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Solidaritätszuschlag
"Der Soli saniert den Bundeshaushalt"

Ein Schönheitsfehler am Solidaritätszuschlag sei, dass er in den Bundeshaushalt fließe und nur noch ein kleiner Teil in Ostdeutschland ankomme, sagte NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) im DLF. Borjans forderte, auch strukturschwache Regionen im Westen mit dem "Soli" zu unterstützen.

Norbert Walter-Borjans im Gespräch mit Dirk Müller | 11.09.2014
    Mann am Rednerpult
    Der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) spricht am 10.09.2014 im Landtag in Düsseldorf (dpa/picture-alliance/Federico Gambarini)
    Der Aufbau Ost sei keineswegs abgeschlossen, betonte Walter-Borjans. Der Idee des Solidaritätszuschlags sei von der Grundlage her gut gedacht, aber es gebe auch im Westen einige Problemregionen, die ebenfalls einen Bedarf hätten. "Da ist eine Menge zu tun, wenn wir den Anschluss nicht verlieren wollen. Bei uns fehlen die Mittel, obwohl wir anderen helfen, das ist nicht solidarisch", sagte der NRW-Minister. Er forderte daher, das Geld nicht nur in den neuen Bundesländern zu verteilen, sondern da, "wo der Bedarf ist im Westen und Osten, und zwar in Problemregionen". Unter anderem nannte er Oberfranken, Saarland und strukturschwache Regionen im Ruhrgebiet.
    Legitime Zweckentfremdung
    Ein Grundproblem mit dem Solidaritätszuschlag sieht Walter-Borjans in der Zweckentfremdung. Inzwischen erreiche nur noch ein kleiner Teil des Solidaritätszuschlags Ostdeutschland, kritisierte Walter-Borjans. Der Rest werde zur Sanierung in den Bundeshaushalt gesteckt: "Bis 2020 werden 18 Milliarden vollständig im Bundeshaushalt bleiben. Nur noch die Hälfte geht in den Osten. "Der Soli saniert ganz eindeutig den Bundeshaushalt", sagte Walter-Borjans.
    Hören Sie das gesamte Gespräch in unserem Audio-on-Demand-Bereich oder hier in voller Länge:

    Dirk Müller: "Die haben lange genug an unserem Tropf gehangen." Das sagt kein Politiker so öffentlich, aber hinter vorgehaltener Hand geistert dieser Satz bereits seit Jahren durch die Flure der Ministerien und der Parlamente. Gemeint sind fast 19 Milliarden Euro pro Jahr für den Aufbau der neuen Bundesländer, die immerhin auch schon 24 Jahre alt sind. Hunderte Milliarden sind vom Westen aus dort hingeflossen, um alles besser zu machen, vor allem die marode miserable Infrastruktur. Doch was ist mit dem Ruhrgebiet? Was ist mit Oberfranken in Bayern, oder mit den Werftstandorten an der Küste, alles im alten Westen gelegen? Große Teile davon sind ebenfalls marode, miserabel. Wann wird dort von Staatswegen richtig investiert in Straßen, in Schienen, in Schulen? Spätestens 2020 ist der Soli ausgelaufen und Wolfgang Schäuble will es dann auch dabei belassen: Weg mit diesem Zuschlag, dafür vielleicht höhere Steuern. Ganz anders der SPD-Politiker Norbert Walter-Borjans, Finanzminister von Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen!
    Norbert Walter-Borjans: Guten Morgen, Herr Müller!
    Müller: Herr Walter-Borjans, Sie wollen bestimmt die Steuern senken?
    Walter-Borjans: Ich würde Steuern gerne senken, wenn nicht auf der anderen Seite ein hoher Bedarf dafür da wäre, das zu leisten, was die Steuerzahler auch gerne vom Staat hätten, und das ist sicher eine anständige Infrastruktur, das sind Brücken, die nicht zusammenzubrechen drohen, und das ist auch ein wichtiges, großes, gutes Bildungssystem.
    Müller: Also Steuersenkungen ausgeschlossen?
    Walter-Borjans: Ich will die nicht ausschließen. Wir sollten nur so ehrlich sein, dass wir uns erst mal angucken müssen, was für einen Bedarf haben wir. Sie haben vom Aufbau Ost gesprochen. Den halte ich im Übrigen nicht für abgeschlossen, auch nicht im Jahr 2020. Das sieht man. Man sieht allerdings auch, was schon alles entstanden ist, und man sieht gleichzeitig, auch die Punkte haben Sie genannt, wie viel Umbaubedarf, wie viel Erneuerungsbedarf in großen Teilen Westdeutschlands ist, und ich glaube, so wie das eine gemeinsame solidarische Aufgabe ist und war, Ostdeutschland gemeinsam um- und aufzubauen, muss das auch eine für den Westen Deutschlands sein.
    Müller: Also könnte man sagen, Wiederaufbau West?
    Walter-Borjans: Ja, Umbau. Jeder kennt das von Zuhause. Der Neubau ist meistens ein bisschen günstiger als der Umbau. Wir haben große Industrieregionen, wir haben eine enorme dichte Infrastruktur. Auch innerhalb Europas kann sich Deutschland damit sehr gut sehen lassen. Aber die ist in die Jahre gekommen und wir sehen jetzt, das ist nicht ein kontinuierlicher Erneuerungsbedarf, der immer mal auftaucht, sondern die ist gerade vor 40, 50 Jahren gebaut worden und jetzt kommt die Zeit, wo richtige Milliarden-Investitionen nötig sind, damit wir nicht den Anschluss verlieren innerhalb des Wettbewerbs der großen Industriestandorte.
    Müller: Warum haben Sie damit so lange gewartet, bis jetzt kein Lkw mehr über die Leverkusener Brücke auf der A1 fahren kann?
    Soli ist gut gedacht
    Walter-Borjans: Ja, weil es eindeutig so war, dass 1990 zunächst mal der Kompass vollkommen in eine andere Richtung gezeigt hat. Wer sich ein bisschen länger zurückerinnern kann, der weiß, dass gerade Mitte, Ende der 1980er-Jahre, damals noch mit einem Bundesfinanzminister Stoltenberg, ein Plan entwickelt wurde für Strukturhilfen in der damaligen alten Bundesrepublik mit über zweieinhalb Milliarden Mark damals noch. Jedenfalls es ging los, diese Strukturen zu ändern. Dann kam 1990 und zunächst mal war der Fokus – und das sage ich immer noch mal – zu Recht an anderer Stelle, weil es da viel mehr Bedarf gab. Aber das hat zu einem Stau geführt und deswegen ist der Soli von seiner Grundanlage ja gut gedacht, dass wir gemeinsam alle zusammen diese Brennpunkte sozusagen im Bedarf von Infrastruktur und wirtschaftlicher Erneuerung bewältigen. Aber die gibt es nicht nur in einer Ecke Deutschlands.
    Müller: Aber jetzt haben wir neue Autobahnen beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern. Da fehlen aber nun die Autos, die die Autobahnen benutzen. Und im Ruhrgebiet, in Nordrhein-Westfalen haben wir das Problem ja schon seit Jahrzehnten. Das heißt, Stopp and Go haben wir schon auch wiederum seit Jahrzehnten, ganz verschärft auch seit der Einheit. Warum braucht die Politik so lange, um zu reagieren? Wer hat den Fehler gemacht?
    Walter-Borjans: Nein, es geht nicht um Fehler. Es ging darum, zunächst mal eine Grundstruktur in Ostdeutschland aufzubauen. Dass da so wenig Autos fahren, hat ja auch seinen Grund. Es sind viele Menschen abgewandert. Die Wirtschaft lag am Boden, die musste erst mal aufgebaut werden, und manche Dinge – das sehe ich ein - da müssen Sie zuerst das Angebot an Infrastruktur schaffen, damit anschließend dann auch die Nachfrage danach entsteht. Aber wir machen einen großen Fehler, wenn wir dann den anderen Punkt, den Sie gerade beleuchtet haben, übersehen würden, dass es in anderen Teilen Deutschlands eine enorme Wirtschaftskraft gibt, dass es Autoverkehr gibt, aber die Straßen dafür nicht mehr imstande sind, das aufzunehmen.
    Müller: Aber jetzt tun Sie ja so, als sei das jetzt erkannt worden, und jetzt ist man dabei, umzusteuern?
    Soli zu Bedarfsgebieten geben
    Walter-Borjans: Nein! Es ist ja über die Jahre erstens auch viel in die Infrastruktur im Westen investiert worden. Das was uns jetzt trifft, nicht plötzlich, das haben wir auch vorhergesehen, ist, dass der Erneuerungsbedarf bei Straßen in einer Welle jetzt auf uns zukommt. Deshalb, weil es vor 40, 50 Jahren auch eine Welle an neuem Straßenbau gegeben hat. Das ist einfach der Lebenszyklus der Infrastruktur und da muss jetzt investiert werden.
    Müller: Und das Geld ist nicht da! Oder doch?
    Walter-Borjans: Es wäre da, wenn man sieht, dass der Soli beispielsweise den Zweck ja hatte, den Umbau im Osten zu finanzieren. Aber der Schönheitsfehler ist, der Soli fließt erst mal in den Bundeshaushalt, und von diesem Bundeshaushalt geht ein immer kleiner werdender Teil in den Bestimmungsort, in die Bestimmungsorte in Ostdeutschland und ein immer größer werdender Teil bleibt zur Sanierung des Bundeshaushaltes bei Herrn Schäuble. Da kann man gut eine schwarze Null erreichen.
    Es ist jetzt schon so, dass von 15 Milliarden ungefähr die Hälfte im Bundeshaushalt bleibt, und bis 2020 werden 18 Milliarden Soli fast vollständig im Bundeshaushalt bleiben. Also es gibt Mittel, sowohl darüber nachzudenken, ob man gegebenenfalls davon sogar etwas absenken kann, aber vor allem, dass man es dann auch dahin bringt, wo der Bedarf ist, und zwar im Westen und Osten, und zwar auch da, wo Problemregionen sind, also neben dem weiteren Bedarf in Ostdeutschland die Regionen, die Sie genannt haben: Ruhrgebiet, alte Werftstandorte, auch Oberfranken. Selbst Bayern hat Bereiche, das Saarland, in denen eine Menge zu tun ist, wenn wir den Anschluss insgesamt nicht verlieren wollen und wenn wir nachher die Verhältnisse auch nicht umgekehrt haben wollen, dass der Westen abgebröckelt ist und der Osten intakt.
    Müller: Das soll ja in vielen Teilen schon so sein, behaupten jedenfalls die Kritiker.
    Walter-Borjans: Wenn Sie mal eine Rundreise machen, dann werden Sie viele Beispiele finden.
    Müller: Sie räumen trotzdem keine Versäumnisse ein. – Aber gucken wir ein bisschen mal nach vorne. Sie sagen, Soli-Zuschlag, der darf nicht abgeschafft werden, sondern er soll dann in den Westen gehen?
    Walter-Borjans: Nicht in den Westen, sondern überall dahin, wo noch Bedarf ist. Es bleibt ein Bedarf. Bislang sieht der Soli ja vor, oder er unterstellt, als sei 2019 der Aufbau und Umbau des Ostens abgeschlossen. Da sage ich, genauso wie die Kanzlerin, oder der Bundesfinanzminister, das ist eine Illusion. Aber es kann nicht sein, dass man sagt, gut, dann müssen wir da noch ein bisschen was hintun, dann ist aber der Rest abgeschlossen. Das ist auch nicht der Fall. Im Gegenteil: Dieser Bedarf kommt bei uns jetzt erst auf. Er war immer da. Im Übrigen: Er ist ja auch immer finanziert worden. Der Umbau des Ruhrgebiets hat ja nicht stillgestanden. Nur der ist nicht eine solidarische Aufgabe aller gewesen, sondern den hat Nordrhein-Westfalen für sich getragen, hat deswegen einen hohen Schuldenstand, hohe Zinsen zu bezahlen, und ich finde schon, wenn wir bei anderen mitzahlen dafür, dass die keine Schulden aufnehmen müssen, dann darf man auch mal darüber reden, was denn mit den Lasten ist, die das Land auf die eigenen Schultern genommen hat.
    Müller: Sie wollen, Nordrhein-Westfalen will auch definitiv mehr Geld vom Bundesfinanzminister und auch von anderen Ländern?
    Walter-Borjans: Das ist im Ergebnis ganz eindeutig eine Folge.
    Müller: Ganz klar: NRW braucht Geld von außen?
    Walter-Borjans: Es braucht nicht Geld von außen. Ich möchte mal daran erinnern, dass wir bis heute zunächst mal auch vor allem in die ostdeutschen Länder einen großen Teil unserer Umsatzsteuer abgeben, 2,5 Milliarden jedes Jahr. Dann bekommen wir zwar ein Stück zurück, aber am Ende zahlt auch heute noch Nordrhein-Westfalen rund anderthalb Milliarden jedes Jahr dafür, dass andere dann keine Schulden aufnehmen müssen, Vorzeigekinder sind, denen man sagt, guck mal, die haben ja die Haushalte ausgeglichen. Bei uns fehlen die Mittel, obwohl wir anderen helfen, und das ist nicht solidarisch. Das muss man korrigieren.
    Müller: Aber Länderfinanzausgleich - im strengen Sinne sind Sie Empfängerland, Nordrhein-Westfalen?
    Walter-Borjans: Ja. Das ist aber die zweite Hälfte, und zwar bei zwei etwa gleich großen Hälften. Zuerst werden siebeneinhalb Milliarden Euro Umsatzsteuer so umverteilt, dass Nordrhein-Westfalen davon zweieinhalb Milliarden, ein Drittel davon abgibt, und dann werden achteinhalb Milliarden noch mal verteilt. Da bekommen wir dann 600 Millionen zurück, oder 700 Millionen. Unter dem Strich heißt das, jedes Jahr gehen im horizontalen Ausgleich zwischen den Ländern 1,5 - 1,4 Milliarden von Nordrhein-Westfalen zu anderen, die dann in der Lage sind, ohne Schulden den Umbau zu bewältigen, und bei uns fehlen sie.
    Der Soli saniert den Bundeshaushalt
    Müller: Auf Kosten der Nordrhein-Westfalen. – Herr Walter-Borjans, ich muss einen Punkt noch mal ansprechen. Sie haben eben gesagt, da fließt ganz viel in Schäubles Kasse aus dem Soli-Zuschlag, wird jedenfalls nicht alles in der gesamten Summe in Richtung Osten transferiert, sondern nur noch zur Hälfte.
    Walter-Borjans: Ja, nur noch zur Hälfte und am Ende gar nicht mehr.
    Müller: Also könnte man jetzt auch sagen, ohne jetzt in alle Details einzusteigen, der Soli-Zuschlag ist schon längst beispielsweise für die Finanzierung der kostspieligen Rente.
    Walter-Borjans: Na ja. Wir wissen alle, dass Steuern in den Gesamttopf fließen und aus dem Gesamttopf bezahlt wird. Ich meine, das mag eine journalistisch gute Zuspitzung sein.
    Müller: Da können Sie doch mal zustimmen am Ende unseres Gespräches.
    Walter-Borjans: Man kann nicht sagen, der Soli ist jetzt für die Rente, aber der Soli saniert ganz eindeutig den Bundeshaushalt. Rechnen Sie mal aus, wenn der Bundeshaushalt heute siebeneinhalb Milliarden Euro weniger hätte. Dann könnte man nicht mit der Nachricht aufwarten, der Haushalt ist ausgeglichen.
    Müller: Ist das eine legitime Zweckentfremdung?
    Walter-Borjans: Die jetzige Einbehaltung im Bundeshaushalt?
    Müller: Ja.
    Walter-Borjans: Nein, das ist sie auf Dauer nicht. Der Soli ist eingeführt worden als Ergänzungsabgabe auf die Einkommens- und auf die Körperschaftssteuer, mit dem Zweck, den Umbau Ost zu finanzieren. Das ist ja auch der Grund, warum immer davon gesprochen wird, er läuft aus. Die Ergänzungsabgabe ist nicht befristet zunächst.
    Müller: Und warum kann der Schäuble das machen? Warum kann der einfach ein bisschen umdisponieren?
    Walter-Borjans: Es wird nicht umdisponiert, sondern es ist damals so verabredet worden, dass die Leistungen für den Umbau des Ostens abschmelzen, aber der Soli als Ergänzungsabgabe nun mal da ist, und da er über den Bundeshaushalt fließt, bleibt das Geld im Bundeshaushalt. Deswegen ist das doch eine naheliegende Überlegung, zu sagen, wo gibt es auch im Sinne der Steuerzahler und der Wirtschaft in Deutschland Bedarf, die Infrastruktur so festzumachen, dass sie den Herausforderungen von morgen gewachsen ist, und dafür ist der Soli genau die richtige Quelle. Wenn wir das nicht in voller Höhe brauchen, dann kann man oder muss man ihn auch senken.
    Nur wir sollten doch jetzt nicht, nur weil Steuersenkung sich so toll anhört, auf die Idee verfallen, die Infrastruktur verrotten zu lassen und zu sagen, aber dann habe ich ein bisschen weniger Aufschlag. Ich sollte vielleicht auch noch mal sagen: Bis zu 4000 Euro zahlt ein verheiratetes Paar, gemeinsam veranlagtes Paar mit zwei Kindern, brutto 4000, gar keinen Soli. Das muss man auch wissen. Der Soli fängt deutlich höher an als die Einkommenssteuer.
    Müller: Das wäre nur so ein Traum von mir, bis ich dann 80 oder 90 bin, falls ich das schaffe, einfach einmal in meinem Leben eine Steuersenkung zu erleben.
    Walter-Borjans: Ja wenn Sie dann über holprige Straßen fahren wollen und das schöner finden, dass Sie dann auf dem Steuerzettel eine schönere Zahl haben, dann ist das Ihr gutes Recht. Ich habe da durchaus eine andere Präferenz.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Nordrhein-Westfalens Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD). Danke für das Gespräch.
    Walter-Borjans: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.