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"So kann man nicht in Landtagswahlen gehen"

Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Rudolf Baum (FDP) hat seine Partei zu einer offenen Debatte um Personal und Inhalte aufgefordert. FDP-Chef Westerwelle müsse vor den nächsten Wahlen Entscheidungen treffen, wenn er auf eines seiner Ämter verzichten wolle.

Interview mit Gerhart Rudolf Baum (FDP), ehemaliger Bundesinnenminister | 16.12.2010
    Gerwald Herter: Auch die FDP lebt wie andere Parteien in Wahlkämpfen von ihren Spitzenleuten. Selbst wenn die in Berlin viele Verpflichtungen haben, so gelten Promis doch gemeinhin als Zugpferde, auf die man ungern verzichtet. In Rheinland-Pfalz wird am 27. März gewählt. Der FDP-Spitzenkandidat dort, Herbert Mertin, hält das Auftreten des amtierenden Bundesvorsitzenden Guido Westerwelle im Wahlkampf aber "für wenig hilfreich. Fakt ist, dass die Person des Bundesvorsitzenden uns seit Monaten wie ein Klotz am Bein hängt", das hat er auch gesagt. Aus Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein kommen ähnliche Äußerungen. Ist der FDP-Vorsitzende Westerwelle noch zu halten? - Gerhart Baum kann uns das sagen, er kann das einschätzen. Er war Innenminister und fast ein Jahrzehnt lang stellvertretender Parteivorsitzender. Mit ihm bin ich nun verbunden. Guten Morgen, Herr Baum.

    Gerhart Rudolf Baum: Guten Morgen.

    Herter: Soll der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle gehen oder bleiben?

    Baum: Das muss er zunächst einmal selber mit sich ausmachen, und die Führungsgremien in der Partei, vor allen Dingen diejenigen, die aus meiner Sicht das eigentliche Kapital für die Zukunft darstellen, viele fähige jüngere Männer und Frauen in den Fraktionen, insbesondere in der Bundestagsfraktion, die müssen sich entscheiden, wie gehen sie mit dieser liberalen Partei in die Zukunft. So wie es heute ist, kann es nicht bleiben. Und es ist ja doch sehr ein außergewöhnlicher Zustand, dass zwei Landesverbände, die schwere Wahlkämpfe zu bestehen haben, nicht nur nicht einen Prominenten nicht haben wollen, sondern auf Distanz zum Bundesvorsitzenden gehen. Das kann so nicht bleiben. Es muss jetzt eine Debatte geführt werden, nicht hinter vorgehaltener Hand, sondern in den Gremien der Partei, wie sie aus der Krise kommt, und das ist eine Personaldebatte und auch eine inhaltliche Debatte.

    Herter: Und wird diese Debatte offen geführt? Ich habe nicht den Eindruck, Herr Baum.

    Baum: Nein, sie wird nicht offen geführt. Jeder, den man trifft, der führt sie und spricht das Thema an, aber es bildet sich offenbar keine gemeinsame Linie heraus. Es wird ja immer gesagt, die Jüngeren sind zu jung - ich denke zum Beispiel an den Generalsekretär Lindner, der Verantwortung übernehmen könnte und sollte -, aber wie das nun weitergeht mit dem Vorsitzenden, der ja zwei Ämter hat, das ist nicht ausdiskutiert. Und ich finde, die FDP hat angefangen, eine liberale Agenda zu besetzen mit Lindner, also sich wieder breiter thematisch aufzustellen. Das sollte sie fortsetzen und die Jüngeren sollten auch den Mut haben, über kritische Themen zu streiten. In der Europapolitik ist die Fraktion nicht auf einer Linie, das sollte ausdiskutiert werden. Ich bin der Meinung, die FDP muss wieder Europapartei werden. Die FDP muss sich auch jetzt hinter die Frau Leutheusser stellen in diesem schwierigen Thema der Vorratsdatenspeicherung. Also diese thematischen Dinge dürfen nicht vernachlässigt werden hinter der Personaldebatte, aber die Personaldebatte schwelt und sie muss beendet werden, wie auch immer.

    Herter: Ja! - Wenn Sie in einem Gremium wären, in einem Spitzengremium der FDP, dann wäre es doch wohl keine Frage, wie Sie entscheiden würden?

    Baum: Das ist so einfach nicht. Selbst Kubicki, dessen merkwürdige Vergleiche ja nicht hilfreich sind, hat keinen Vorschlag gemacht. Im Grunde müssen sich diejenigen, die künftig Verantwortung tragen, darauf einigen, mit welchen Personen sie das machen wollen, und das ist ja nicht nur der Vorsitzende. Es steht die Wahl eines Präsidiums an. Die jetzige Situation ist das Schlimmste, was überhaupt passieren kann. So kann man nicht in Landtagswahlen gehen.

    Herter: Das Schlimmste, was überhaupt passieren kann. - Wann sollte Westerwelle gehen, damit das noch irgendeinen Nutzen hat?

    Baum: Also ich will jetzt hier nicht den Rücktritt von Westerwelle fordern, das wäre mir zu einfach.

    Herter: Also, Herr Baum, wenn er gehen würde, wann sollte er gehen?

    Baum: Das darf sich nicht hinschleppen. Wenn er eine Entscheidung trifft, sage ich mal, auf eines seiner Ämter zu verzichten beispielsweise, dann sollte das natürlich vor den Wahlen geschehen.

    Herter: Das Dreikönigstreffen ist für die FDP ja immer ganz besonders wichtig. Sollte es nicht bis dahin schon geschehen?

    Baum: Das Dreikönigstreffen ist ein Test für die Stimmung in der Partei. Vielleicht ist es wichtig auf dem Weg zu Entscheidungen. Die Entscheidung selber, ob bis dahin Entscheidungen gefallen sind, das weiß ich nicht. Die Zeit ist ja verdammt kurz, aber das Dreikönigstreffen wird zeigen, in welchem Zustand vor allen Dingen auch die Partei in Baden-Württemberg ist.

    Herter: Herr Baum, wer könnte denn als Nachfolger für Guido Westerwelle infrage kommen?

    Baum: Also ich will mich jetzt hier an den Spekulationen nicht beteiligen, aber es gibt Personen der mittleren Generation und der jüngeren Generation, die für Führungsaufgaben infrage kommen, und sie müssen irgendwann nur den Mut haben, Flagge zu zeigen.

    Herter: Also nicht Wirtschaftsminister Brüderle?

    Baum: Ich spekuliere nicht über einzelne Namen.

    Herter: Was halten Sie denn von Christian Lindner, dem Generalsekretär? Sie sagen "jüngere Generation".

    Baum: Ich bin der Meinung, dass Lindner ein Hoffnungsträger ist. Er hat neue Themen angestoßen. Er will die soziale Verantwortung des Liberalismus deutlich machen. Er gibt mir die Überzeugung, wenn ich ihn höre, dass eine liberale Partei nach wie vor eine Existenzberechtigung hat, und er hat hier eine Diskussion angestoßen über die Aktualisierung liberaler Grundsätze. Das ist ein wichtiger Hoffnungsträger, in welchem Amt auch immer.

    Herter: Herr Baum, welchen Fehler sollte ein FDP-Vorsitzender auf jeden Fall vermeiden?

    Baum: Er sollte vermeiden, dass eine Situation entsteht, wo der Vertrauensverlust unüberwindbar ist. Ob er Vertrauen zurückgewinnen kann, das ist eine ganz schwierige Frage. Aber das wäre im Grunde ja eine ganz unerträgliche Situation.

    Herter: Das war Gerhart Baum, früher Bundesinnenminister und bis 1991 stellvertretender Vorsitzender der FDP. Herr Baum, vielen Dank für das Gespräch.

    Baum: Guten Morgen!