Dienstag, 23. April 2024

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Sommerserie: Dialekte in Deutschland
Rhoihessisch – eine inklusive Mundart

Ob Jiddisch, Französisch oder in Zukunft vielleicht auch Arabisch: Die rheinhessische Mundart ist anpassungsfähig. Alles Fremde wird so lange modelliert, bis es vertraut klingt und sich einfügen lässt. Vor allem das französische Intermezzo Anfang des 19. Jahrhunderts hat Spuren in der Mundart hinterlassen.

Von Anke Petermann | 08.07.2016
    Touristen beim geselligen Zusammensein an einer kleinen Winzerhütte
    Beim Winzer und beim Radwandern zwischen Weinbergshäuschen erleben Touristen noch oft das rheinhessische "Babbele“. (Deutschlandradio / Anke Petermann)
    Ein alt eingesessener Rheinhesse erzählt, wie sein Großvater Mitte der 50er-Jahre die Schutzhütte im Weinberg nutzte.
    "Säit er: 'Buu, isch komm heit obend net hom, isch schloof über Nacht doo, es sind so viel‘ Stare doo'."
    "Junge, ich komme heute Abend nicht nach Hause, ich übernachte hier", spricht der Opa. Es seien so viele Staren im Weinberg."
    Opa schläft auf dem Kanapee im "Wingertsheische"
    "Es waare ober kaa Stare doo, es waare die Flasch‘ doo!"
    Von wegen Staren verscheuchen - Opa machte es sich mit einem Weinvorrat im "Wingertsheische" gemütlich, genau dort, wo er den Enkel zuvor aufgestört hatte.
    "Isch bin von dem Kanapee runtergefallen".
    Kanapee, wahlweise auch Chaiselongue, nennt der Mittsechziger das Sofa. Das französische Intermezzo Anfang des 19. Jahrhunderts hat Spuren in der Mundart hinterlassen.
    Französische Lehnwörter
    Rheinhessen fahren auf der Chaussee und gehen auf dem Trottoire. Anders als im Hochdeutschen werden die französischen Lehnwörter germanisch betont, also auf der ersten Silbe. So nimmt es jedenfalls der Fremde wahr. Volker Gallé, Mundart-Autor und Regionalhistoriker, korrigiert.
    "Hier macht man ja beides. Das ist ja das Besondere. Hier betont man germanisch und romanisch, also mein Name zum Beispiel wird Gallé ausgesprochen - vorne un hinne gleichzeitisch hoch. Also das ist ne typische Mischform, die sich hier entwickelt hat, auch im Akzent."
    Auf einem Weingut seines Heimatdorfs Mauchenheim referiert Gallé vor Nordpfälzer GEW-Gewerkschaftern über die Besonderheiten von französisch geprägter Mentalität und Mundart des Völkchens zwischen Bingen und Worms.
    Anno dazumal heißt "sellemols"
    Typisch für rheinhessischen Pragmatismus: der Winzer hat den 200 Jahre alten Viehstall zum stilvoll-schlichten Gastraum umfunktioniert. Pragmatisch nutzten auch die Rheinhessen die Sprache der Besatzer als Quelle für Wortschöpfungen und Redewendungen.
    "Zum Beispiel so Begriffe wie sellemols, damals. Das ist celle, französisch und ‚mal‘, deutsch. Oder wenn man sagt, ‚gib mir mol sell un‘ jenes‘ - dies uns jenes, solche Begriffe haben sich schon lange gehalten. Mein Großvater, der ja nie Französisch gelernt hatte, weil er Volksschule gehabt hat, hat mir einen Spruch überliefert, den viele Rheinhessen noch kennen: "Le boeuf - der Ochs’ / la vache - die Kuh,/ fermez la porte,/ die Tiir mach' zu."
    Das Spielerische im Blut
    Das Spielerische dieser Methode liegt den Rheinhessen im Blut, meint der Regionalforscher.
    "Denn dann in de seschzijer Jahre, als die Beatles kamen, haben wir dann gereimt ‚I love you, you love me, mir laafe zusamme, wo laafe mer hiee‘? Ich finde, es ist ne sehr sympathische Methode, denn sie tut nicht so, als sei das Fremde nicht fremd. Sie tut aber auch nicht so, als könne man sich das Fremde nicht aneignen."
    Rheinhessisch ist anpassungsfähig, vor dem Französischen hatte es schon das Jiddische integriert.
    Manche haben 'Massel' mit der 'Mischpook'
    Die "Mischpook" kommt, wenn in Rheinhessen die Verwandtschaft anrückt, und "Massel", also Glück hat, bei wem sie nicht zu lange bleibt. Das rheinhessische Mundart-Lexikon des Ingelheimer Leinpfad-Verlags verzeichnet aber auch moderne Neuschöpfungen wie die "Wudze-I-Mäil", "Wutz" (Wudz) steht für Sau, die "Wudze-I-Mäil" für elektronische Post pornografischen Inhalts.
    Gelassen und gut organisiert nehmen rheinhessische Dörfer derzeit Flüchtlinge auf. Wenn Volker Gallé bei seinen Konzerten die Nähe von rhoihessischer und orientalischer Mentalität anspricht, erntet er zunächst ungläubige Lacher. Wie in der Mühlwiesenhalle von Mauchenheim.
    - Kimmsche heit or moje
    - Odder kimmsche iwwermoje
    - Odder gar net meh
    Es folgt erstaunt-amüsierte Selbsterkenntnis.
    "Mach dir keine Sorgen – auch gestern war mal morgen und ist auch vorbei"
    - Mach der jo kaa soje
    - Mach der jo kaa soje,
    - weil aach geschdern war mol moje
    - unn is aach ferbei
    Auch arabische Lehnwörter wird das Rheinhessische adaptieren, da ist sich Volker Gallé sicher. Vielleicht also treiben sich Eingeborene und Zugewanderte dereinst mit einem energischen "Jalla hopp" an. Auf geht’s.
    - Wann isch dann net do bin
    - Odder jemand annres do is
    - Wardsche bis isch kumm
    - Geschdern odder moje
    - Odder iwwermoje
    - Odder aber vorgeschdern
    - Odder aach vor verzehn Taach