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Sommer: Rente mit 65 ist finanzierbar

Der demografische Wandel sei in einem reichen Land wie Deutschland verkraftbar, sagt der DGB-Vorsitzende Michael Sommer. Das gesetzliche Rentenalter könne beibehalten und finanziert werden. Nötig sei dafür allerdings eine bessere Spitzen- und Erbschaftsbesteuerung.

Michael Sommer im Gespräch mit Dirk Müller | 14.05.2013
    Dirk Müller: Finanzgipfel hat es reichlich gegeben in den vergangenen Monaten, in den vergangenen Jahren. Integrationsgipfel, die gibt es auch, auch Koalitionsgipfel. Diesmal geht es aber um die Alterspyramide in Deutschland. Dann heißt das ganze Demografiegipfel. Wer finanziert künftig wie unsere Rente? Wo sind die Fachkräfte für die Industrie? Wer darf, und soll zuwandern und wer nicht?
    Eine wichtige Frage heute auch: Was passiert mit der Rente? Wie lange müssen und wie lange sollen wir arbeiten? – Darüber sprechen wir jetzt mit DGB-Chef Michael Sommer, der auch am Gipfel teilnehmen wird. Guten Morgen!

    Michael Sommer: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Sommer, hören Sie mit 65 auf?

    Sommer: Nein, ich höre - ja doch: Ich höre mit 65 auf. Ich werde mit 62 als DGB-Vorsitzender aufhören nächstes Jahr und dann bin ich noch drei Jahre Gewerkschaftssekretär und dann gehe ich ganz planmäßig in die gesetzliche Rente.

    Müller: Dann kommen Sie uns aber teuer zu stehen!

    Sommer: Nein. Wieso? Ich habe ja auch eingezahlt in die Rente wie andere auch und wir haben in unserem Leben, Sie und ich, sehr viel auch geschaffen. Wir haben sehr viel dazu beigebracht, dieses Land nach vorne zu bringen, es zu einer der stärksten Wirtschaftsnationen dieser Welt zu machen. Also von daher: Wir haben schon unseren Teil dazu geleistet.

    Müller: Wenn ich jetzt durch unsere Scheibe im Studio blicke, sehe ich alles Leute, Kollegen, die bis 67 arbeiten müssen. Ist das gerecht?

    Sommer: Nein, das ist es nicht, insbesondere dann nicht, wenn sie nicht mehr könnten und dann im Zweifelsfall früher aufhören müssten, weil sie einfach schlicht und ergreifend überarbeitet sind, krank sind, den Leistungsanforderungen nicht mehr entsprechen können und dann mit Rentenkürzungen agieren müssten oder leben müssten. Das wäre dann ganz ungerecht. Ich glaube, diese Gesellschaft ist durchaus in der Lage – wir haben das übrigens auch mit Modellen bewiesen -, dass man das gesetzliche Rentenalter beibehalten kann, dass man das finanzieren kann, wenn man jetzt nicht unsinnigerweise zum Beispiel Rentenversicherungsbeiträge kürzt, sondern sie stabilisiert und moderat Jahr für Jahr erhöht, bis auf 22 Prozent. Dann haben wir durchgerechnet, können sie bis 2030 alles locker bezahlen. Das heißt, es gibt keinen Zusammenhang damit, dass die Leute länger arbeiten müssen, damit die Renten bezahlt werden können. Das ist einfach Unsinn.

    Müller: Das heißt, wir brauchen einfach nur mehr in die Kasse zu bezahlen, dann können wir früher aufhören?

    Sommer: Nein, nicht einfach mehr, jedes ein bisschen mehr zahlen kostet für jeden auch Geld, sondern es ist eine Frage der ökonomischen und auch der gesellschaftlichen Vernunft, ob man nicht moderat Jahr für Jahr, wir haben es ausgerechnet, anderthalb Prozentpunkte die Rentenversicherungsbeiträge erhöht. Das wäre ungefähr in der Höhe der Preissteigerungsrate. Und dann zu sagen, wir stabilisieren das auf 22 Prozent, das ist für jeden verkraftbar. Aber wir können damit auch eine älter werdende Gesellschaft und die Renten für die Menschen bezahlen, das ist ganz einfach.

    Müller: Jetzt mussten wir in den vergangenen zehn Jahren ja vor allem lernen, auch die jüngeren, die mittelalten in unserer Gesellschaft, also die jüngere Generation, dass es auf die Lohnnebenkosten auch ankommt, auf die Wettbewerbsfähigkeit. Da sagen die Arbeitnehmer, da sagen aber auch die Konservativen, auch die Liberalen, wir dürfen Arbeit nicht teurer machen, weil wir das nicht getan haben in den letzten Jahren, stehen wir jetzt so gut da. Stimmt das?

    Sommer: Wir stehen gesellschaftlich insbesondere deshalb schlecht da, weil wir gesagt haben, Arbeit muss immer billiger werden, teilweise billig wie Dreck, und dann haben wir in diesem Land unter anderem durch die Agenda 2010 und die Politik von Helmut Kohl einen Niedriglohnsektor geschaffen, der dazu führte, dass ungefähr ein Fünftel der Erwerbsbevölkerung zu prekären Löhnen und zu prekären Bedingungen arbeiten muss. Und die Menschen, die heute arm sind, werden im Alter dann noch armseliger leben müssen, und das ist ein Punkt, den wir nicht wollen, den wir nicht wollen können, sondern wir sagen, schafft die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes und unseres Landes so, dass wir tatsächlich auch in Zukunft sicher leben können.

    Müller: Sie meinten Gerhard Schröder? Helmut Kohl haben Sie gesagt.

    Sommer: Ich meinte beide. Es ist ja eine lange Linie, die Qualifizierung von Arbeit und die Debatte, dass Arbeit viel zu teuer sei, und das wurde dann über die Lohnnebenkosten gemacht. Lohnnebenkosten sind Teile der Lohnkosten, Teile dessen, was in diesem Land erwirtschaftet wird, und dann sage ich Ihnen, dass wir durchaus in der Lage sein müssen, auch mit den sogenannten Sozialversicherungsabgaben die sozialen Systeme in diesem Land, auch die Rentenversicherung zu stabilisieren und zu finanzieren. Und wir haben Modelle vorgelegt, dass das verkraftbar ist, dass das machbar ist und dass das auch bezahlbar ist.

    Müller: Wenn Sie etwas gegen die Agenda haben, Herr Sommer - da haben Sie nie ein Hehl daraus gemacht wie viele andere Gewerkschafter auch nicht, wie beispielsweise jetzt auch Klaus Wiesehügel, der im neuen Kompetenzteam auftritt von Peer Steinbrück -, dann verwundert das jetzt viele, weil Peer Steinbrück ja nun auch ein Agenda-Mann schlechthin ist.

    Sommer: Ja, die SPD hat ihre Programmatik verändert auf dem Parteitag in Augsburg. Da ist vieles gerade in puncto Arbeit und Rente anders zu lesen als in der Agenda 2010. Und im Übrigen dachte ich, wir unterhalten uns jetzt über die Frage der Demografie und nicht über die Fragen der SPD.

    Müller: Ja, fällt mir gerade so ein.

    Sommer: Ja, mir auch.

    Müller: Das heißt, Sie halten Peer Steinbrück für glaubwürdig in dem Punkt?

    Sommer: Ich sage Ihnen schlicht und ergreifend, ich nehme das Wahlprogramm der SPD und sehe, dass die SPD wieder versucht, um die kleinen Leute, um ihre Stammwählerschaft zu kämpfen und denen auch Angebote zu machen, inhaltliche Angebote, und wer das nicht zur Kenntnis nimmt, der kann Parteiprogramme nicht lesen. Und der Rest ist die Frage, ob die Menschen der SPD oder anderen Parteien glauben. Das ist eine Sache der Glaubwürdigkeit der Parteien und nicht die Sache meiner Beurteilung.

    Müller: Also beim Kandidaten wollen Sie jetzt nicht sagen, ob Sie ihm glauben oder nicht?

    Sommer: Ich gehe davon aus, wenn der Kandidat erklärt, er steht zum Programm, und das Programm passt zum Kandidaten, dass das dann zusammenpasst für die SPD.

    Müller: Dann kommen wir zur Demografie. Alle werden älter in Deutschland, das liegt in der Natur der Sache, aber zu wenig wachsen nach. Wie können wir das Problem lösen? Ausschließlich über Zuwanderung?

    Sommer: Nein. Ich glaube, in Ihrem Beitrag vorher ist ja auch ein Mix deutlich geworden, Herr Müller: der Mix, dass wir natürlich auch Zuwanderung brauchen, dass übrigens Zuwanderung momentan auch gerade in der Situation Europas, in der Situation junger Menschen in Griechenland oder Spanien durchaus auch ein Beitrag zur Stabilisierung der Europäischen Union und des europäischen Gedankens wäre, aber das ist nur ein Teilaspekt. Wir brauchen, glaube ich, einen ganzen Strauß von Maßnahmen. Das fängt an mit der Frage, dass wir das Potenzial, was wir an Menschen haben, die in Deutschland qualifiziert arbeiten könnten, heben und es stabilisieren. Ich denke da zum Beispiel an die Förderung von Frauenbeschäftigung, da ist ein ganz wichtiger Schlüsselfaktor die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Als die Regierung noch Entscheidungen fällte - das ist ungefähr wohl ein Jahr her -, da fällte sie dann die falschen Entscheidungen. Da wurde dann nicht in die Kinderbetreuung investiert, sondern in die Herdprämie. Das ist natürlich kein Beitrag, um zum Beispiel Frauenbeschäftigung zu heben.
    Dann haben wir die Situation, dass wir viele junge Menschen haben, die nach wie vor keine anständige Qualifikation haben. Wir haben mehr als eine Million Menschen, die keinen Hauptschulabschluss haben, junge Menschen, denen wir eine Qualifikation bieten müssten. Wir haben die Situation, dass wir Migrantinnen und Migranten besser integrieren müssten, und wir haben die Situation, dass man zwar viel von der Beschäftigung älterer redet, aber in der Praxis das Gegenteil tut. Es wird immer noch der Idee der olympiareifen Mannschaften angehangen und diese Idee, kann ich Ihnen nur sagen, ist eine, die falsch ist, weil wir müssen dafür sorgen, dass ältere Menschen tatsächlich erst mal in der Lage sind, das gesetzliche Rentenalter zu erreichen, und dazu braucht es viele Maßnahmen: von Qualifizierung über altersgerechtes Arbeiten bis hin zu entsprechenden tarifvertraglichen Initiativen, die wir auch gestartet haben.

    Müller: Herr Sommer, wir müssen ein bisschen auf die Zeit schauen. Wie soll das alles finanziert werden?

    Sommer: Das kann ich Ihnen sagen! Wir haben in diesem Land eine unglaublich hohe Wertschöpfung und mit dieser Wertschöpfung können wir es finanzieren. Und im Übrigen müssen wir auch dafür sorgen, dass die Finanzbasis des Staates so verbessert wird, dass zum Beispiel Maßnahmen für eine verbesserte Infrastruktur im Bereich von Familie, also insbesondere der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sprich öffentliche Kinderbetreuung, aber auch öffentlich finanzierte und garantierte Betreuung von Kranken und Alten funktionieren. Das könnten wir finanzieren, wenn wir dafür sorgen, dass der Staat finanziell stabilisiert wird.

    Müller: Das heißt Steuererhöhungen?

    Sommer: Insbesondere durch Erhöhung der Steuern bei den Menschen, die sich mehr leisten können als andere. Das heißt zum Beispiel in der Frage der besseren Spitzenbesteuerung, in der Frage der Reichenbesteuerung, in der Frage der Erbschaftsbesteuerung, die wir dringend bräuchten, und auch in der Frage der Vermögenssteuer, die wir bräuchten, um zum Beispiel eine bessere Bildung zu finanzieren. Das ist alles bezahlbar, wir leben in einem der reichsten Länder der Erde. Das Problem ist nur, dass die Gesellschaft ärmer wird und viele Menschen ärmer werden und einige sehr viel reicher.

    Müller: Jetzt müssen Sie uns mit einer Zahl noch weiterhelfen. Wir haben nur noch 15, 20 Sekunden, Herr Sommer. Wo fängt das an mit der Besteuerung, Spitzenbesteuerung, wie bei den Grünen schon bei 60.000?

    Sommer: Nein. Wir haben da klare Vorstellungen und die sind in der Größenordnung von 49 Prozent bei einem Einkommen von, ich glaube, 100.000 für Ledige, sodass man schlicht und ergreifend sagen kann, wir sind nicht bei der Besteuerung von Menschen, die in normalen Einkommens- oder höheren Einkommenskategorien leben, sondern wir reden über wirklich besser verdienende und gut verdienende in diesem Land.

    Müller: Dann werden viele von uns etwas beruhigt sein.

    Sommer: Ja, das hoffe ich auch.

    Müller: Vielen Dank! – Heute Morgen Live im Deutschlandfunk DGB-Chef Michael Sommer. Danke für das Gespräch, alles Gute.

    Sommer: Bitte schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.