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Solide ist nicht genug

Herbert von Karajan gründete die Osterfestspiele in Salzburg 1967. Sie etablierten sich schnell als eines der wichtigen Musikfestivals - diesen Rang haben ihnen inzwischen aber andere abgelaufen. Doch nach wie vor sind die Salzburger Osterfestspiele Tradition, und zur Tradition gehört, dass der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker der Künstlerische Leiter der Osterfestspiele ist - seit 2003 ist das Simon Rattle.

Von Jörn Florian Fuchs | 14.04.2009
    Wenn nichts mehr hilft, hilft Mozart. Zumindest in Salzburg, wo der jugendlich verstorbene Tonsetzer an allen Ecken und Enden interpretiert, gefeiert und hofiert wird. Auch bei den diesjährigen Osterfestspielen spielte Mozart eine nicht unwichtige Rolle: Franz Welser-Möst führte mit den Berliner Philharmonikern und dem Wiener Singverein (Einstudierung: Johannes Prinz) das Requiem in der Beyer-Fassung auf und konnte sich dabei auf ein exquisites Solistenensemble rund um Genia Kühmeier, Bernarda Fink und Franz-Josef Selig stützen. Leider waren jedoch Chor, Orchester und Dirigent in überaus schlechter Verfassung. Das Ergebnis geriet farblos, unpräzise, in einem Wort: schauderhaft.
    Aus eher unklaren dramaturgischen Gründen wurden dem Requiem die "Quattro pezzi sacri" von Giuseppe Verdi vorangestellt und der Abend mit dem "Ave verum corpus" des späten Mozart beendet. Nun haben Mozart und Verdi weder musikalisch noch konzeptionell allzu große Gemeinsamkeiten. Während Mozart sensibel nach Spiritualität sucht, eilt Verdi manchmal schroff und skeptisch voran. Seine vier geistlichen Stücke bleiben Einzelwerke, Mozarts unvollendetes Requiem hingegen wirkt wie ein Fragment, das zum Ganzen, zur größtmöglichen Einheit strebt.
    Auch in den zwei Konzerten, die Simon Rattle mit seinen Berlinern realisierte, herrschte programmatisch das reinste Chaos. Vorbei die Zeiten, als man in Salzburg Benjamin Brittens großartige Oper "Peter Grimes" mit mehreren seiner Gesangszyklen umgürtete, oder als sich zu Debussys "Pelléas et Melisande" auch die Variante von Schönberg gesellte.
    Heutzutage gibt es an der Salzach Brahms' zweites Klavierkonzert mit dem genialen Yefim Bronfman als Solisten und danach den Rattle-Dauerbrenner "Le sacre du printemps" von Strawinsky. Nicht originell, aber dafür immerhin gut gemacht. Wenn sich dann allerdings die Mezzosopranistin Angelika Kirchschlager durch Kurt Weills "Sieben Todsünden" kämpft und das sie begleitende Orchester vor allem auf gepflegte Glätte statt auf raue, verschmierte Klänge setzt, dann fragt man sich schon, wo man hier gelandet ist. Nach dem Todsünden-Desaster kommt es zu einem lockeren Intermezzo in Form des Richard-Strauss'schen Hornkonzerts Nr. 2 und als Rausschmeißer folgt Beethovens Schicksalssymphonie, die unter Rattles wuchtigem Dirigat vor Kraft kaum laufen kann.
    Und sonst? Ach ja, die Oper. Mittlerweile im dritten Jahr schmiedet Salzburg gemeinsam mit Aix-en-provence an einem "Ring”. Mit dem statischen Herumgestehe in leeren Räumen und den paar dekorativen Videos, die Stéphane Braunschweig für den "Siegfried" aufbietet, hat er sich spätestens jetzt eine gut dotierte Abwrackprämie verdient.

    Auch musikalisch zerfällt der Abend: Rattle gelingen immer wieder berückend schöne Details und sensationelle Effekte, aber es fehlt ein Konzept, ein einheitlicher Ausdruckswille. Immerhin hat man mit Lance Ryan als Siegfried, Hartmut Welker als Alberich und Anna Larsson als dunkel glühende Erda gute Stimmen im Angebot. Der Rest des Ensembles agiert allenfalls auf solidem Niveau - insgesamt ist das viel zu wenig für ein Hochpreisfestival wie Salzburg.