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Social-Media-Verhalten der Politiker
Meistens gar nicht so sonderbar

Erika Steinbach steht wegen einer Äußerung bei Twitter in der Kritik. Wieder einmal. Immer mehr Politiker nutzen die sogenannten Sozialen Medien. Die 72-jährige CDU-Bundestagsabgeordnete Steinbach ist jedoch in vielerlei Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung.

Von Michael Borgers | 15.03.2016
    Erika Steinbach (CDU), Vorsitzende der Arbeitsgruppe Menschenrechte und humanitäre Hilfe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
    Erika Steinbach (CDU), Vorsitzende der Arbeitsgruppe Menschenrechte und humanitäre Hilfe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (picture alliance/dpa/Bernd Von Jutrczenka)
    Wer wissen will, was Dorothee Bär treibt und umtreibt, dem kann ein Blick in ihren Twitter-Kanal helfen. Mehr als 22.300 Tweets finden sich dort, abgesetzt in bald sechs Jahren von 14, die sie inzwischen für die CSU im Bundestag sitzt. Durchschnittlich zehn Mitteilungen in dem Kurznachrichtendienst - jeden Tag. So kann man lesen, dass die 37-Jährige gerade in Hannover war, als parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur besuchte sie die Technikmesse Cebit. Und postete Bilder: von sich als Keynote-Rednerin, von sich vor einem riesigen Touchscreen, von EU-Kommissar Günter Oettinger.
    Sie nutze die sozialen Netzwerke auch, um Politik zu machen, sagt Bär im Deutschlandfunk. Und Twitter ist nur ein Baustein: Die Politikerin nutzt außerdem Facebook und Instagram, seit Kurzem testet sie auch Snapshat.
    Bei Twitter könne es auch mal passieren, "dass man sich eine Schlacht" liefere - mit Politikern anderer Parteien, aber auch aus den eigenen Reihen. Zum Fall Erika Steinbach von der Schwesterpartei CDU mag sich Bär nicht direkt äußern. Nur soviel: Es gebe Kollegen, die bewusst provozierten. Und grundsätzlich sei es ja positiv, wenn sich auch Ältere in die Welt dieser Kommunikation trauten.
    Kein Rücktritt wegen Diktatur-Tweet
    Steinbach ist länger bei der CDU als Bär auf der Welt. Zu Twitter stieß sie ein Jahr später - und verteidigte dort ihren Ruf als streitbare Politikerin, den sie als Präsidentin des Bundes der Vertriebenen erlangt hatte. Ihre Äußerungen in dem Kurznachrichtendienst sorgen regelmäßig für Kontroversen: So bezeichnete sie die NSDAP als linke Partei, kommentierte den Tod Helmut Schmidts mit einem alten Zitat zu den Grenzen der Integration von ihm oder verglich - wie jüngst geschehen anlässlich der Landtagswahlen - die Bundesregierung indirekt mit einer Diktatur.
    Einen Rücktritt als Fraktionssprecherin für Menschenrechte der CDU lehnt Steinbach ab, das machte sie nun klar, mit der Begründung: Sie habe sich mit CSU-Chef Horst Seehofer, der die offene Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel als falsch kritisiert, solidarisiert. Außerdem sei sie fest verankert in der Fraktion, so die 72-Jährige.
    Von einer "krassen Grenzüberschreitung" Steinbachs spricht Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. Es müsse Konsequenzen haben, dass sie das Parlament "derart diskreditiert" habe, sagt uns Notz. Das gelte aber auch für Horst Seehofer, der Merkels Flüchtlingspolitik "Herrschaft des Unrechts" genannt hatte.
    Von Notz gehörte 2009, als er in den Bundestag einzog, zu den Twitter-Pionieren in Berlin, war schon ein Jahr aktiv in dem Kurznachrichtendienst. Dieser habe wie alle Dinge "gute und schlechte Seiten": Der Möglichkeit, schnell zu kommunizieren, stehe die Gefahr, dabei Unbedachtes zu äußern, gegenüber. Bei diesem Balanceakt wolle er nicht jeden seiner Kollegen unter den Politikern in die Verantwortung nehmen, so von Notz, Fehler könnten passieren. Doch bei Erika Steinbach müsse man angesichts der "Schlagzahl provokativer Äußerungen nicht mehr von Leichtfertigkeit, sondern von Vorsatz ausgehen".
    Wissenschaftler: Steinbach nutzt Vorteil von Twitter
    Politiker nutzten "Soziale Medien", um Persönliches und Parteiliches zu verbreiten, erklärt uns Marco Dohle von der Forschergruppe "Politische Kommunikation in der Online-Welt". Im Fall von Erika Steinbach sei es so, dass diese den Vorteil von Twitter nutze, sich direkt an die Öffentlichkeit wenden zu können, "ohne Bedenken haben zu müssen, von Journalisten ignoriert zu werden". Gleichzeitig ziele wohl auch Steinbach darauf, dass ihre Äußerungen von Journalisten aufgegriffen und verbreitet werden - dies sei für die meisten Politiker noch immer das oberste Ziel, so der Kommunikationswissenschaftler.
    Die meisten Politiker haben laut Dohle inzwischen verstanden, mit den "Sozialen Medien" umzugehen, unbedachte Äußerungen finde man nur selten vor. Auch Politiker, die ihre Kanäle privat bedienten, hätten inzwischen verstanden, dass sie "nicht als private Person, sondern Vertreter ihrer Partei wahrgenommen werden".
    Bär: "Immer authentisch bleiben"
    Ihr gehe es darum, "immer sehr ungefiltert" und "ohne Schere im Kopf" online zu kommunizieren, sagt uns Dorothee Bär. In ihrer Partei, CSU, bietet sie schon länger Social-Media-Fortbildungen an. Ihr erster Ratschlag dabei: "Lasst es nicht die Mitarbeiter machen, immer selber machen, immer authentisch bleiben." Erst einmal habe sie selbst einen ihrer Tweet bereut, da habe sie "etwas Blödes über ein Outfit einer Person des öffentlichen Lebens" geschrieben.
    Und ob sie heute noch twittert? Das passiere spontan, so Bär. "Aber es würde mich wundern, wenn ich heute nichts mehr schreibe."