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Social E-Commerce
Die virtuelle Messe kommt zurück

Seit zwei Jahren setzen sich allmählich wieder Plattformen für virtuelle Messen durch. Wieder? Vor etwa 15 Jahren scheiterte der Ansatz, die eigentliche Messeveranstaltung ins Digitale zu verlegen bereits einmal. Die heutigen Anbieter dagegen verfolgen einen anderen Kurs: Sie wollen die Messe bloß ergänzen.

Von Peter Welchering | 30.05.2015
    Ein Mann im Anzug hat ein Smartphone in der Hand
    Ein Ansatz für virtuelle Messe-Helfer: Das Smartphone lotst die Nutzer zielgenau und schnell zu den Ausstellern, die sie gerade suchen. (picture alliance / dpa)

    "Wir machen gute Erfahrungen. Es ist für aufstrebende Designer eine gute Möglichkeit, an einem Ort Einkäufer aus der ganzen Welt zu haben. Wir sind damit sehr zufrieden."
    Manfred Kloiber: So bewertet die amerikanische Modedesignerin Anjelina Krishna virtuelle Messen. Seit zwei Jahren setzen sich vor allen Dingen bei US-Messeveranstaltern und bei japanischen Messeunternehmen Plattformen für virtuelle Messen durch. Und auch in Europa hat die Diskussion darüber in diesem Jahr begonnen. Mit virtuellen Messen sind die Messerveranstalter vor knapp 15 Jahren ja schon einmal massiv auf die Nase gefallen. Damals wurde mit solchen virtuellen Messeplattformen viel Geld versenkt. Haben da die neuen virtuellen Messeplattformen nicht mit einer schweren Hypothek zu kämpfen, Peter Welchering?
    Peter Welchering: Ja, aber diesen Kampf bestehen sie gerade ganz erfolgreich. Und das hat damit zu tun, dass sich die Anbieter virtueller Messeplattformen ganz klar von den Messen im Second Life vor 15 Jahren distanzieren. Sie wollen keine Avatare auf Messen im virtuellen Raum schicken. Sie wollen traditionelle Messen mit ihrer virtuellen Plattform anreichern. Also Abschied vom Second Life. Das war ein Reinfall, da funktionieren keine Messen. Hin zur Integration möglichst vieler Social-Media-Angebote auf einer Messeplattform als Anreicherung. Hin zu Messelotsen, die dem wirklichen Messebesucher genau mitteilen, wo er welche Angebote und Produkte zum Anfassen auf dem realen Messegelände findet. Hin zu einer Produkt- und Austeller-Datenbank, die direkte Schnittstellen zu den digitalen Showrooms der Hersteller aufzeigt. Hin zu zusätzlichen Angeboten auf der virtuellen Messeplattform, die die reale Messe das Jahr über begleiten, die Messe vorbereiten, nachbereiten. Das setzt den Einsatz ganz neuer Techniken gegenüber dem Seond Life voraus. Das setzte sehr viel Integrationsarbeit voraus.
    Kloiber: Diese Integrationsmethoden und die dabei eingesetzten und dafür entwickelten Techniken erfahren gerade einen ziemlichen Innovationsschub. Big-Data-Analse, Tracking-Methoden und traditionelle Datenbankabfragen bewegen sich rasant aufeinander zu. Wir haben den Stand der Entwicklung zusammengefasst.
    Beginn Beitrag:
    An virtuellen Messen basteln Eventmanager und Computerexperten schon seit vielen Jahren - erfolgreich war das bisher nicht. Der kardinale Fehler: Sie wollten die eigentliche Messeveranstaltung ins Digitale verlagern. Und das ging gründlich schief. Die heutigen Anbieter von Plattformen virtueller Messen dagegen wollen nichts verlagern. Sie wollen die eigentliche Messeveranstaltung stärken und ergänzen. Ganz konkrete Angebote, etwa um sich auf einer großen Messeveranstaltung mit vielen Hallen schnell zu orientieren, gehören deshalb zum Standard solcher Plattformen für die virtuelle Messe. Roland Kümin vom schweizerisch-amerikanischen Anbieter Balluun gibt ein Beispiel:
    "Jetzt sind Sie mit Ihrem Smartphone unterwegs auf der Messe, und Sie bewegen sich auf der Messe, und dann reagiert Ihr Telefon. Sie können hier vorgängig eingeben irgendwelche Hashtags, was Sie im Visier haben, auf dem Radar, und dann führt Sie Ihr mobiles Gerät dann durch die Messe und bringt Sie punktgenau zu denjenigen Ausstellern, die Sie suchen."
    Dahinter steckte eine Big-Data-Anwendung, die das Interessenprofil des Messebesuchers mit den Angeboten der Aussteller abgleicht und dabei die Bewertungen und Empfehlungen anderer Messebesucher mit einbezieht. Natürlich muss auf dem Messegelände selbst die notwendige technische Infrastruktur installiert sein.
    Webinare als Ergänzung zum analogen Seminarprogramm
    "Es geht eigentlich darum, dass Sie solche kleinen Minisender auf einer Bluetooth-Basis installieren. Und dieser kleine Sender, der verstreut dann Push-Messages. Und wenn Sie die entsprechende Applikation haben auf Ihrem iPhone, dann reagiert das Gerät, macht dann ein Matchmaking, führt Sie, lotst Sie durch eine geografische Landschaft."
    Diese Lotsenfunktion auf der "analogen" Messeveranstaltung ist nur eine Dienstleistung, die Plattformen für virtuelle Messen bereitstellen. Die meisten von ihnen sind dreistufig aufgebaut: Zusatzdienste wie die Lotsenfunktion oder auch Webinare als Ergänzung zum analogen Seminarprogramm einer Messe werden dabei mit Social-Networking-Diensten und Shop-Services für Bestelltransaktionen zusammengebracht. Sie werden in ein einheitliches virtuelles Messemodell integriert. Roland Kümin nennt das Social Commerce.
    "Social Commerce heißt von daher irgendwo eine Lösung aus Facebook und aus Ebay – also eben social und commerce. Ein wesentlicher Punkt bei den Social Media sind ja dann all diese Empfehlungen, Ratschläge, die Sie aus der Community kriegen, also beispielsweise, ich bin auf einer Messe, ich bin dann ja vernetzt mit meiner Community, krieg dann auf der Messe vielleicht irgendwelche Empfehlungen. So ist man dann in der Lage, ein System auf die Beine zu stellen, wo eben auch Dynamik herrscht, wo relevante Informationen weitergereicht werden. "
    Die perfekte technische Integration aller Services ist dabei das entscheidende Erfolgskriterium. Wie vielfältig und komplex das ist, erklärt Roland Kümin an der Navigation für einen Besucher-Account.
    "Ich melde mich an als Besucher. Dann meinen ersten Screen oder den Eingang, den ich finde, ist wie auf Facebook. Sie kommen dann unmittelbar in diesen Social-Media-Stream hinein und sehen da Empfehlungen von anderen Besuchern etc. Aktualitäten, Informationen. Diese Informationen können rein textlich sein, das kann aber auch Video-Material sein. Und eine ganz große Stärke ist natürlich die Suchfunktion. Dann finden Sie Aussteller, finden Informationen von weiteren Messebesuchern. Wenn Sie etwas gefunden haben, sind Sie unmittelbar in einem Showroom des jeweiligen Herstellers, tauchen dann in das Produktangebot ein."