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"So weite Himmel in so engen Körpern, denke ich ..."

Aleš Šteger gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Lyriker in Slowenien. In seinem neuen Gedichtband "Das Buch der Körper" befasst sich der 1973 Geborene mit den Grenzen des poetischen Sprechens: Auf der Suche nach dem Körper gelangt er immer wieder an den Rand seiner eigenen Sprache.

Von Anja Kampmann | 27.06.2013
    "Ich bin nur eine Begegnung von Gedanken." In seinem neuen Gedichtband "Das Buch der Körper" nimmt Aleš Šteger eine Fragestellung auf, die ihn seit Mitte der 90er-Jahre beschäftigt; es ist die Suche nach dem Ich im Gedicht, nach einem Ursprungsort der Rede, der weder einfach auf die Worte, noch auf den Körper zurückzuführen ist. Fünf Jahre lang hat Aleš Šteger am "Buch der Körper" gearbeitet - nach dem erfolgreichen "Buch der Dinge" von 2006 konzentriert sich Šteger nun auf die Frage, wie weit die Sprache dem körperlichen Empfinden folgen kann.

    "Beim Buch der Dinge ist ja wirklich der Ansatz das Ohr, das Erlauschen. Es steht natürlich noch immer infrage, wem gehört dieses Ohr, wer ist der, der dieses Ohr trägt, aber es ist das Ohr, das eigentlich das Sprechen der Dinge vernimmt. Im Buch der Körper ist die Perspektive eigentlich umgedreht: das Sprechen ist viel präsenter, ist viel eigentümlicher als im Buch der Dinge."

    In dem neuen Gedichtband konzentriert sich Šteger auf die Frage, wie weit die Sprache dem körperlichen Empfinden folgen kann. Das fast sprichwörtliche In-sich-hinein-Hören stellt Šteger zunächst einmal infrage. Zumindest die Sprache weiß über dieses Innen wenig Auskunft zu geben.

    "Der Körper als solcher entzieht sich der Erfahrung der Sprache. Die Sprache ist ein Alien im Körper. Die Sprache kümmert sich um den Körper eigentlich nicht besonders."

    Und trotz dieser scheinbaren Eigenständigkeit der Sprache ist sie doch unmittelbar mit dem Körper verbunden. Eine Ambivalenz, die der Autor aufnimmt.

    "Sprache ist etwas Physisches, ist etwas Taktiles, ist etwas Körperliches. Der Körper als solcher ist etwas sehr Abstraktes, etwas, mit dem man eigentlich nicht viel anzufangen weiß. Über den man fast nichts oder gar nichts sagen kann. Die Sprache wird festgehämmert in Versen, der Körper aber fließt davon."

    Das Buch umfasst drei Teile, die wie einzelne Bücher je eigene Zugriffe behaupten. So finden sich im ersten und im Schlussteil stark reduzierte Gedichte, die, vorsichtig tastend, das Gesagte zur Membran werden lassen, ohne dass man zwischen Innen und Außen noch unterscheiden könnte. Gerade auf das Wechselverhältnis von

    Worten und dem Körper richtet Šteger sein Augenmerk. Er unterläuft so im poetischen Sprechen die klassische Unterscheidung von Innen und Außen.

    "Wenn es ein Innen gäbe, dann wäre das eine feste Identitätsstruktur. Man braucht ja als Teenager sehr lange, um rauszufinden, dass eigentlich das eigene Zentrum außer einem steht, dass es eigentlich nicht als solches existiert, sondern es existiert nur Bewegung, kreisend von verschiedenen Vorstellungen, was das Ich sein könnte."

    Aleš Šteger tastet die Oberflächen der Sprache mikroskopisch ab. "Aus fast nichts ein wenig": das Hervorgehen eines Gedichts und der Ort der Worte selbst werden befragt. So auch in dem Gedicht "Das Wort Ende":

    "[...]
    Ende des Gedichts.
    Kein Ort,
    Unbestimmtheit,
    Körper,
    Nicht der meine,
    Nicht der deine,
    Restkörper.
    Geht durch uns zwei,
    Wie eine Nadel,
    Wie das Wort Nadel.
    Nichts hat sie zusammengenäht,
    Nichts aufgetrennt.
    Das Wort sticht ein,
    Der Körper seufzt,
    spreizt die Zunge,
    Obwohl nichts
    Geschieht,
    Wurde alles
    Noch einmal
    Vollbracht. [...]"


    Im mittleren Teil des Gedichtbands, "Dort", arbeitet der Autor mit Bildern und narrativen Momenten, die er im restlichen Teil des Buches verwehrt. Es sind Prosagedichte, die von sehr konkreten Notaten, Spaziergängen, Begegnungen, bis zu wissenschaftlichen Textsplittern aufgefächert sind: "dort", das sind Grenzgänge, in denen das Erinnern als "unausweichliche und präzise Feinmechanik des Tagträumens" befragt wird. Die Bruchstellen von persönlichem Erleben und Fremdmaterial verweisen für Šteger jedoch gerade auf den Mehrwert des Gedichts.

    "Ich las viel über den Körper, natürlich habe ich mich damit dann auch theoretisch auseinandergesetzt, aber ich bin fest überzeugt, dass diese Nahrung eigentlich gut verdaut sein muss und dass man das Gedicht eigentlich tötet, wenn man es als Interpretationspolygon für Theorien betrachtet.

    Das Gedicht ist intelligenter, es ist komplexer, es braucht natürlich einen ganz anderen Zugang als Theorie, Theorie geht immer auf einleuchtende, geschlossene Gedankenführung, die sich in einem engen, logischen Raum befinden, zurück, das Gedicht ist viel breiter."

    25 Buchstaben hat das slowenische Alphabet und jeder Teil des Gedichtbands umfasst 25 Gedichte. Es ist ein präziser Rahmen, in dem Šteger seine Untersuchungen an den Rändern unserer Sprache vollzieht. Gerade der dritte Teil verlangt, sich ganz auf die Bewegungen der Sprache selbst einzulassen. Der Körper ist in den Gedichten kein einfacher Ankerpunkt; er ist das, was sich entzieht, so wie die Worte selbst. Gerade diese Wechselbeziehung von Sprache und Körper wird zum eigentlichen Ort der Rede. Nur eines kann diese Sprache nicht, Halt bieten: Dem flüchtigen Körper stellt Šteger eine flüchtige Sprache hinzu.

    So in dem Gedicht "Das Wort Rettet," in hervorragender Übersetzung des Lyrikers Matthias Göritz.

    [...]
    Manchmal wünscht der Körper sich,
    Wort
    zu sein.
    Ein ungelöstes / Rätsel. / Manchmal wird / Der Körper / Zu einem / Wort. / Das Wort / Wird nie / Körper, / Braucht ihn aber / Zur Rettung / Von Worten./ Der Körper braucht das Wort, / Um zu anderen / Körpern / zu sprechen. / Das Wort
    Braucht / Den Körper, / Um das Wort / Zu retten,
    Das anderen
    Wörtern
    Sagt,
    Dass es
    Keine Rettung gibt.
    Beide,
    Körper
    Und Wort,
    Werden gerettet,
    Doch nicht in
    Worten, Nicht in Körpern,
    Sagt ein Wort. [...]


    Wie Verweise auf eine Kindersprache lesen sich die kurzen Kapitelüberschriften "Das", "Dort" und "Dann". Šteger deutet in ihnen auf den Akt des Zeigens, in dem das Kind sich der Welt mit ersten Worten und Lauten nähert.

    "Das Kind zeigt ja mit dem Zeigefinger, und es sagt einsilbige Wörter wie to, tam, to, to, also das, das, ich möchte das. Schon besteht eigentlich alles, was Poesie ist, in diesem Akt und in der Unmöglichkeit des Aktes. Es kann eigentlich noch nicht sprechen das Kind, aber schon ist die Unmöglichkeit des Sprechens darin. Und da zeigt sich das ganze Unvermögen der Sprache über das, was der Körper sagt, irgendetwas zu sagen. Deshalb ist auch dieser ausgestreckte Zeigefinger so wichtig. Die Sprache versucht, ihm zu folgen, aber das wird sie dann wahrscheinlich später nie mehr tun, so wie bei einem kleinen Kind."

    Es sind Randwörter, denen Šteger sein Augenmerk schenkt, Wörter, die im slowenischen selten gebraucht werden. Mit seiner Widmung an den großen slowenischen Lyriker Dane Zajc, der 2005 verstorben ist, stellt er sich zugleich in eine Tradition, in der ein existenzielles Fragen zum Motor poetischen Sprechens wird.

    Im "Buch der Körper", in der gelungenen Übersetzung von Matthias Göritz, wird der Leser Zeuge des Zusammenspiels von Prosagedicht und äußerst reduziertem Wortmaterial. In diesem Zusammenklang weist Aleš Šteger in großer Konzentration auf den Ort, den Sprache immer umkreist, aber nie ganz erreicht. Das "Buch der Körper" ist eine Einladung, die Grenzen unseres sprachlichen Vermögens noch einmal neu zu überdenken.


    Aleš Šteger: "Buch der Körper. Gedichte."
    Aus dem Slowenischen von Matthias Göritz, 150 Seiten, 20,60 Euro,
    Schöffling, Frankfurt am Main, Herbst 2012