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"Solche Infusionen sind Lösungen, die die Kinder dringend brauchen"

Medizin.- Durch bakteriell verseuchte Infusionen sind an der Uniklinik Mainz zwei Babys ums Leben gekommen. Im Interview mit Ralf Krauter erläutert Professor Egbert Herting, Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsklinik Lübeck, seine Sicht der Dinge.

23.08.2010
    Ralf Krauter: Zwei verstorbene Säuglinge und ein Baby, das den Kampf ums Überleben vielleicht nicht gewinnen wird - das ist die traurige Wochenendbilanz der Uniklinik Mainz. Der Tot auf der Intensivstation kam durch den Tropf - die Infusionen, die die kranken Babys ernähren sollten, waren mit Darmbakterien verseucht. Professor Egbert Herting, der Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsklinik Lübeck ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Neugeborenen- und Intensivmedizin und jetzt am Telefon. Herr Professor Herting, was genau waren das für Infusionen, die den kranken Säuglingen in Mainz zum Verhängnis wurden.

    Egbert Herting: Guten Tag Herr Krauter, solche Infusionen sind Lösungen, die die Kinder dringend brauchen. Kleine Kinder haben speziell nach Operationen einen hohen Bedarf an Flüssigkeit und Nährstoffen, und dazu führen wir ihnen diese Stoffe häufig über Venenkatheder direkt in den Kreislauf zu.

    Krauter: Warum direkt in den Kreislauf? Wäre es nicht besser, zum Beispiel die Ernährung über eine Magensonde zu machen? Denn dann hätten die jetzt enthaltenen Darmbakterien ja vermutlich viel weniger Schaden anrichten können, als wenn sie direkt ins Blut gelangt wären.

    Herting: Wo immer möglich, versuchen wir, Kinder heute über den Magen-Darm-Trakt von Anfang an zu ernähren - sowohl nach der Geburt als auch nach operativen Eingriffen. Man muss sich nur vor Augen führen, dass diese Kinder einen enormen Bedarf an Flüssigkeit und Nährstoffen haben, den wir leider häufig nicht direkt über den Magen-Darm-Trakt decken können. Dazu kommt, dass manche Kinder ja am Darm selber operiert werden, dass der Darm vielleicht noch nicht richtig funktioniert, dass wir Medikamente geben müssen, die die Darmfunktion beeinträchtigen. Das heißt: Nach großen operativen Eingriffen müssen wir immer einige Tage mit Flüssigkeitslösung überbrücken, bevor der Magen-Darm-Trakt richtig funktioniert.

    Krauter: Können Sie uns mal eine Hausnummer nennen, in Deutschland: Wie viele kleine Patienten bekommen solche Infusionen zurzeit.

    Herting: Nun, wenn Sie unsere Klinik hier betrachten, mit 90 Betten, dann haben wir jeden Tag etwa 20 bis 30 Kinder, die aus verschiedensten Gründen solche Nährlösungen bekommen. Das sind ganz kleine Frühgeborene, beginnend von 500 Gramm, das sind operierte Kinder, das sind Kinder mit Krebserkrankungen - ein Vielzahl von Gründen, die dazu führen, dass Kinder eben zusätzliche Nährstoffe benötigen.

    Krauter: Sind diese Infusionen denn wirklich so individuell, dass sie von Hand zusammengemischt werden müssen? Das birgt ja zumindest aus der Sicht des Laien gewissen Risiken, wenn da jemand mit diesen Flüssigkeiten hantiert, bevor man die Infusion verabreicht.

    Herting: Das Mischen passiert heute in der Regel eben in Apotheken, nicht mehr auf Station. Es sind dort eigentlich gut standardisierte Bedingungen. Die Gründe, weshalb wir Lösungen nehmen, liegen darin, dass, wie gesagt, wir in Kinderkliniken Kinder haben, die ein Gewichtsspektrum von 500 Gramm bis über 50 Kilo haben, die einen ganz unterschiedlichen Bedarf an Nährstoffen haben, weil die Organe unterschiedlich funktionieren. Und das müssen wir anpassen. Wo immer möglich, benutzen wir für ältere und weniger Kranke Kinder standardisierte Lösungen.

    Krauter: Gemischt wird eigentlich in steriler Umgebung. In Mainz war das in der Apotheke der Universitätsklinik - also eigentlich ein sehr sauberer Ort.

    Herting: Ja, absolut. Dort werden ganz strikte Standards eingehalten, es erfolgen Kontrollen und wenn ich recht informiert bin, ist genau über solch eine Kontrolle ja die Verunreinigung auch aufgefallen.

    Krauter: Allerdings zu spät, weil die Kontrollen erst Stunden später Ergebnisse liefern.

    Herting: Im Moment ist es so, dass wir ja nach Bakterien suchen, und um Bakterien nachzuweisen, müssen diese Bakterien bisher in sogenannten Brutschränken für etwa einen Tag bebrütet werden. Hier sucht man nach neuen und anderen Techniken, die schneller sind. Aber bisher ist es eben so, dass wir wenigstens einen Tag benötigen, um eine solche Verunreinigung nachweisen zu können.

    Krauter: Und so lange warten, bis das Ergebnis vorliegt, kann man aber nicht, weil die Infusion frisch verabreicht werden muss.

    Herting: Wir brauchen diese Infusion natürlich direkt bei den Kindern. Wir müssen darauf reagieren, wenn die Niere nicht richtig funktioniert, wenn irgendwas am Stoffwechsel nicht in Ordnung ist, wenn die Kinder mehr oder weniger Traubenzucker im Blut brauchen, mehr oder weniger Eiweiß - da müssen wir sehr rasch reagieren.

    Krauter: Die Ursachenforschung in Mainz läuft noch. Wer Fehler gemacht hat, ist noch unklar. Das wird sich zeigen. Lassen sich denn aus Ihrer Sicht trotzdem jetzt schon Lehren aus diesem Unglück ziehen?

    Herting: Ich glaube die Lehre ist, dass man sicher nicht nachlassen darf im Kampf gegen Infektionen, dass man große Sorgfalt herrschen lassen muss. Das beginnt schon in der Ausbildung unserer Studenten in Maßnahmen wie der Händedesinfektion. Man sieht, wie oft in der Medizin: Es gibt keine absolute Sicherheit. Aber wir müssen einfach kontinuierlich daran arbeiten, dass natürlich solche tragischen Ereignisse nicht wieder auftreten.

    Krauter: Professor Egbert Herting war das von der Universitätsklinik Lübeck. Vielen Dank nach dorthin.

    Herting: Gerne.