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"So kann man nicht im Rechtsstaat vorgehen"

Das Moratorium der Bundeskanzlerin sei rechtlich nicht existent, macht Staatsrechtler Martin Morlok deutlich. Laut Atomgesetz sei eine sofortige Stilllegung nur bei Gefahr für Leben und Leib möglich. Dann müsse die Bundeskanzlerin erklären, warum diese Gefahr heute existiere, vor vier Monaten aber noch nicht.

Martin Morlok im Gespräch mit Gerd Breker | 17.03.2011
    Gerd Breker: Die Katastrophe von Fukushima hat die Welt verändert, zumindest die heile Welt der Atomenergienutzung hierzulande. Schwarz-Gelb hat sichtlich größte Mühe, die Energiekehrtwende zu begründen, ohne als populistischer Wendehals dazustehen. Heute Morgen die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin. Sie kam an Japan auch nicht vorbei.

    Am Telefon bin ich nun verbunden mit Martin Morlok. Er ist Staatsrechtler und Politikwissenschaftler an der Universität Düsseldorf. Guten Tag, Herr Morlok.

    Martin Morlok: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Moratorium hin oder her, das Gesetz zum Ausstieg, das ist gültig?

    Morlok: Ja selbstverständlich ist das Gesetz gültig und die Regierung kann bei uns zum Glück das Gesetz nicht ändern, das kann nur das Parlament machen. Insofern ist das Moratorium rechtlich gar nicht existent.

    Breker: Allerdings gibt das Atomgesetz mit Artikel 19 den Ländern die Möglichkeit, die betreffenden Reaktoren doch abzuschalten, nur braucht es dafür eine Begründung.

    Morlok: Richtig. Aber Sie haben gerade schon zurecht gesagt, ein Atomkraftwerk stillzulegen, das ist Sache der Länder und nicht des Bundes. Die Länderverwaltungen sind damit beauftragt. Und die Rechtsgrundlage, auf die gerade auch ja eingegangen wurde, das ist Paragraph 19, Absatz 3 des Atomgesetzes, und das setzt eben voraus, dass Gefahr für Leben und Leib besteht. Lassen Sie mich das salopp formulieren, dass man ernstlich befürchten muss, dass einem das Ding um die Ohren fliegt. Da ist es selbstverständlich richtig, dass das dann stillgelegt wird. Nur warum ist da die Gefahr heute gegeben und vor vier Wochen oder vor vier Monaten nicht gegeben? Die Kraftwerke sind ja völlig unverändert, da hat sich überhaupt nichts verändert. Insofern wird das also auch politisch schwierig zu begründen, dass man jetzt schnell, schnell etwas stilllegen muss, was man bis vorgestern noch für sicher gehalten hat.

    Breker: Also könnten dann auch die Betreiber dieser Kernkraftwerke durchaus mit Erfolgsaussichten klagen?

    Morlok: Die Betreiber könnten klagen, über die Erfolgsaussichten will ich hier nicht spekulieren. Das Dilemma ist eben, heute begründen zu müssen, dass etwas gefährlich ist, was bis vor kurzem noch für unbedenklich gehalten wurde. Aber es ist ja wohl nach dem, was wir so hören, nicht zu erwarten, dass die Betreiber klagen, denn man könnte sich ja auch vorstellen, dass sie das freiwillig stilllegen, auf politischen Ratschlag, auf politischen Druck, aus politischen Erwägungen heraus. Eine freiwillige Stilllegung wäre ja auch möglich.

    Breker: Herr Morlok, nun ist ganz klar: Eine Regierung muss handeln, gegebenenfalls auch schnell handeln. Aber sie muss irgendwann ihr Handeln auch im Rahmen von Recht und Gesetz durchführen.

    Morlok: Ganz genau so. Also man sollte jetzt nicht die Regierung allzu scharf kritisieren, denn die politische Initiative, das ist Sache der Regierung. Und dass man angesichts dessen, was wir in Japan sehen, neu nachdenkt über die Sicherheit der Kernkraftwerke, das ist auch richtig. Nur muss man eben auch im Rechtsstaat gucken, welche Stelle in welchem Verfahren ist zur Realisierung der politischen Ziele zuständig, und das geht eben nicht ohne eine Änderung des Gesetzes über den Atomausstieg.

    Breker: Sprich der Bundestag muss mit einbezogen werden, es müsste über den Ausstieg ein neues Gesetz geben?

    Morlok: Richtig. Auch wenn die Kernkraftbetreiber freiwillig stilllegen, ist es doch merkwürdig, dass wir ein Gesetz haben, das die Laufzeit verlängert, aber tatsächlich sagt man, das gilt alles nicht so genau. Wir haben jetzt ja schon den dritten Fall innerhalb kurzer Zeit, dass man einfach sagt, Gesetze sollen nicht mehr gelten, wir wenden sie nicht an. So kann man nicht im Rechtsstaat vorgehen.

    Breker: Das heißt, das Staatsverständnis der Bundeskanzlerin sollte sich ein wenig mehr an unsere Verfassung halten?

    Morlok: Politische Initiative ja, politischer Mut auch, aber dann die Realisierung muss eben klein, klein nach den Buchstaben des Gesetzes erfolgen, und das heißt hier eben auch, das Hauptorgan unserer Demokratie, das Parlament mit einschalten.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der Staatsrechtler und Politikwissenschaftler der Universität Düsseldorf, Martin Morlok. Herr Morlok, danke für dieses Gespräch.

    Morlok: Gerne geschehen.