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Die Kommunikation auf See sicherer machen

In der Schifffahrt ereignen sich täglich Unfälle. In den meisten Fällen ist der Mensch Schuld. Eine wichtige Ursache ist die schlechte Verständigung zwischen den Seeleuten. Denn diese sprechen nicht alle dieselbe Sprache. Auch der knarzende Funk an Bord macht Probleme. Abhilfe soll jetzt eine Software zur Spracherkennung schaffen.

Von Tim Schröder | 06.09.2016
    Ein durch die Französische Marine am 01.02.2016 zur Verfügung gestelltes Foto zeigt den Frachter "Modern Express", der im Golf von Biscaya in Schieflage geraten war und aufzuaufen drohte zusammen mit dem Centaurus-Schleppboot am 28.01.2016.
    Neue Kommunikationstechniken sollen Schiffsunfällen vorbeugen (picture alliance / dpa / Bernardin Loic/Französische Marine)
    Die Verständigung auf See ist eine vertrackte Sache. Zwar ist Englisch die internationale Schifffahrtssprache, doch das Rauschen im Funkgerät und die starken Akzente vieler Seeleute machen die Kommunikation schwierig. Missverständnisse und Unfälle sind die Folge.
    "Man schätzt, dass es täglich ein bis zwei Schiffsunfälle gibt, von denen berichtet wird. Daneben gibt es eine ganze Reihe von Beinahe-Unfällen, die in der Statistik nicht auftauchen", sagt Peter John.
    Er ist Übersetzer im Fachbereich Seefahrt und Logistik der Jade Hochschule im niedersächsischen Elsfleth. 90 Prozent aller Unfälle werden durch Fehler der Besatzung verursacht. Und fast jeder zweite dieser Fehler ist auf schlechte Kommunikation zurückzuführen. Das betrifft nicht nur den Funkverkehr zwischen den Schiffen. Auch auf der Schiffsbrücke geht es manchmal durcheinander, denn dort müssen sich stets mehrere Leute abstimmen: der wachhabende Offizier und der Rudergänger, der die Steuerbefehle ausführt. In schwierigen Gewässern kommen Lotsen hinzu.
    "Immer wieder kommt es vor, dass sich Unfälle ereignen, weil verschiedene Mitglieder der Schiffsbrücke das Lagebild unterschiedlich beurteilen."
    Auch beim genuschelten Funkverkehr soll die Software helfen
    So gibt es täglich Kollisionen oder Strandungen von Schiffen. Peter John hat dem Kauderwelsch auf der Brücke den Kampf angesagt. Gemeinsam mit anderen Forschern hat er eine Spracherkennungs-Software entwickelt, die Sprachbefehle analysiert und wiedergeben kann. Auf der Schiffsbrücke soll der Computer damit künftig Befehle in klarem Englisch wiederholen, damit jeder sie versteht. Auch beim genuschelten Funkverkehr soll die Software eine Erleichterung sein.
    "Eine andere Möglichkeit besteht darin, computergesteuert Kommunikation aufzuzeichnen, möglicherweise in eine andere Sprache zu übersetzen. Dies würde beim Funkverkehr helfen, da die Funksprüche auf einem Display angezeigt werden."
    Die Forscher um Peter John werden die Technik in dieser Woche erstmals auf der internationalen Seefahrtmesse SMM in Hamburg zeigen. Sie stellen einen Software-Prototyp namens Chatbot vor, der nicht nur Sprachbefehle erkennt, sondern sogar sinnvolle Antworten gibt. Dafür wurde das Programm mit der Standardsprache der Seefahrt gefüttert – den Standard Maritime Communication Phrases. Diese Sprache enthält für jede Situation exakt vorgeschriebene Fragen und Antworten.
    "Die internationalen Standardphrasen der Seeschifffahrt versuchen durch Reduzierung natürlicher Sprache eine bessere Verständigung zu ermöglichen. Diese Phrasen wurden verpflichtend eingeführt im Jahr 2001 und werden seitdem weltweit unterrichtet und eingesetzt."
    Noch versteht der Chatbot nicht alle Dialekte
    In aller Welt müssen Seeleute diese Phrasen auswendig lernen. Eine einfache Regel besagt zum Beispiel, dass längere Zahlen als Ziffern gesprochen werden müssen. Statt "150" die Zahlen "One – five – zero". Wie die Statistik zeigt, hat diese Standardsprache die Zahl der Unfälle aber kaum verringert. Ein Chatbot an Bord wäre also sehr hilfreich. Reif für die Schiffsbrücke ist er aber noch nicht.
    Das liegt daran, dass der Chatbot noch nicht alle Dialekte verstehen kann. Zudem macht der verrauschte Empfang Probleme. Peter John kooperiert deshalb mit Experten für Spracherkennung vom Oldenburger Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie.
    "Sie kennen das von deutschen Diktiersystemen, die funktionieren manchmal nicht für Bayerisch oder Schwäbisch. Somit muss man den Spracherkennungssystemen beibringen, wie die Worte ausgesprochen werden. Wenn ich sage: 'Aufmberg', da muss der Spracherkenner wissen, diese Tonfolge heißt jetzt 'auf dem Berg'", sagt Stefan Goetze.
    Goetze ist Gruppenleiter und Ingenieur für Elektrotechnik am Oldenburger Fraunhofer-Institut. Hinzu kommen auf der Brücke die Motorengeräusche oder die Verzerrungen im Sprechfunk. Um die Software besser zu machen, nutzt Stefan Goetze sogenannte tiefe neuronale Netze.
    "Diese sind angelehnt an eine Modellierung dessen, was ganz grob im menschlichen Gehirn passiert. Wie auch der Mensch Sprache versteht."
    Sprachaufnahmen von Schiffen werden gesammelt
    Die tiefen neuronalen Netze werden mit Sprachaufnahmen gefüttert. Viele Stunden sind nötig, bis der Computer fremdartige Laute versteht. Letztlich ermittelt der Rechner, wie wahrscheinlich ist es, dass ein Laut einer bestimmten Phrase entspricht. Allerdings gibt es für viele Sprachen wie zum Beispiel Philippinisch so gut wie keine Aufnahmen. Zu den Aufgaben von Peter John gehört es daher, von Schiffen Sprachaufnahmen zu sammeln. Eine Hilfe ist der Schiffssimulator der Jade Hochschule, an dem Nautiker ausgebildet werden. Hier wird auch das Funken regelmäßig trainiert. Peter John nimmt diesen simulierten Funkverkehr auf.
    "Zum jetzigen Stand haben wir mehrere 100 Stunden dieser Simulationsübungen in den Spracherkenner gefüttert, sodass dieses System anderen Spracherkennungssystemen weit überlegen ist."
    Bis das System einsatzbereit ist, werden aber noch einige Jahre vergehen, schätzt Peter John.