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"Solaris" an der Oper Köln
Im Dickicht der Erinnerungen

Die Oper "Solaris“ von Detlev Glanert wurde 2012 uraufgeführt. In der Inszenierung von Patrick Kinmonth an der Oper Köln wird aus dem Flug zu den Sternen nach dem Roman von Stanislaw Lem eine traurige, schmerzhafte und doch verlockende Reise.

Von Christoph Schmitz | 03.11.2014
    Der Dirigent Lothar Zagrosek agiert am 20.03.2014 bei einem Konzert unter dem Motto Dominique Horwitz & das WDR Sinfonieorchester über Mensch und Maschine im Rahmen des Literaturfestivals lit.Cologne in Köln (Nordrhein-Westfalen) auf der Bühne.
    Lothar Zagrosek ist musikalischer Leiter der Oper "Solaris" in Köln. (picture-alliance / dpa / Henning Kaiser)
    Aus einer Folge von vier Tönen läßt Detlev Glanert eine Welt entstehen. Die zarte und zerbrechliche musikalische Substanz beginnt allmählich zu schimmern und zu blinken. Sie verdichtet sich, wird flüssig, plasmaartig und gewinnt an Wucht.
    Ein Ur-Ozean ist geschaffen. Aus ihm kann Leben hervorgehen, Lebewesen, Kommunikation. Ähnlich wie in Richard Wagners Vorspiel zum "Rheingold" nimmt Glanert einen langsamen und langen Anlauf, um die Welt aus dem Nichts zu entwickeln. So wie Wagner zahlreiche Motive seines Ring-Mythos aus der musikalischen Ur-Suppe herausfischt, nimmt auch Glanert den dichten Klangfluss seines Anfangs als dauerhafte Unterströmung der gesamten Oper. Aus endlosen Liegetönen vor allem der tieferen Register tauchen immer wieder helle Lichtreflexe auf, der Harfe, der Triangel, der Holzbläser. Permanente Wiederholungen kleiner Floskeln erinnern zudem an die Sphärenmusik György Ligetis, manchmal auch an die Minimalmusic der Amerikaner. Das paßt insofern gut zu dieser Oper, weil "Solaris" vor allem vom Erinnern handelt, von der Vergangenheit, die die Astronauten auf dem fernen Planeten Solaris einholt. Je weiter sie in den Weltraum hinaus verreisen, umso tiefer, scheint es, werden sie in ihre Vergangenheit zurückgeworfen. Ursache dafür ist das Plasma-Meer des unwirtlichen Himmelskörpers. Die bewußten und unbewußten Erinnerungen der Menschen werden durch dieses Meer materialisiert. Astronaut Kelvin sieht seine vor 14 Jahren verstorbene Frau Harey wieder. Er ist an ihrem Selbstmord nicht unschuldig, umarmt sie, sie sprechen miteinander und arbeiten - um es prosaisch und platt zu formulieren - ihre Vergangenheit auf. So wie Lothar Zagrosek am Pult in meditativer und konzentrierter Ruhe das langsam wogende Klangspektrum zum Schwingen bringt, so lyrisch und präzise entfalten Nikolay Borchev als Kelvin und Aoife Miskelly als Harey die Dialoge des einst gescheiterten Liebespaares.
    Kelvin: "Du bist nur ein Traum. Du bist tot, seit vierzehn Jahren und jetzt, im Traum, kommst du zu mir."
    Harey: "Ist das wichtig, Kris? Du hast ganz tief geschlafen, als ich an dein Bett kam. Ich wollte dich nicht wecken."
    Detlev Glanerts "Solaris"-Vertonung ist vor allem eine psychotherapeutische Analysesitzung. Kelvin gewinnt aus ihr manche Erkenntnisse, seine beiden Kollegen Snaut und Dr. Sartorius weniger.
    Dr. Sartorius: "Nun, sind wir schon beim Kolloquium angelangt? Ich habe Sie hergebeten, um Sie mit einer neuen These bekanntzumachen."
    Sartorius versucht blind weiter zu forschen und zu dozieren, obwohl ihn die Geister der Vergangenheit bedrängen. Er selbst klingt wie der zynische Doktor aus Alban Bergs "Wozzeck". Und Snaut wird seine Mutter nicht los, die ihm mit inzestuöser Lust immer noch die Windeln wechselt.
    Snaut: "Du verzichtest auf Experimente, nimmst dir dein Mädchen und willst einfach abhaun. Aber das ist auch nur ein Experiment!"
    Die unterkühlte Revueästhetik Kurt Weills kommt hier auf die Bühne. Und an anderer Stelle, im Chor, durch den der Planet Solaris selbst spricht, klingt es nach dem Faust-Teil der 8. Symphonie von Gustav Mahler. Trotz der vielen Reminiszenzen wirkt diese Oper nicht collagiert, eher traditionsbewußt. Sie hat eine eigene Mitte. Regisseur und Ausstatter Patrick Kinmonth hat die Geschichte in die Zukunft verlegt: Der Boden eines Raumstationswracks dient als letzte Zuflucht. Es steht in einer schwarzen Wasserlache. Bühnenhohe Wände voller Sterne und Leuchtdioden ziehen hin und her, transportieren die Figuren heran und zaubern sie wieder weg. Unter dem stummen Himmel des Weltalls sucht vor allem Kelvin nach Erlösung, nach Sinn und wird doch immer wieder zurückgestoßen auf jene unauslotbare Leerstelle, die Dasein heißt und Mensch. Eine traurige, schmerzhafte und doch verlockende Reise an der Kölner Oper.