten Tag die Hirsche bei der Brunft beobachten."
    Bildnummer: 60703475 Abendstimmung am  Leba-See, Leba, Woiwodschaft Pommern
    Breite Schilfgürtel umgeben den Leba-See (Imago / Imagebroker)
    Über 260 Vogelarten sind im Slowinzischen Nationalpark nachgewiesen. Viele Zugvögel aus Skandinavien machen hier Station. Strandläufer, Austernfischer, Sandregenpfeifer und sogar Seeadler leben am Meer und den langen weißen Stränden. 35 Kilometer Strand ohne eine einzige Siedlung. Schäfchenwolken liegen flach über dem Meer, eine Windhose nähert sich dem Land und löst sich auf. Der Wind trägt alle Stimmen fort und ich habe das Gefühl ganz allein in dieser unendlichen Weite zu sein.
    Hinter den Dünen liegt der Łeba-See mit seinem breiten Schilfgürtel, ebenfalls Lebensraum für Vögel, Insekten, Frösche und kleine Säugetiere. Sein Ufer war auch die Heimat der Slowinzen. Ein slawisches Volk mit gerade mal 700 Mitgliedern, dem der Slowinzische Nationalpark seinen Namen verdankt. Sie lebten vom Fischfang und wohnten in bescheidenen Fachwerkhäusern, die dem Landstrich auch den Beinamen "das karierte Land" einbrachten.
    "Die Slowinzen waren eine Splittergruppe der Kaschuben, aber sie hatten ihre eigene Sprache. Allerdings unterlagen sie als kleines Volk sehr stark der Germanisierung. Das hatte zur Folge, dass die Slowinzen vor dem Zweiten Weltkrieg praktisch alle Deutsch sprachen. Deshalb hielt man sie auch für Deutsche und nach dem Zweiten Weltkrieg kamen sie auf die Transporte und mussten nach Deutschland ausreisen."
    Die meisten Slowinzen leben heute in Norddeutschland
    Erzählt Agnieszka Pietruszczyk, die mich durch das Freilichtmuseum in dem ehemaligen slowinzischen Dorf Kluki führt. Später erkannte der polnische Staat den Irrtum und verbot den wenigen verbliebenen Slowinzen sogar die Ausreise. Doch das Schicksal der Slowinzen war bereits besiegelt. Die meisten von ihnen leben heute fern ihrer Heimat in Norddeutschland, so Pietruszczyk.
    "Als das Museum 1963 im ehemaligen Hof der Familie Reimann gegründet wurde, lebten hier noch Slowinzen. Die betrachteten die Entwicklung mit Befremden. Denn erst wurden sie wie Feinde behandelt und plötzlich widmete man ihnen ein Museum."
    Das Freilichtmuseum - ein Glücksfall
    Aus heutiger Sicht ist es ein Glücksfall, dass das Museum schon in den 60er Jahren entstand. So konnten viele Alltagsgegenstände der Slowinzen in die heutige Zeit hinüber gerettet werden. In den Häusern, die nach ihren ehemaligen Bewohnern benannt sind, scheint alles so, als seien diese gerade fortgegangen.
    Gleich im Flur eines reetgedeckten Fachwerkhäuschens hängt eine aus Schilf geflochtene Umhängetasche, in der die Fische transportiert wurden, außerdem hohe Anglerstiefel und Werkzeuge zum Flicken der Netze.
    Bildnummer: 53461099 Frau backt Brot auf traditionelle Weise im Freilichtmuseum von Kluki, Polen, Pommern, Slowinzischer Nationalpark 
    Brotbacken in Kluki - viele traditionelle Alltagsgegenstände konnten bewahrt werden (Imago / Blickwinkel)
    "Jetzt befinden wir uns in der Weißen Stube, dem wichtigsten Raum im Haus. Hier haben wir das Ehebett und auf der anderen Seite ein ausziehbares Bett, in dem bis zu sechs Kinder schliefen. Und sehen Sie sich dieses Tischchen an. Das ist der Luthertisch. Hier lag die Bibel zum Gebet."
    Agnieszka Pietruszczyk zeigt mir in einer Vitrine eine kleine Bibel mit vergilbten Seiten.
    "Sehen Sie sich die erste Seite an. Dort wurde nach jeder Geburt eines Kindes der Name und das Geburtsdatum eingetragen. Die Bibel enthielt die Familiengeschichte, sie wurde von Generation zu Generation weitergeben."
    Die Slowinzen waren evangelisch. Darin unterschieden sie sich von den sonst eng verwandten Kaschuben, die weiter östlich vor Danzig leben. Hinter den Häusern sind große Netze und Aalreusen zum Trocknen aufgestellt. In kleinen Bauerngärtchen wachsen Rüben, Kräuter und Blumen. Auf der Weide stehen Pferde und Schafe.
    Im Mai kam die Schwarze Hochzeit
    Agnieszka Pietruszczyk führt mich zu einem quadratisch ausgehobenen Loch in der Wiese von etwa drei mal drei Metern und nimmt von einem Stapel einen schwarzen Barren, der nicht aus Gold, sondern aus schwarzer Erde ist.
    "Dieser Würfel, das ist getrockneter Torf. Das Torfstechen begann im Mai und war ein großes Fest für das ganze Dorf. Die sogenannte Schwarze Hochzeit. Alle versammelten sich an den Gruben und dann musste der Torf für den gesamten Winter gestochen werden. Es gab wenig Holz, deshalb nutzen die Slowinzen Torf zum Heizen."
    Die Schwarze Hochzeit gibt es heute noch. An besonderen Tagen erweckt das Dorf wieder zum Leben, dann werden Netze geflickt, Boote geteert, Torf gestochen, runde Brotlaibe aus Kartoffel-Mehlteig gebacken und Fischsuppe nach altem slowinzischem Rezept gekocht.