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"So voll krass mehr Europa, warum nicht?"

Europäische Fortschrittsgeschichte, die Generationenfrage, die Eurokrise, Grenzen und Identität: Um diese Themen ging es vier jungen deutschen Poetry Slammern beim Jugend-Forum der Friedrich Ebert Stiftung in Bonn zur Frage "Europa zusammenhalten – aber wie?". "Mehr Europa" war eine ihrer Forderungen.

Von Markus Dichmann | 28.02.2013
    "- Was würden wir nur ohne Europa machen? Hier die wichtigsten Errungenschaften in chronologischer Reihenfolge: Steinbeil, Ackerbau, Literatur, Violinen, Halbfettmargarine, Teilchenbeschleuniger.

    - Vielleicht werden im Jahr 2113 noch maximal fünf Jugendliche übrig geblieben sein in gesamt Europa. Da es niemanden gelungen sein wird, die umgekehrte Alterspyramide zurück umzudrehen.

    - Und jetzt haben wir diese Währungsunion ohne Seele und tun so, als wäre das selbstverständlich. Die Idee wird nicht weiterentwickelt, sondern tagespolitisch geflickt.

    - En petit détail: Essen wir nicht belgisch, sondern flämisch, sprechen nicht deutsch, schwätzen schwäbisch, bereisen wir nicht Italien, gehen auf Mailand Trip. Da treten die Eigenheiten von Regionen, die für uns schon immer ohne Grenzübergänge waren, hervor."

    Europäische Fortschrittsgeschichte, die Generationenfrage, die Eurokrise, Grenzen und Identität. Vier Poetry Slammer, vier Mal Europa. Jeder hat seine eigene Vorstellung davon, was Europa ist, was funktioniert, was schief läuft.

    "Generell war das für mich ein Thema, mit dem ich mich normalerweise nicht von selbst aus auseinandergesetzt hätte."

    Jan-Philipp Zymny, mit 19 der jüngste der vier Slammer.

    "Insofern fand ich das sehr schön, dass das Mal zur Sprache kam, beziehungsweise mal in meine Aufmerksamkeit gerückt ist."

    "Jan Philipp sagte gerade irgendwie, dass er sich normalerweise nicht mit beschäftigt. Und das ist eigentlich, finde ich, recht sinnbildlich. Weil die Idee mag da sein, aber sie ist überhaupt nicht präsent – sodass Europa eben von Jugend, darum ging es ja heute, ziemlich weit weggerückt ist."

    Sagt Florian Cieslik, der in seinem Text kein europäisches Blatt vor den Mund nimmt.

    "Wenn keiner dieser hochdotierten, -gelobten, -betagten, medienaffinen, intellektuellen Egomanen, wenn keiner dieser Helmut Schmidts sich genötigt fühlt, eine Idee zu geben für alle, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass die Jugend Europa weder fühlen, noch mitgestalten, oder sich wenigstens dagegen wehren will."

    "Das ist doch wie alles: Es kratzt uns dann, wenn’s uns was angeht."

    Auch Slammerin Anke Fuchs erlebt das, was allgemein das schöne Stempelchen Euroskepsis trägt.

    "Es kratzt uns dann, wenn wir in Belgien arbeiten wollen, und in Aachen wohnen. Also dann interessieren wir uns für Europa. Fertig aus."

    Brüssel, Straßburg, EU, das sei eine Blase, meint Anke, technokratisch und weit weg. Die anderen nicken. Aber Europa ist mehr als nur EU, erinnert Sascha Thamm.

    "Krieg, die Pest, neuer Krieg, die spanische Grippe, noch'n Krieg, Krieg, Krieg, Mauer da, Mauer weg, und seit neuem Pompöös mit zwei ö. – Dass man einfach in der Zeit, in der wir jetzt leben, mit einer Selbstverständlichkeit rumfährt und Leute trifft und ein sehr, sehr friedliches Umfeld hat. Das ist sehr selbstverständlich für uns, aber das war es ja nie."

    Frieden, Vielfalt, Freiheit – das schätzen alle vier an Europa. Und sind sich auch einig, wo die Reise hingehen soll.

    "- Dass man einfach anders schauen muss, nur nach vorne und einfach größer gedacht. Und dass eigentlich das Nationalstaatliche überholt ist.
    - Find ich generell eine geile Sache, wenn wir irgendwie alle zusammen ein Superland bilden, das fände ich schon cool. Es muss natürlich eine gewisse Selbstbestimmtheit herrschen, aber das funktioniert ja beim Bund und den Länden auch. Aber ansonsten find ich die Idee geil - so voll krass mehr Europa, warum nicht?"

    Was auch immer Europa ist, oder aus Europa wird – man kann es zum Abschluss auch so wie Sascha Thamm machen – und ein altes Ruhrgebietsmotto auf Europa umdichten:

    "Und allen, die immer mosern: 'Uns hier in Europa geht es in diesen harten Zeiten ja ach so schlecht und wir Mitteleuropäer sind arme, arme Menschen': Woanders isses auch scheiße."


    Mehr zum Thema:

    Werkstatt Europa: Das Europaportal des Deutschlandfunks