Freitag, 19. April 2024

Archiv


Sommer lobt Arbeitslosengeld-Beschluss der SPD

DGB-Chef Michael Sommer sieht deutliche Verbesserungen im Gesprächsklima zwischen SPD und Gewerkschaften. "Es ist wieder vertrauensvoller geworden - ohne Frage", sagte Sommer. Er forderte die SPD auf, in der Großen Koalition energisch für einen flächendeckenden Mindestlohn zu streiten.

Moderation: Petra Ensminger | 27.10.2007
    Petra Ensminger: Der Leitantrag "Gute Arbeit" mit der Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn steht also für heute Nachmittag auf dem Programm, wie gerade von Sabine Adler gehört ( MP3-Audio ). Und kurz vor der Sendung sprach ich mit DGB-Chef Michael Sommer, der gestern ja bereits in einem Gastvortrag gesagt hat, das Verhältnis zwischen den Gewerkschaften und der SPD sei in den vergangenen Jahren wieder wesentlich besser geworden, Streicheleinheiten also für die Genossen. Und ich wollte von ihm wissen, ob er wirklich voll und ganz zufrieden ist. Hier die Antwort.

    Michael Sommer: Also ein Gewerkschafter, der voll und ganz zufrieden ist, den kenne ich nicht. Der hat ja seine Profession verfehlt und zum Beispiel auf dem Parteitag sowieso.

    Ensminger: Was fehlt Ihnen denn noch?

    Sommer: Wir haben natürlich vieles, mit dem wir nicht zufrieden sind. Die ganze Agenda-Politik setzt sich ja in wesentlichen Teilen fort. Sie kennen alle Zumutungen, die mit dem Thema Hartz IV verbunden sind.

    Ensminger: Sie wollen also weitere Rücknahmen?

    Sommer: Sie kennen die Zumutungen, die mit dem Thema Rente mit 67 verbunden sind. Sie wissen, dass wir weite Teile der Steuerpolitik für sozial unausgewogen halten. Also wenn Sie nach Konfliktfeldern suchen, könnte ich Ihnen schon noch ein paar nennen.

    Ensminger: Nun ist die umstrittene Verlängerung des ALG I ja durch. War das auch ein Zugeständnis an die Gewerkschaften? Hat es einen solchen Schritt gebraucht?

    Sommer: Ich glaube, es war ein deutlicher Schritt der SPD auf ihre Stammwähler hin, auf Menschen, die arbeiten und die sagen, wenn ich arbeite und arbeitslos werde, dann will ich wenigstens von meiner Arbeitslosenversicherung, in die ich lange eingezahlt habe, einigermaßen abgesichert werden, um die Zeit zu haben, einen neuen Job zu finden.

    Ensminger: Sie sprechen die Stammwähler an. Arbeitsmarktexperten und auch sinkende Arbeitslosenzahlen geben ja dem Gegner, Franz Müntefering, der sich heute Nachmittag dann zum ersten Mal äußern wird, ja Recht.

    Sommer: Warum geben die dem Recht? Also Arbeitsmarktexperten kenne ich diverse, die sich alles Mögliche immer ausdenken, die aber dann auch nur letztendlich Zahlen parat haben, von denen auch nur immer die Hälfte stimmt. Wir haben auf der einen Seite natürlich einen Rückgang der Arbeitslosigkeit bei Älteren, auf der anderen Seite eine Zunahme um 460.000, so dass man überhaupt nicht sagen, dass die Zahl der arbeitslosen älteren Arbeitnehmer gesunken ist. Im Gegenteil, es hat sich möglicherweise nur umgeschichtet. Dass wir eine Million weniger Arbeitslose haben, freut mich sehr. Ich sage das ausdrücklich: Es freut mich. Ich bin nie jemand, der sich darin suhlt, dass wir hohe Arbeitslosenzahlen haben. Aber das auf die Agenda 2010 zurückzuführen, ist, mit Verlaub gesagt, wirklich ausgesprochen kühn. Nichts spricht dafür, mit Ausnahme von einigen sogenannten Experten, die ihre Meinung vertreten, und diese Meinung ist, man muss die Leute nur lange genug quälen, dann würden die jede Arbeit annehmen. Das ist ein Menschenbild, dem ich nicht nachhänge.

    Ensminger: Das sind natürlich Experten von namhaften Instituten, die das sicherlich auch untersucht haben.

    Sommer: Ja. Es gibt aber auch andere Experten, die untersucht haben, welche Wirkungen nicht eingetreten sind. Von daher: Ich glaube, es nützt auch überhaupt nichts, über Experten jetzt zu streiten, sondern es nützt, was entscheidend ist, was in diesem Land politisch passiert.

    Ensminger: Genau, sprechen wir über die Sache. Vizekanzler Müntefering muss die Sache in der Koalition verhandeln. Was versprechen Sie sich von ihm, wenn wir bei der Politik dann auch bleiben wollen?

    Sommer: Ich glaube, dass Franz Müntefering als sozialdemokratischer Vizekanzler sich auch den Beschlüssen eines SPD-Parteitages verpflichtet fühlt, und das Weitere werden wir sehen. Im Übrigen: Es geht mir auch nicht um eine Auseinandersetzung Beck gegen Müntefering oder Müntefering gegen den Rest der Welt oder was auch immer. Es gibt ja viele Punkte, in denen wir mit dem Vizekanzler auch positiv zusammenarbeiten. Zum Beispiel im Thema Mindestlohn, zum Beispiel auch bei der Eingrenzung von Leiharbeitern, glaube ich, dass wir sehr miteinander gemeinsam arbeiten können, aber auf anderen Feldern sind wir auseinander. Das ist auch ganz normal. Es ist eben auch so, dass Gewerkschaften und SPD nicht zwei Seiten derselben Medaille sind. Wir haben sehr unterschiedliche Aufgaben, und wir haben sehr unterschiedliche Funktionen. Und die deutschen Gewerkschaften, da kommt noch eins dazu, das unterscheidet sie von französischen oder englischen Gewerkschaften: Wir sind parteiunabhängig, und wir werden es bleiben.

    Ensminger: Sie haben den Mindestlohn bereits angesprochen. Das wird sicherlich eine harte Arbeit für Müntefering werden, und wir wollen, wie gesagt, bei der Politik bleiben. Was, denken Sie denn, kann Müntefering davon umsetzen? Die Koalition ist ja klar dagegen.

    Sommer: Wir sind ja jetzt erst mal in der aktuellen Debatte um den Post-Mindestlohn. Und da glaube ich schon, dass der Vizekanzler und die SPD übrigens, die das ja gestern noch mal in großer Deutlichkeit bekräftigt hat, auf dem richtigen Weg. Dort wird nicht gewackelt. Es gibt eine Koalitionsvereinbarung mit der CDU/CSU, und die müssen sagen, ob sie die einhalten wollen oder nicht. Die ist klar und eindeutig, und dann werden wir die politische Auseinandersetzung führen. Und da kann ich der SPD und der großen zweiten Regierungspartei nur raten, überhaupt nicht zu wackeln, da muss man Kurs halten. Da gibt es sonst überhaupt nichts.

    Bei der zweiten Frage des einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns von 7,50 Euro Minimum, den wir fordern, werden wir sicherlich eine längere Zeit der politischen Auseinandersetzung brauchen, aber wir werden sie führen. Ich habe gestern allerdings auch gesagt, dass ich erwarte und doch auch davon ausgehe, dass dieser gesetzliche Mindestlohn demnächst im Bundesgesetzblatt steht und nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertagt wird, das geht nicht. Es geht letztendlich um das Schicksal von Millionen Menschen, die tagtäglich treu und brav ihrer Arbeit nachgehen und trotzdem davon nicht leben können und auf staatliche Fürsorge angewiesen sind. Das ist ein Zustand, der ist doch letztendlich in einem Land wie unserem völlig unhaltbar.

    Ensminger: Aber sie haben es ja schon angedeutet. Der Koalitionskrach ist vorprogrammiert. Davon hätten die Gewerkschaften dann ja auch nichts.

    Sommer: Wenn man überhaupt nichts tut, davon haben wir gar nichts. Also man muss es erst mal probieren, und dann wollen wir mal sehen. Und die CDU hat sich ja in vielen anderen Punkten auch bewegt. Ich hätte vor einem Jahr auch noch nicht geglaubt, dass man überhaupt an die Frage kommt einer Verlängerung des Arbeitslosengeldes I. Da haben ja alle möglichen Leute gedacht, das ist völlig ausgeschlossen. Nun lassen Sie uns mal sehen. Das Leben ist auch ein Teil dessen, was sich weiterentwickelt, auch das politische Leben. Und wir werden die politische Auseinandersetzung mitbestellen. Ich bin da eigentlich optimistisch.

    Ensminger: Man hört es schon raus. Insgesamt, wenn Sie jetzt auf die SPD schauen, sind Sie zufriedener als mit der vorangegangen rot-grünen Bundesregierung?

    Sommer: Ach, was heißt zufriedener. Ich gucke mir die Ergebnisse an und sage, an paar Punkten ist es positiv, und an paar Punkten ist es nicht so positiv. Was sich verändert hat, ist das Klima. Es ist wieder vertrauensvoller geworden, ohne Frage. Aber vom Klima alleine kann man sich nichts kaufen. Entscheidend ist, das hat Helmut Kohl mal völlig richtig gesagt, was hinten rauskommt.

    Ensminger: Michael Sommer war das, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes hier bei im Deutschlandfunk.