Freitag, 29. März 2024

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Solidarity-Studie der WHO
Vier Medikamente gegen COVID-19

Einen Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus zu entwickeln, braucht Zeit. Weniger langwierig ist es, die Patienten mit Medikamenten zu behandeln, die bereits auf dem Markt sind und zur COVID-19-Therapie zweckentfremdet werden könnten. Die WHO führt jetzt mit vier Medikamenten eine weltweite Studie durch.

Von Arndt Reuning | 27.03.2020
Eine Mitarbeiterin am Institut für Virologie der technischen Universität München (TUM) pipettiert in einem Labor einen Ansatz zum Proteinnachweis.
In einer Studie testet die WHO vier Wirkstoffe bei einer Erkrankung durch das neuartige Coronavirus (picture alliance / dpa / Sven Hoppe)
Ralf Krauter: Gestern haben wir über solche Studien am Ebola-Medikament Remdesivir berichtet. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat nun aber auch eine Studie begonnen, in der gleich vier Behandlungsansätzen unter die Lupe genommen werden, die Solidarity-Studie. Frage an meinen Kollegen Arndt Reuning: Worum geht es dabei genau?
Arndt Reuning: Eine Expertengruppe bei der WHO hat sich zusammengesetzt, um zu überlegen, welche Medikamente in der aktuellen Pandemie helfen könnten, die jetzt schon zur Verfügung stehen – weil sie bereits zugelassen sind für andere Krankheiten oder doch zumindest so weit erprobt, dass sie kurz vor einer Zulassung stehen. Von denen man auch weiß, welche Nebenwirkungen sie besitzen. Medikamente, die in ausreichenden Mengen vorhanden sind oder von denen die Produktion kurzfristig hochgefahren werden kann. Und Fachleute hatten ja bereits Dutzende potentielle Kandidaten vorgeschlagen. Die WHO hat nun vier Therapien herausgesucht, von denen sie glaubt, dass sie den größten Erfolg versprechen. Und diese Wirkstoffe sollen nun während der Pandemie in klinischen Studien überprüft werden mit tausenden von Patienten in verschiedenen Ländern.
Coronavirus
Coronavirus (imago / Science Photo Library)
Schlankes Studiendesign soll Vorgang beschleunigen
Ralf Krauter: Die Medizinerinnen und Mediziner sind da ja in einem Dilemma. Sie müssen einerseits sicherstellen, dass ihre Ergebnisse korrekt sind, anderseits sollen sie möglichst schnell Resultate liefern. Wie will die WHO diesen Spagat meistern?
Reuning: Die WHO setzt hier auf ein schlankes Studiendesign. Der Patient erhält eines der vier Medikamente. Welches, das wird ausgelost. Vorerkrankungen des Patienten wie etwa Diabetes werden auch erfasst. Es wird geschaut, ob der Patient beatmet werden muss. Und dann kommt es nur noch darauf an, nach wie vielen Tagen der Patient die Klinik wieder verlassen konnte – oder ob er an der Krankheit verstorben ist. Verglichen werden die Ergebnisse dann mit Patienten, die nur eine COVID-19-Standardbehandlung erhalten haben. Man senkt hier also die Ansprüche an eine klinische Studie. Es wird zum Beispiel nicht geschaut, wie stark die Virenbelastung im Körper täglich sinkt. Man verzichtet auf eine Placebogruppe. Und die Studie ist auch nicht verblindet. Es ist also genau bekannt, wer das Medikament erhält und wer nicht. Das Ganze soll es den Fachleuten vor Ort leichter machen, die ja meistens schon genug um die Ohren haben.
Remdesivir gilt als Hofffnungsträger
Krauter: Um welche Medikamente geht es denn in der Studie?
Reuning: Zum einen ist das der Wirkstoff Remdesivir. Darüber haben wir gestern schon ausführlich berichtet. Ein antivirales Mittel, das ursprünglich gegen Ebola entwickelt worden war. Der Nachteil dabei: Es muss intravenös verabreicht werden und steht im Moment nicht in großen Mengen zur Verfügung. Ganz im Gegenteil zum zweiten Medikament in der WHO-Studie. Das ist ein seit Jahrzehnten etabliertes Mittel gegen Malaria: Chloroquin beziehungsweise der verwandte Wirkstoff Hydroxychloroquin. Der blockiert einen Weg, auf dem das Virus in die Körperzellen gelangen kann, nämlich über kleine Abschnürungen der Zellmembran, die dann das Virus in die Zelle hineinschleusen. Das ist allerdings nicht der Haupteintragspfad für das Corona-Virus. Und deshalb sind hier auch noch viele Experten skeptisch, ob Chloroquin wirklich helfen kann, zum Beispiel auch der Virologe Christian Drosten von der Charité. Es gibt Hinweise aus China, dass es den Zustand von Patienten verbessern kann. Die kritische Frage ist, in welcher Dosis es verabreicht werden muss. Denn die Substanz besitzt starke Nebenwirkungen, die sich dann bemerkbar machen. In den USA zum Beispiel ist diese Woche ein Mann gestorben, der noch gar nicht ernsthaft krank war, nachdem er irrtümlicherweise auf eigene Faust zu viel Chloroquin eingenommen hatte.

Krauter: Remdesivir gilt als Hoffnungsträger, bei Chloroquin schätzen Fachleute die Chancen nicht so hoch ein. Was sind die beiden anderen Medikamente, die jetzt im Rahmen der WHO-Studie an Patienten getestet werden?
Reuning: Da geht es um Medikament gegen HIV, namens Kaletra, das aus zwei Wirkstoffen besteht, nämlich Ritonavir und Lopinavir. Lopinavir greift in die molekulare Maschinerie des Virus ein. Es behindert den Umbau von Eiweißmolekülen, die das Virus dazu verwendet, neue Viren aufzubauen. Ritonavir ist nur eine Art Bodyguard, der verhindert, dass Lopinavir selbst in den Zellen zerlegt wird. Erste Ergebnisse aus China zu dieser Kombination sind allerdings eher entmutigend. Dort hat das Medikament nicht gewirkt. Das könnte aber auch daran gelegen haben, dass COVID-19 bei den Patienten schon weit vorangeschritten war, sodass das Medikament vielleicht einfach zu spät kam. Der vierte Ast schließlich der Solidarity-Studie stützt sich ebenfalls auf diese beiden Wirkstoffe. Nun aber kommt noch ein dritter hinzu: Beta-Interferon. Das ist ein komplexer Naturstoff, ein Protein mit Zuckerketten daran. Ein Botenstoff des Immunsystems, der antiviral wirkt.
Das Gilead-Logo wird auf einem Smartphone neben einem Bildschirm mit einer Coronavirus-Grafik
Medikament gegen COVID-19 - Remdesivir gilt als "Hoffnungsträger"
Im Kampf gegen das Coronavirus laufen inzwischen erste Medikamententests. Dabei habe das ursprünglich für Ebola entwickelte Mittel Remdesivir "sehr gute therapeutische Effekt gezeigt", sagte Clemens Wendtner, Chefarzt in München.
Deutschland beteiligt sich an einer europäischen Studie
Krauter: Nimmt Deutschland auch an der Solidarity-Studie der WHO teil?
Reuning: Deutschland beteiligt sich am europäischen Projekt Discovery, das von Frankreich aus koordiniert wird. Da werden aber dieselben Medikamente untersucht wie in der WHO-Studie, so dass sich die Daten dann auch miteinander kombinieren lassen, um die Aussagekraft der Ergebnisse zu erhöhen.
Krauter: Und wie sieht es aus, wenn sich diese vier experimentellen Therapien alle als unwirksam gegen COVID-19 erweisen?
Reuning: Das Studiendesign ist nicht unumstößlich festgeschrieben. Wenn es sich zum Beispiel zeigt, dass ein Medikament nicht wirkt, dann kann es auch jederzeit aus dem Programm herausgenommen werden. Es kann aber auch sein, dass weitere Substanzen aufgenommen werden. Ein möglicher Kandidat wäre zum Beispiel das Grippemittel Favipiravir. Das funktioniert so ähnlich wie das antivirale Mittel Remdesivir, blockiert also die Vervielfältigung des Viren-Erbguts. Auch hier gibt es erste Ergebnisse aus China: Die Patienten wurden schneller wieder gesund, und auch ihre Lunge wurde weniger in Mitleidenschaft gezogen. Also möglicherweise auch ein Kandidat für die WHO-Studie. Genau wie das Krebsmedikament Tocilizumab, das möglicherweise helfen könnte, die Lungenödeme zu verhindern, also die Einlagerung von Flüssigkeit, an denen Patienten mit schwerem Verlauf oft leiden.